Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
vortreffliches Jnsecten-Werk.
Er, ein dämmrig Licht erblickt. Die Empfindungen allein
Leiten und belehren ihn. Diese theilt er klüglich ein
Jn, von ihm formierte, Classen, ziehet Folgen, machet
Schlüsse:

Daß er die selbständge Wahrheit unbetrieglich haben müsse.
Da jedoch, bey jedem Menschen, andre Folgen und Jdeen,
Die den seinen widersprechen, wie man es erfährt, entstehen.
Woraus soviel Widersprüche, Zänkereyen, Ketzereyen,
Unser Leben zu verbittern, uns zu foltern, sich nicht scheuen,
Und wodurch Geselligkeit, Lieb und Eintracht von der
Erden,

Nebst Vergnügen, Lust und Anmuth, leider, ganz ver-
bannet werden!

Sieht man also, daß der Stolz, Jrrthum und Unwissenheit,
Bloß allein die Unglücks-Quellen unsrer ganzen Lebenszeit.
Mit so grämlichen Gedanken, und so bittrer Traurigkeit
War ich jüngst beschäfftiget, und beklagte, fast mit Trähnen,
Unser menschliches Geschlecht, da die Sterblichen so blind,
So verwirret, so betrogen, dumm, und so voll Einfalt sind,
Und sich doch, vom Stolz verführt, stets nach hohen Din-
gen sehnen.

Schloß auch, daß bey solcher Einfalt, bey so düsterer
Erkenntniß,

Bey so wenig Wissenschaft, und benebeltem Verständniß,
Keiner Creatur gebühre, aufgebläht und stolz zu seyn;
Sondern, daß ein tiefes Trauren billig sie belehren müsse:
Daß ihr Vorzug vor den Thieren, nicht sehr groß
sey, sondern klein,
Und daß sie, von allen Dingen, nicht vielmehr, als
jene, wisse.
Aber
vortreffliches Jnſecten-Werk.
Er, ein daͤmmrig Licht erblickt. Die Empfindungen allein
Leiten und belehren ihn. Dieſe theilt er kluͤglich ein
Jn, von ihm formierte, Claſſen, ziehet Folgen, machet
Schluͤſſe:

Daß er die ſelbſtaͤndge Wahrheit unbetrieglich haben muͤſſe.
Da jedoch, bey jedem Menſchen, andre Folgen und Jdeen,
Die den ſeinen widerſprechen, wie man es erfaͤhrt, entſtehen.
Woraus ſoviel Widerſpruͤche, Zaͤnkereyen, Ketzereyen,
Unſer Leben zu verbittern, uns zu foltern, ſich nicht ſcheuen,
Und wodurch Geſelligkeit, Lieb und Eintracht von der
Erden,

Nebſt Vergnuͤgen, Luſt und Anmuth, leider, ganz ver-
bannet werden!

Sieht man alſo, daß der Stolz, Jrrthum und Unwiſſenheit,
Bloß allein die Ungluͤcks-Quellen unſrer ganzen Lebenszeit.
Mit ſo graͤmlichen Gedanken, und ſo bittrer Traurigkeit
War ich juͤngſt beſchaͤfftiget, und beklagte, faſt mit Traͤhnen,
Unſer menſchliches Geſchlecht, da die Sterblichen ſo blind,
So verwirret, ſo betrogen, dumm, und ſo voll Einfalt ſind,
Und ſich doch, vom Stolz verfuͤhrt, ſtets nach hohen Din-
gen ſehnen.

Schloß auch, daß bey ſolcher Einfalt, bey ſo duͤſterer
Erkenntniß,

Bey ſo wenig Wiſſenſchaft, und benebeltem Verſtaͤndniß,
Keiner Creatur gebuͤhre, aufgeblaͤht und ſtolz zu ſeyn;
Sondern, daß ein tiefes Trauren billig ſie belehren muͤſſe:
Daß ihr Vorzug vor den Thieren, nicht ſehr groß
ſey, ſondern klein,
Und daß ſie, von allen Dingen, nicht vielmehr, als
jene, wiſſe.
Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0267" n="253"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">vortreffliches Jn&#x017F;ecten-Werk.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Er, ein da&#x0364;mmrig Licht erblickt. Die Empfindungen allein</l><lb/>
                <l>Leiten und belehren ihn. Die&#x017F;e theilt er klu&#x0364;glich ein</l><lb/>
                <l>Jn, von ihm formierte, Cla&#x017F;&#x017F;en, ziehet Folgen, machet<lb/><hi rendition="#et">Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e:</hi></l><lb/>
                <l>Daß er die &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndge Wahrheit unbetrieglich haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</l><lb/>
                <l>Da jedoch, bey jedem Men&#x017F;chen, andre Folgen und Jdeen,</l><lb/>
                <l>Die den &#x017F;einen wider&#x017F;prechen, wie man es erfa&#x0364;hrt, ent&#x017F;tehen.</l><lb/>
                <l>Woraus &#x017F;oviel Wider&#x017F;pru&#x0364;che, Za&#x0364;nkereyen, Ketzereyen,</l><lb/>
                <l>Un&#x017F;er Leben zu verbittern, uns zu foltern, &#x017F;ich nicht &#x017F;cheuen,</l><lb/>
                <l>Und wodurch Ge&#x017F;elligkeit, Lieb und Eintracht von der<lb/><hi rendition="#et">Erden,</hi></l><lb/>
                <l>Neb&#x017F;t Vergnu&#x0364;gen, Lu&#x017F;t und Anmuth, leider, ganz ver-<lb/><hi rendition="#et">bannet werden!</hi></l><lb/>
                <l>Sieht man al&#x017F;o, daß der Stolz, Jrrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit,</l><lb/>
                <l>Bloß allein die Unglu&#x0364;cks-Quellen un&#x017F;rer ganzen Lebenszeit.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Mit &#x017F;o gra&#x0364;mlichen Gedanken, und &#x017F;o bittrer Traurigkeit</l><lb/>
                <l>War ich ju&#x0364;ng&#x017F;t be&#x017F;cha&#x0364;fftiget, und beklagte, fa&#x017F;t mit Tra&#x0364;hnen,</l><lb/>
                <l>Un&#x017F;er men&#x017F;chliches Ge&#x017F;chlecht, da die Sterblichen &#x017F;o blind,</l><lb/>
                <l>So verwirret, &#x017F;o betrogen, dumm, und &#x017F;o voll Einfalt &#x017F;ind,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ich doch, vom Stolz verfu&#x0364;hrt, &#x017F;tets nach hohen Din-<lb/><hi rendition="#et">gen &#x017F;ehnen.</hi></l><lb/>
                <l>Schloß auch, daß bey &#x017F;olcher Einfalt, bey &#x017F;o du&#x0364;&#x017F;terer<lb/><hi rendition="#et">Erkenntniß,</hi></l><lb/>
                <l>Bey &#x017F;o wenig Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, und benebeltem Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß,</l><lb/>
                <l>Keiner Creatur gebu&#x0364;hre, aufgebla&#x0364;ht und &#x017F;tolz zu &#x017F;eyn;</l><lb/>
                <l>Sondern, daß ein tiefes Trauren billig &#x017F;ie belehren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e:</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Daß ihr Vorzug vor den Thieren, nicht &#x017F;ehr groß</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">&#x017F;ey, &#x017F;ondern klein,</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#et">Und daß &#x017F;ie, von allen Dingen, nicht vielmehr, als<lb/><hi rendition="#et">jene, wi&#x017F;&#x017F;e.</hi></hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0267] vortreffliches Jnſecten-Werk. Er, ein daͤmmrig Licht erblickt. Die Empfindungen allein Leiten und belehren ihn. Dieſe theilt er kluͤglich ein Jn, von ihm formierte, Claſſen, ziehet Folgen, machet Schluͤſſe: Daß er die ſelbſtaͤndge Wahrheit unbetrieglich haben muͤſſe. Da jedoch, bey jedem Menſchen, andre Folgen und Jdeen, Die den ſeinen widerſprechen, wie man es erfaͤhrt, entſtehen. Woraus ſoviel Widerſpruͤche, Zaͤnkereyen, Ketzereyen, Unſer Leben zu verbittern, uns zu foltern, ſich nicht ſcheuen, Und wodurch Geſelligkeit, Lieb und Eintracht von der Erden, Nebſt Vergnuͤgen, Luſt und Anmuth, leider, ganz ver- bannet werden! Sieht man alſo, daß der Stolz, Jrrthum und Unwiſſenheit, Bloß allein die Ungluͤcks-Quellen unſrer ganzen Lebenszeit. Mit ſo graͤmlichen Gedanken, und ſo bittrer Traurigkeit War ich juͤngſt beſchaͤfftiget, und beklagte, faſt mit Traͤhnen, Unſer menſchliches Geſchlecht, da die Sterblichen ſo blind, So verwirret, ſo betrogen, dumm, und ſo voll Einfalt ſind, Und ſich doch, vom Stolz verfuͤhrt, ſtets nach hohen Din- gen ſehnen. Schloß auch, daß bey ſolcher Einfalt, bey ſo duͤſterer Erkenntniß, Bey ſo wenig Wiſſenſchaft, und benebeltem Verſtaͤndniß, Keiner Creatur gebuͤhre, aufgeblaͤht und ſtolz zu ſeyn; Sondern, daß ein tiefes Trauren billig ſie belehren muͤſſe: Daß ihr Vorzug vor den Thieren, nicht ſehr groß ſey, ſondern klein, Und daß ſie, von allen Dingen, nicht vielmehr, als jene, wiſſe. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/267
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/267>, abgerufen am 29.04.2024.