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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

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Die Mutter, die Tochter und andere weibliche Anver-
wandte, bleiben im Hause stehen, so daß sie die Ge-
sellschaft sehen können, ohne von ihr gesehen zu werden.
Sie fragen das Mädchen, welchen von den Freyern
sie zum Manne wählen wolle, und nachdem dieser
Punkt in Ansehung ihrer Wahl ausgemacht ist, so
gehet die Gesellschaft, wenn sie wacker gezecht hat,
aus einander, ohne zu wissen, wer der glückliche
Mann ist. Den folgenden Tag werden etliche von
des Mädchens Verwandten abgeschickt, um sich mit
den Freunden des erwählten Bräutigams zu berath-
schlagen. Wenn die Heirath eingegangen wird, so
werden zwey oder drey Weiber von dem Bräutigam
abgeschickt, denen es erlaubt ist, die Braut zu unter-
suchen, ob sie einen persönlichen Fehler hat, da sie
denn ganz nackend vor ihnen erscheinen muß. Hier-
auf schließen die Freunde die Heirath, dem neuen
Paare aber ist es nicht erlaubt, einander zu sehen,
als bis sie in der Schlafkammer zusammen kommen.

Die Prinzessinn Natalia, die einzige SchwesterEinfall der
Prinzessinn
Natalia.

des Czars von eben der Mutter, ließ um diese Zeit
Anstalten zu einer großen Hochzeit zweyer von ihren
Zwergen machen, die einander heirathen sollten. Bey
dieser Gelegenheit wurden viel kleine Kutschen gebauet
und kleine Schottländische Pferde angeschafft, dieselben
zu ziehen. Alle Zwerge, die sich im Reiche befan-
den, deren Zahl sich auf 93 belief, wurden zusam-
men gefordert, diese Hochzeit zu begehen. Sie gien-
gen in einer großen Procession durch alle Straßen in
Moskau; vor ihnen gieng ein großer offener Wagen,
der mit sechs Pferden bespannt war, auf welchem
Musikanten mit Pauken, Trompeten, Waldhörnern

und
G 3

Die Mutter, die Tochter und andere weibliche Anver-
wandte, bleiben im Hauſe ſtehen, ſo daß ſie die Ge-
ſellſchaft ſehen koͤnnen, ohne von ihr geſehen zu werden.
Sie fragen das Maͤdchen, welchen von den Freyern
ſie zum Manne waͤhlen wolle, und nachdem dieſer
Punkt in Anſehung ihrer Wahl ausgemacht iſt, ſo
gehet die Geſellſchaft, wenn ſie wacker gezecht hat,
aus einander, ohne zu wiſſen, wer der gluͤckliche
Mann iſt. Den folgenden Tag werden etliche von
des Maͤdchens Verwandten abgeſchickt, um ſich mit
den Freunden des erwaͤhlten Braͤutigams zu berath-
ſchlagen. Wenn die Heirath eingegangen wird, ſo
werden zwey oder drey Weiber von dem Braͤutigam
abgeſchickt, denen es erlaubt iſt, die Braut zu unter-
ſuchen, ob ſie einen perſoͤnlichen Fehler hat, da ſie
denn ganz nackend vor ihnen erſcheinen muß. Hier-
auf ſchließen die Freunde die Heirath, dem neuen
Paare aber iſt es nicht erlaubt, einander zu ſehen,
als bis ſie in der Schlafkammer zuſammen kommen.

Die Prinzeſſinn Natalia, die einzige SchweſterEinfall der
Prinzeſſinn
Natalia.

des Czars von eben der Mutter, ließ um dieſe Zeit
Anſtalten zu einer großen Hochzeit zweyer von ihren
Zwergen machen, die einander heirathen ſollten. Bey
dieſer Gelegenheit wurden viel kleine Kutſchen gebauet
und kleine Schottlaͤndiſche Pferde angeſchafft, dieſelben
zu ziehen. Alle Zwerge, die ſich im Reiche befan-
den, deren Zahl ſich auf 93 belief, wurden zuſam-
men gefordert, dieſe Hochzeit zu begehen. Sie gien-
gen in einer großen Proceſſion durch alle Straßen in
Moskau; vor ihnen gieng ein großer offener Wagen,
der mit ſechs Pferden beſpannt war, auf welchem
Muſikanten mit Pauken, Trompeten, Waldhoͤrnern

und
G 3
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[101/0111] Die Mutter, die Tochter und andere weibliche Anver- wandte, bleiben im Hauſe ſtehen, ſo daß ſie die Ge- ſellſchaft ſehen koͤnnen, ohne von ihr geſehen zu werden. Sie fragen das Maͤdchen, welchen von den Freyern ſie zum Manne waͤhlen wolle, und nachdem dieſer Punkt in Anſehung ihrer Wahl ausgemacht iſt, ſo gehet die Geſellſchaft, wenn ſie wacker gezecht hat, aus einander, ohne zu wiſſen, wer der gluͤckliche Mann iſt. Den folgenden Tag werden etliche von des Maͤdchens Verwandten abgeſchickt, um ſich mit den Freunden des erwaͤhlten Braͤutigams zu berath- ſchlagen. Wenn die Heirath eingegangen wird, ſo werden zwey oder drey Weiber von dem Braͤutigam abgeſchickt, denen es erlaubt iſt, die Braut zu unter- ſuchen, ob ſie einen perſoͤnlichen Fehler hat, da ſie denn ganz nackend vor ihnen erſcheinen muß. Hier- auf ſchließen die Freunde die Heirath, dem neuen Paare aber iſt es nicht erlaubt, einander zu ſehen, als bis ſie in der Schlafkammer zuſammen kommen. Die Prinzeſſinn Natalia, die einzige Schweſter des Czars von eben der Mutter, ließ um dieſe Zeit Anſtalten zu einer großen Hochzeit zweyer von ihren Zwergen machen, die einander heirathen ſollten. Bey dieſer Gelegenheit wurden viel kleine Kutſchen gebauet und kleine Schottlaͤndiſche Pferde angeſchafft, dieſelben zu ziehen. Alle Zwerge, die ſich im Reiche befan- den, deren Zahl ſich auf 93 belief, wurden zuſam- men gefordert, dieſe Hochzeit zu begehen. Sie gien- gen in einer großen Proceſſion durch alle Straßen in Moskau; vor ihnen gieng ein großer offener Wagen, der mit ſechs Pferden beſpannt war, auf welchem Muſikanten mit Pauken, Trompeten, Waldhoͤrnern und Einfall der Prinzeſſinn Natalia. G 3

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Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/111>, abgerufen am 29.04.2024.