Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

anderweitige Bestrebungen zunächst sich nicht Bahn zu bre-
chen vermochten: ausser den Künstlern, welche sich ihm
durchaus anschlossen, scheint z. B. auch Dionysios von Ko-
lophon seine hauptsächlichste Anregung durch Polygnot er-
halten zu haben. Doch konnte es schon bei diesem Künstler
nicht ausbleiben, dass er sich wegen seiner wesentlich ver-
schiedenen ursprünglichen Befähigung in der weiteren Ent-
wickelung von seinem Vorbilde trennte und der hohen rein
poetischen Auffassung gegenüber in eine mehr der Wirklich-
keit sich annähernde Richtung einlenkte. Freilich würde auf
diesem Wege eine Umwandlung der Kunst nur sehr langsam
von Statten gegangen sein. Weit entscheidender wirkte es
dagegen, als in Athen die Skenographie durch Agatharchos
aus Samos ihre erste praktische Ausbildung erhielt. Denn
sie musste ihrer Natur nach, ganz im Gegensatze zu der hö-
heren Malerei, von einem Streben nach Illusion ausgehen,
durch welche sie mit der Wirklichkeit wetteifert. Dadurch
aber wurde das Auge des Beschauers verwöhnt, und suchte
nun diese Illusion auch da, wo man sie bisher nicht vermisst
hatte, nemlich in der Darstellung der Menschengestalt. Dies
war der entscheidende Wendepunkt; und innerhalb eines ein-
zigen Menschenalters erblicken wir die Kunst von Grund aus
verändert. Dass einzelne der schon angeführten Künstler,
wie Aristophon, bereits dieser neuen Zeit mehr als der alten
angehören, wurde schon früher bemerkt. Das Wesen dieser
Veränderung selbst kann jedoch erst bei den Künstlern der
nächsten Periode genauer festgestellt werden. Ob Agatharch
zur Ausbildung seiner neuen Kunstgattung durch verwandte
Bestrebungen der Künstler seiner Heimath Samos oder Klein-
asiens vorbereitet war, vermögen wir nicht zu entscheiden.
Denn von Athen abgesehen finden wir über die Kunstübung
an allen andern Punkten Griechenlands bis auf die Zeit des
Zeuxis nur zerstreute und ganz zusammenhanglose Notizen.


anderweitige Bestrebungen zunächst sich nicht Bahn zu bre-
chen vermochten: ausser den Künstlern, welche sich ihm
durchaus anschlossen, scheint z. B. auch Dionysios von Ko-
lophon seine hauptsächlichste Anregung durch Polygnot er-
halten zu haben. Doch konnte es schon bei diesem Künstler
nicht ausbleiben, dass er sich wegen seiner wesentlich ver-
schiedenen ursprünglichen Befähigung in der weiteren Ent-
wickelung von seinem Vorbilde trennte und der hohen rein
poetischen Auffassung gegenüber in eine mehr der Wirklich-
keit sich annähernde Richtung einlenkte. Freilich würde auf
diesem Wege eine Umwandlung der Kunst nur sehr langsam
von Statten gegangen sein. Weit entscheidender wirkte es
dagegen, als in Athen die Skenographie durch Agatharchos
aus Samos ihre erste praktische Ausbildung erhielt. Denn
sie musste ihrer Natur nach, ganz im Gegensatze zu der hö-
heren Malerei, von einem Streben nach Illusion ausgehen,
durch welche sie mit der Wirklichkeit wetteifert. Dadurch
aber wurde das Auge des Beschauers verwöhnt, und suchte
nun diese Illusion auch da, wo man sie bisher nicht vermisst
hatte, nemlich in der Darstellung der Menschengestalt. Dies
war der entscheidende Wendepunkt; und innerhalb eines ein-
zigen Menschenalters erblicken wir die Kunst von Grund aus
verändert. Dass einzelne der schon angeführten Künstler,
wie Aristophon, bereits dieser neuen Zeit mehr als der alten
angehören, wurde schon früher bemerkt. Das Wesen dieser
Veränderung selbst kann jedoch erst bei den Künstlern der
nächsten Periode genauer festgestellt werden. Ob Agatharch
zur Ausbildung seiner neuen Kunstgattung durch verwandte
Bestrebungen der Künstler seiner Heimath Samos oder Klein-
asiens vorbereitet war, vermögen wir nicht zu entscheiden.
Denn von Athen abgesehen finden wir über die Kunstübung
an allen andern Punkten Griechenlands bis auf die Zeit des
Zeuxis nur zerstreute und ganz zusammenhanglose Notizen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0078" n="70"/>
anderweitige Bestrebungen zunächst sich nicht Bahn zu bre-<lb/>
chen vermochten: ausser den Künstlern, welche sich ihm<lb/>
durchaus anschlossen, scheint z. B. auch Dionysios von Ko-<lb/>
lophon seine hauptsächlichste Anregung durch Polygnot er-<lb/>
halten zu haben. Doch konnte es schon bei diesem Künstler<lb/>
nicht ausbleiben, dass er sich wegen seiner wesentlich ver-<lb/>
schiedenen ursprünglichen Befähigung in der weiteren Ent-<lb/>
wickelung von seinem Vorbilde trennte und der hohen rein<lb/>
poetischen Auffassung gegenüber in eine mehr der Wirklich-<lb/>
keit sich annähernde Richtung einlenkte. Freilich würde auf<lb/>
diesem Wege eine Umwandlung der Kunst nur sehr langsam<lb/>
von Statten gegangen sein. Weit entscheidender wirkte es<lb/>
dagegen, als in Athen die Skenographie durch Agatharchos<lb/>
aus Samos ihre erste praktische Ausbildung erhielt. Denn<lb/>
sie musste ihrer Natur nach, ganz im Gegensatze zu der hö-<lb/>
heren Malerei, von einem Streben nach Illusion ausgehen,<lb/>
durch welche sie mit der Wirklichkeit wetteifert. Dadurch<lb/>
aber wurde das Auge des Beschauers verwöhnt, und suchte<lb/>
nun diese Illusion auch da, wo man sie bisher nicht vermisst<lb/>
hatte, nemlich in der Darstellung der Menschengestalt. Dies<lb/>
war der entscheidende Wendepunkt; und innerhalb eines ein-<lb/>
zigen Menschenalters erblicken wir die Kunst von Grund aus<lb/>
verändert. Dass einzelne der schon angeführten Künstler,<lb/>
wie Aristophon, bereits dieser neuen Zeit mehr als der alten<lb/>
angehören, wurde schon früher bemerkt. Das Wesen dieser<lb/>
Veränderung selbst kann jedoch erst bei den Künstlern der<lb/>
nächsten Periode genauer festgestellt werden. Ob Agatharch<lb/>
zur Ausbildung seiner neuen Kunstgattung durch verwandte<lb/>
Bestrebungen der Künstler seiner Heimath Samos oder Klein-<lb/>
asiens vorbereitet war, vermögen wir nicht zu entscheiden.<lb/>
Denn von Athen abgesehen finden wir über die Kunstübung<lb/>
an allen andern Punkten Griechenlands bis auf die Zeit des<lb/>
Zeuxis nur zerstreute und ganz zusammenhanglose Notizen.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0078] anderweitige Bestrebungen zunächst sich nicht Bahn zu bre- chen vermochten: ausser den Künstlern, welche sich ihm durchaus anschlossen, scheint z. B. auch Dionysios von Ko- lophon seine hauptsächlichste Anregung durch Polygnot er- halten zu haben. Doch konnte es schon bei diesem Künstler nicht ausbleiben, dass er sich wegen seiner wesentlich ver- schiedenen ursprünglichen Befähigung in der weiteren Ent- wickelung von seinem Vorbilde trennte und der hohen rein poetischen Auffassung gegenüber in eine mehr der Wirklich- keit sich annähernde Richtung einlenkte. Freilich würde auf diesem Wege eine Umwandlung der Kunst nur sehr langsam von Statten gegangen sein. Weit entscheidender wirkte es dagegen, als in Athen die Skenographie durch Agatharchos aus Samos ihre erste praktische Ausbildung erhielt. Denn sie musste ihrer Natur nach, ganz im Gegensatze zu der hö- heren Malerei, von einem Streben nach Illusion ausgehen, durch welche sie mit der Wirklichkeit wetteifert. Dadurch aber wurde das Auge des Beschauers verwöhnt, und suchte nun diese Illusion auch da, wo man sie bisher nicht vermisst hatte, nemlich in der Darstellung der Menschengestalt. Dies war der entscheidende Wendepunkt; und innerhalb eines ein- zigen Menschenalters erblicken wir die Kunst von Grund aus verändert. Dass einzelne der schon angeführten Künstler, wie Aristophon, bereits dieser neuen Zeit mehr als der alten angehören, wurde schon früher bemerkt. Das Wesen dieser Veränderung selbst kann jedoch erst bei den Künstlern der nächsten Periode genauer festgestellt werden. Ob Agatharch zur Ausbildung seiner neuen Kunstgattung durch verwandte Bestrebungen der Künstler seiner Heimath Samos oder Klein- asiens vorbereitet war, vermögen wir nicht zu entscheiden. Denn von Athen abgesehen finden wir über die Kunstübung an allen andern Punkten Griechenlands bis auf die Zeit des Zeuxis nur zerstreute und ganz zusammenhanglose Notizen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/78
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/78>, abgerufen am 01.05.2024.