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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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Vermischte Gedichte


Gewiß, es wär an einem Vieh die Frechheit minder
zu verübeln,
Wenn es dein' Absicht, deine Schlüsse bemühet wäre zu
ergrübeln;
Als daß dein unverschämter Stolz der Gottheit Uner-
mäßlichkeit
Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen sich zu ergründen un-
terstehet.
Da ja der Abstand deines Geistes zu göttlicher Vollkom-
menheit,
Den Abstand zwischen einem Vieh und dir, unendlich
übergehet.


Was heißet Seyn? ich fass' es nicht.
Doch giebt mir die Vernunft so viel Bericht:
Daß man das Seyn allein
Von Gott mit Wahrheit sagen könne.
Auch giebt die Schrift den Unterricht,
Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne.
Kann eine Kreatur denn seyn?
Nach meiner Meynung sag ich: Nein.
Und würd' ich denen, die mich fragen,
Viel eh', als daß wir seyn, daß wir nur werden, sagen.


Das Denken scheinet eine Kraft sich Etwas bloß nur
vorzustellen,
Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein
Urthel fällen.
Nun fragt sichs, Stolz und Zank zu dämpfen, ob wir da-
her nicht billig schließen:
Daß Thiere denken, Menschen meynen, und daß allein die
Engel wissen?
Aus
Vermiſchte Gedichte


Gewiß, es waͤr an einem Vieh die Frechheit minder
zu veruͤbeln,
Wenn es dein’ Abſicht, deine Schluͤſſe bemuͤhet waͤre zu
ergruͤbeln;
Als daß dein unverſchaͤmter Stolz der Gottheit Uner-
maͤßlichkeit
Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen ſich zu ergruͤnden un-
terſtehet.
Da ja der Abſtand deines Geiſtes zu goͤttlicher Vollkom-
menheit,
Den Abſtand zwiſchen einem Vieh und dir, unendlich
uͤbergehet.


Was heißet Seyn? ich faſſ’ es nicht.
Doch giebt mir die Vernunft ſo viel Bericht:
Daß man das Seyn allein
Von Gott mit Wahrheit ſagen koͤnne.
Auch giebt die Schrift den Unterricht,
Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne.
Kann eine Kreatur denn ſeyn?
Nach meiner Meynung ſag ich: Nein.
Und wuͤrd’ ich denen, die mich fragen,
Viel eh’, als daß wir ſeyn, daß wir nur werden, ſagen.


Das Denken ſcheinet eine Kraft ſich Etwas bloß nur
vorzuſtellen,
Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein
Urthel faͤllen.
Nun fragt ſichs, Stolz und Zank zu daͤmpfen, ob wir da-
her nicht billig ſchließen:
Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß allein die
Engel wiſſen?
Aus
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[532/0552] Vermiſchte Gedichte Gewiß, es waͤr an einem Vieh die Frechheit minder zu veruͤbeln, Wenn es dein’ Abſicht, deine Schluͤſſe bemuͤhet waͤre zu ergruͤbeln; Als daß dein unverſchaͤmter Stolz der Gottheit Uner- maͤßlichkeit Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen ſich zu ergruͤnden un- terſtehet. Da ja der Abſtand deines Geiſtes zu goͤttlicher Vollkom- menheit, Den Abſtand zwiſchen einem Vieh und dir, unendlich uͤbergehet. Was heißet Seyn? ich faſſ’ es nicht. Doch giebt mir die Vernunft ſo viel Bericht: Daß man das Seyn allein Von Gott mit Wahrheit ſagen koͤnne. Auch giebt die Schrift den Unterricht, Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne. Kann eine Kreatur denn ſeyn? Nach meiner Meynung ſag ich: Nein. Und wuͤrd’ ich denen, die mich fragen, Viel eh’, als daß wir ſeyn, daß wir nur werden, ſagen. Das Denken ſcheinet eine Kraft ſich Etwas bloß nur vorzuſtellen, Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein Urthel faͤllen. Nun fragt ſichs, Stolz und Zank zu daͤmpfen, ob wir da- her nicht billig ſchließen: Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß allein die Engel wiſſen? Aus

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/552>, abgerufen am 07.05.2024.