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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Entwickelung ausserhalb dieser Grenzen liegen. Aber inner-
halb dieser Zeit drängt sich so vieles und so verschieden-
artiges zusammen, dass man wohl fragen darf, ob sich dies
alles unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigen
lässt, wie er zur Abgrenzung einer Periode nothwendig ist.
Dazu kommt, dass die Gliederung des Stoffes, die sich uns
ganz ungesucht ergeben hat, eine Theilung zu begünstigen
scheint. Denn wenn unleugbar die beiden Schulen der Male-
rei, welche hier voran stehen, die sikyonische und die the-
banisch-attische, sich uns als in nebeneinander laufender
Entwickelung zu einem gemeinsamen Endziel ansteigend dar-
stellen, während dieses Ziel in den Leistungen des Apelles,
Protogenes und der neben ihnen stehenden Künstler sich
als erreicht betrachten lässt, so gewinnt es danach auf den
ersten Blick das Aussehen, als ob am naturgemässesten die
Epoche des Ansteigens zu der Höhe von der schliesslichen
Entwickelung und Entfaltung der Vollendung auf derselben
sich scheide. Allein schon für eine ganz äusserliche Betrach-
tung ist eine solche Scheidung nicht durchzuführen, da diese
beiden Schulen jene höchste Entwickelung nicht blos vorbe-
reiten, sondern selbst an ihr Theil nehmen. Ihre glänzend-
sten Vertreter sind nicht sowohl Vorgänger und Vorläufer
des Apelles, als dass sie selbstständig neben ihm stehen;
ja die letzte Entwickelung jener Schulen reicht sogar über
die Zeit des Apelles noch hinaus. Eine Theilung der vorlie-
genden Periode würde uns also zwingen, die Einheit der
Schulen gewaltsam zu zerreissen.

Um nun aber die verschiedenartigen Erscheinungen der-
selben unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammen-
zufassen, werden wir damit beginnen, an die Bedeutung der
vorigen Periode nochmals mit kurzen Worten zu erinnern.
Diese beruht auf dem Gegensatz, in welchen durch Apollo-
dor und die Kleinasiaten die neuere Malerei zu der ältern
des Polygnot tritt. Es ist hier ein durchaus neues Princip,
welches sich Geltung zu verschaffen sucht; ein Princip, wel-
ches sich nicht nur auf eine einzelne Seite, sondern auf die
gesammte Kunstübung erstreckte und dieselbe von Grund aus
umgestalten musste. Getragen wird es von mehreren bedeu-
tenden Künstlern, die hier in verschiedenem Sinne thätig
sind. Allein so hoch wir auch ihre Leistungen anschlagen

Entwickelung ausserhalb dieser Grenzen liegen. Aber inner-
halb dieser Zeit drängt sich so vieles und so verschieden-
artiges zusammen, dass man wohl fragen darf, ob sich dies
alles unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigen
lässt, wie er zur Abgrenzung einer Periode nothwendig ist.
Dazu kommt, dass die Gliederung des Stoffes, die sich uns
ganz ungesucht ergeben hat, eine Theilung zu begünstigen
scheint. Denn wenn unleugbar die beiden Schulen der Male-
rei, welche hier voran stehen, die sikyonische und die the-
banisch-attische, sich uns als in nebeneinander laufender
Entwickelung zu einem gemeinsamen Endziel ansteigend dar-
stellen, während dieses Ziel in den Leistungen des Apelles,
Protogenes und der neben ihnen stehenden Künstler sich
als erreicht betrachten lässt, so gewinnt es danach auf den
ersten Blick das Aussehen, als ob am naturgemässesten die
Epoche des Ansteigens zu der Höhe von der schliesslichen
Entwickelung und Entfaltung der Vollendung auf derselben
sich scheide. Allein schon für eine ganz äusserliche Betrach-
tung ist eine solche Scheidung nicht durchzuführen, da diese
beiden Schulen jene höchste Entwickelung nicht blos vorbe-
reiten, sondern selbst an ihr Theil nehmen. Ihre glänzend-
sten Vertreter sind nicht sowohl Vorgänger und Vorläufer
des Apelles, als dass sie selbstständig neben ihm stehen;
ja die letzte Entwickelung jener Schulen reicht sogar über
die Zeit des Apelles noch hinaus. Eine Theilung der vorlie-
genden Periode würde uns also zwingen, die Einheit der
Schulen gewaltsam zu zerreissen.

Um nun aber die verschiedenartigen Erscheinungen der-
selben unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammen-
zufassen, werden wir damit beginnen, an die Bedeutung der
vorigen Periode nochmals mit kurzen Worten zu erinnern.
Diese beruht auf dem Gegensatz, in welchen durch Apollo-
dor und die Kleinasiaten die neuere Malerei zu der ältern
des Polygnot tritt. Es ist hier ein durchaus neues Princip,
welches sich Geltung zu verschaffen sucht; ein Princip, wel-
ches sich nicht nur auf eine einzelne Seite, sondern auf die
gesammte Kunstübung erstreckte und dieselbe von Grund aus
umgestalten musste. Getragen wird es von mehreren bedeu-
tenden Künstlern, die hier in verschiedenem Sinne thätig
sind. Allein so hoch wir auch ihre Leistungen anschlagen

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[262/0270] Entwickelung ausserhalb dieser Grenzen liegen. Aber inner- halb dieser Zeit drängt sich so vieles und so verschieden- artiges zusammen, dass man wohl fragen darf, ob sich dies alles unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigen lässt, wie er zur Abgrenzung einer Periode nothwendig ist. Dazu kommt, dass die Gliederung des Stoffes, die sich uns ganz ungesucht ergeben hat, eine Theilung zu begünstigen scheint. Denn wenn unleugbar die beiden Schulen der Male- rei, welche hier voran stehen, die sikyonische und die the- banisch-attische, sich uns als in nebeneinander laufender Entwickelung zu einem gemeinsamen Endziel ansteigend dar- stellen, während dieses Ziel in den Leistungen des Apelles, Protogenes und der neben ihnen stehenden Künstler sich als erreicht betrachten lässt, so gewinnt es danach auf den ersten Blick das Aussehen, als ob am naturgemässesten die Epoche des Ansteigens zu der Höhe von der schliesslichen Entwickelung und Entfaltung der Vollendung auf derselben sich scheide. Allein schon für eine ganz äusserliche Betrach- tung ist eine solche Scheidung nicht durchzuführen, da diese beiden Schulen jene höchste Entwickelung nicht blos vorbe- reiten, sondern selbst an ihr Theil nehmen. Ihre glänzend- sten Vertreter sind nicht sowohl Vorgänger und Vorläufer des Apelles, als dass sie selbstständig neben ihm stehen; ja die letzte Entwickelung jener Schulen reicht sogar über die Zeit des Apelles noch hinaus. Eine Theilung der vorlie- genden Periode würde uns also zwingen, die Einheit der Schulen gewaltsam zu zerreissen. Um nun aber die verschiedenartigen Erscheinungen der- selben unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammen- zufassen, werden wir damit beginnen, an die Bedeutung der vorigen Periode nochmals mit kurzen Worten zu erinnern. Diese beruht auf dem Gegensatz, in welchen durch Apollo- dor und die Kleinasiaten die neuere Malerei zu der ältern des Polygnot tritt. Es ist hier ein durchaus neues Princip, welches sich Geltung zu verschaffen sucht; ein Princip, wel- ches sich nicht nur auf eine einzelne Seite, sondern auf die gesammte Kunstübung erstreckte und dieselbe von Grund aus umgestalten musste. Getragen wird es von mehreren bedeu- tenden Künstlern, die hier in verschiedenem Sinne thätig sind. Allein so hoch wir auch ihre Leistungen anschlagen

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/270>, abgerufen am 29.04.2024.