Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte
Die, wie sie alle, voller Schwachheit. Dieß hieß: um
einen Weg zu finden

Für Blinde, gäbe man denselben, zum Führer, einen an-
dern Blinden.
A. Du sprichst: ich handle wie die Riesen, die große
Berg' auf Bergen häufen,

Um zu der Sonne zu gelangen. Die Gottheit sey nicht
zu begreifen.

Soll ich denn meinen Geist nicht brauchen? B. Ja.
Aber laß ihn nur die Pflichten,

Zu welchen er erschaffen worden, vorher mit allem Ernst
verrichten,

Sich von der Lasterbahn entfernen
Und erst sein Herz verbessern, lernen,
Auch Gott zum Preise sich vergnügen, und in den uns ge-
schenkten Gaben,

Die wir, im Vorwurf unsrer Welt, durch jeden Sinn
empfangen haben,

Jhn froh bewundern, und ihm danken. Wenn dieses
erst vorher geschehn;

Dann mag dein Geist, wo er so kühn, zu Gottes Wesen
sich erhöhn,

Und untersuchen: ob es möglich, das, was unendlich, zu
verstehn.

Doch wirst du denn auch dieß befinden: der Mensch sey,
gründlich was zu wissen

Und zu begreifen, nicht erschaffen: und daß wir alle
glauben müssen.


Betrach-
Vermiſchte Gedichte
Die, wie ſie alle, voller Schwachheit. Dieß hieß: um
einen Weg zu finden

Fuͤr Blinde, gaͤbe man denſelben, zum Fuͤhrer, einen an-
dern Blinden.
A. Du ſprichſt: ich handle wie die Rieſen, die große
Berg’ auf Bergen haͤufen,

Um zu der Sonne zu gelangen. Die Gottheit ſey nicht
zu begreifen.

Soll ich denn meinen Geiſt nicht brauchen? B. Ja.
Aber laß ihn nur die Pflichten,

Zu welchen er erſchaffen worden, vorher mit allem Ernſt
verrichten,

Sich von der Laſterbahn entfernen
Und erſt ſein Herz verbeſſern, lernen,
Auch Gott zum Preiſe ſich vergnuͤgen, und in den uns ge-
ſchenkten Gaben,

Die wir, im Vorwurf unſrer Welt, durch jeden Sinn
empfangen haben,

Jhn froh bewundern, und ihm danken. Wenn dieſes
erſt vorher geſchehn;

Dann mag dein Geiſt, wo er ſo kuͤhn, zu Gottes Weſen
ſich erhoͤhn,

Und unterſuchen: ob es moͤglich, das, was unendlich, zu
verſtehn.

Doch wirſt du denn auch dieß befinden: der Menſch ſey,
gruͤndlich was zu wiſſen

Und zu begreifen, nicht erſchaffen: und daß wir alle
glauben muͤſſen.


Betrach-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0466" n="446"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Gedichte</hi> </fw><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Die, wie &#x017F;ie alle, voller Schwachheit. Dieß hieß: um<lb/><hi rendition="#et">einen Weg zu finden</hi></l><lb/>
            <l>Fu&#x0364;r Blinde, ga&#x0364;be man den&#x017F;elben, zum Fu&#x0364;hrer, einen an-<lb/><hi rendition="#et">dern Blinden.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l><hi rendition="#aq">A.</hi> Du &#x017F;prich&#x017F;t: ich handle wie die Rie&#x017F;en, die große<lb/><hi rendition="#et">Berg&#x2019; auf Bergen ha&#x0364;ufen,</hi></l><lb/>
            <l>Um zu der Sonne zu gelangen. Die Gottheit &#x017F;ey nicht<lb/><hi rendition="#et">zu begreifen.</hi></l><lb/>
            <l>Soll ich denn meinen Gei&#x017F;t nicht brauchen? <hi rendition="#aq">B.</hi> Ja.<lb/><hi rendition="#et">Aber laß ihn nur die Pflichten,</hi></l><lb/>
            <l>Zu welchen er er&#x017F;chaffen worden, vorher mit allem Ern&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">verrichten,</hi></l><lb/>
            <l>Sich von der La&#x017F;terbahn entfernen</l><lb/>
            <l>Und er&#x017F;t &#x017F;ein Herz verbe&#x017F;&#x017F;ern, lernen,</l><lb/>
            <l>Auch Gott zum Prei&#x017F;e &#x017F;ich vergnu&#x0364;gen, und in den uns ge-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chenkten Gaben,</hi></l><lb/>
            <l>Die wir, im Vorwurf un&#x017F;rer Welt, durch jeden Sinn<lb/><hi rendition="#et">empfangen haben,</hi></l><lb/>
            <l>Jhn froh bewundern, und ihm danken. Wenn die&#x017F;es<lb/><hi rendition="#et">er&#x017F;t vorher ge&#x017F;chehn;</hi></l><lb/>
            <l>Dann mag dein Gei&#x017F;t, wo er &#x017F;o ku&#x0364;hn, zu Gottes We&#x017F;en<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich erho&#x0364;hn,</hi></l><lb/>
            <l>Und unter&#x017F;uchen: ob es mo&#x0364;glich, das, was unendlich, zu<lb/><hi rendition="#et">ver&#x017F;tehn.</hi></l><lb/>
            <l>Doch wir&#x017F;t du denn auch dieß befinden: der Men&#x017F;ch &#x017F;ey,<lb/><hi rendition="#et">gru&#x0364;ndlich was zu wi&#x017F;&#x017F;en</hi></l><lb/>
            <l>Und zu begreifen, nicht er&#x017F;chaffen: und daß wir alle<lb/><hi rendition="#et">glauben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</hi></l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Betrach-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0466] Vermiſchte Gedichte Die, wie ſie alle, voller Schwachheit. Dieß hieß: um einen Weg zu finden Fuͤr Blinde, gaͤbe man denſelben, zum Fuͤhrer, einen an- dern Blinden. A. Du ſprichſt: ich handle wie die Rieſen, die große Berg’ auf Bergen haͤufen, Um zu der Sonne zu gelangen. Die Gottheit ſey nicht zu begreifen. Soll ich denn meinen Geiſt nicht brauchen? B. Ja. Aber laß ihn nur die Pflichten, Zu welchen er erſchaffen worden, vorher mit allem Ernſt verrichten, Sich von der Laſterbahn entfernen Und erſt ſein Herz verbeſſern, lernen, Auch Gott zum Preiſe ſich vergnuͤgen, und in den uns ge- ſchenkten Gaben, Die wir, im Vorwurf unſrer Welt, durch jeden Sinn empfangen haben, Jhn froh bewundern, und ihm danken. Wenn dieſes erſt vorher geſchehn; Dann mag dein Geiſt, wo er ſo kuͤhn, zu Gottes Weſen ſich erhoͤhn, Und unterſuchen: ob es moͤglich, das, was unendlich, zu verſtehn. Doch wirſt du denn auch dieß befinden: der Menſch ſey, gruͤndlich was zu wiſſen Und zu begreifen, nicht erſchaffen: und daß wir alle glauben muͤſſen. Betrach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/466
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/466>, abgerufen am 01.05.2024.