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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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stimmen." Natter ward 1705 geboren (s. z. B. Baur biogr.
Handwörterbuch IV, S. 16); nachdem er sechs Jahre Juwe-
lier gewesen war, ging er (also wohl gegen zwanzig Jahr
alt) nach der Schweiz, wo er etwa eben so lange arbeitete;
von dort nach Venedig, und hier erst ward er ganz Stein-
schneider, zunächst jedoch in der Weise, dass er nur Wappen
schnitt. Erst als er (etwa 1732) nach Florenz kam, fing er
auf Stosch's Veranlassung an, sich im Copiren und Nachah-
men des Antiken zu üben (Natter Meth. preface p. 31 u. 33).
Dass Natter vor 1723 die Nike geschnitten, ist also geradezu
unmöglich. Aber woher weiss überhaupt Stephani so be-
stimmt, dass der Stein damals schon existirte? Er schliesst
dies bloss, um den Schluss als Grundlage für weitere Fol-
gerungen zu benutzen. Um nämlich einen Stützpunkt für
das Vorkommen des Sostratos in Gemmeninschriften zu fin-
den, weist er auf ein Marmorwerk mit gleicher Inschrift hin,
von welchem die Gemme der Nike eine directe Copie sei:
Lajard, Culte de Venus, pl. 11, 1. Die Uebereinstimmung
zwischen beiden ist allerdings frappant, aber nur zu frappant,
wenn man Lajard's Bemerkungen (S. 177) weiter verfolgt.
Lajard erhielt die Skizze des angeblichen Marmors von einem
Bildhauer Lange, der weder aus dem Gedächtnisse, noch
durch eine schriftliche Notiz die Sammlung anzugeben wusste,
in der er das Monument während seines Aufenthalts zu Rom
gesehen und gezeichnet. Er vermuthet es nur im Giardino
della Pigna des Vatican. Die Nachforschungen, welche La-
jard dort hat anstellen lassen, haben indessen keinen Erfolg ge-
habt. Betrachten wir nun die Composition genauer, die in der
Skizze ohne eine das Ganze umschliessende Linie gegeben ist,
aber sich augenscheinlich nur für einen bei Reliefs sehr unge-
wöhnlichen ovalen Raum eignet, so werden wir vielmehr zu der
Ueberzeugung gelangen müssen, dass sie nichts ist, als eine
vergrösserte Zeichnung der Gemme. Die Angabe des angebli-
chen Maasses in der Erklärung der Tafeln 0,812 m., scheint
sich auf die etwa achtfache Vergrösserung des Bildes in der
Zeichnung zu beziehen. Damit aber verliert die ganze Ste-
phani'sche Hypothese über den Ursprung des Namens des So-
stratos ihre Grundlage; und wir werden somit auf die Inschrift
der an erster Stelle angeführten farnesischen Gemme als
muthmaasslichen Ausgangspunkt der Fälschungen hingewie-

stimmen.‟ Natter ward 1705 geboren (s. z. B. Baur biogr.
Handwörterbuch IV, S. 16); nachdem er sechs Jahre Juwe-
lier gewesen war, ging er (also wohl gegen zwanzig Jahr
alt) nach der Schweiz, wo er etwa eben so lange arbeitete;
von dort nach Venedig, und hier erst ward er ganz Stein-
schneider, zunächst jedoch in der Weise, dass er nur Wappen
schnitt. Erst als er (etwa 1732) nach Florenz kam, fing er
auf Stosch’s Veranlassung an, sich im Copiren und Nachah-
men des Antiken zu üben (Natter Méth. préface p. 31 u. 33).
Dass Natter vor 1723 die Nike geschnitten, ist also geradezu
unmöglich. Aber woher weiss überhaupt Stephani so be-
stimmt, dass der Stein damals schon existirte? Er schliesst
dies bloss, um den Schluss als Grundlage für weitere Fol-
gerungen zu benutzen. Um nämlich einen Stützpunkt für
das Vorkommen des Sostratos in Gemmeninschriften zu fin-
den, weist er auf ein Marmorwerk mit gleicher Inschrift hin,
von welchem die Gemme der Nike eine directe Copie sei:
Lajard, Culte de Vénus, pl. 11, 1. Die Uebereinstimmung
zwischen beiden ist allerdings frappant, aber nur zu frappant,
wenn man Lajard’s Bemerkungen (S. 177) weiter verfolgt.
Lajard erhielt die Skizze des angeblichen Marmors von einem
Bildhauer Lange, der weder aus dem Gedächtnisse, noch
durch eine schriftliche Notiz die Sammlung anzugeben wusste,
in der er das Monument während seines Aufenthalts zu Rom
gesehen und gezeichnet. Er vermuthet es nur im Giardino
della Pigna des Vatican. Die Nachforschungen, welche La-
jard dort hat anstellen lassen, haben indessen keinen Erfolg ge-
habt. Betrachten wir nun die Composition genauer, die in der
Skizze ohne eine das Ganze umschliessende Linie gegeben ist,
aber sich augenscheinlich nur für einen bei Reliefs sehr unge-
wöhnlichen ovalen Raum eignet, so werden wir vielmehr zu der
Ueberzeugung gelangen müssen, dass sie nichts ist, als eine
vergrösserte Zeichnung der Gemme. Die Angabe des angebli-
chen Maasses in der Erklärung der Tafeln 0,812 m., scheint
sich auf die etwa achtfache Vergrösserung des Bildes in der
Zeichnung zu beziehen. Damit aber verliert die ganze Ste-
phani’sche Hypothese über den Ursprung des Namens des So-
stratos ihre Grundlage; und wir werden somit auf die Inschrift
der an erster Stelle angeführten farnesischen Gemme als
muthmaasslichen Ausgangspunkt der Fälschungen hingewie-

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[588/0605] stimmen.‟ Natter ward 1705 geboren (s. z. B. Baur biogr. Handwörterbuch IV, S. 16); nachdem er sechs Jahre Juwe- lier gewesen war, ging er (also wohl gegen zwanzig Jahr alt) nach der Schweiz, wo er etwa eben so lange arbeitete; von dort nach Venedig, und hier erst ward er ganz Stein- schneider, zunächst jedoch in der Weise, dass er nur Wappen schnitt. Erst als er (etwa 1732) nach Florenz kam, fing er auf Stosch’s Veranlassung an, sich im Copiren und Nachah- men des Antiken zu üben (Natter Méth. préface p. 31 u. 33). Dass Natter vor 1723 die Nike geschnitten, ist also geradezu unmöglich. Aber woher weiss überhaupt Stephani so be- stimmt, dass der Stein damals schon existirte? Er schliesst dies bloss, um den Schluss als Grundlage für weitere Fol- gerungen zu benutzen. Um nämlich einen Stützpunkt für das Vorkommen des Sostratos in Gemmeninschriften zu fin- den, weist er auf ein Marmorwerk mit gleicher Inschrift hin, von welchem die Gemme der Nike eine directe Copie sei: Lajard, Culte de Vénus, pl. 11, 1. Die Uebereinstimmung zwischen beiden ist allerdings frappant, aber nur zu frappant, wenn man Lajard’s Bemerkungen (S. 177) weiter verfolgt. Lajard erhielt die Skizze des angeblichen Marmors von einem Bildhauer Lange, der weder aus dem Gedächtnisse, noch durch eine schriftliche Notiz die Sammlung anzugeben wusste, in der er das Monument während seines Aufenthalts zu Rom gesehen und gezeichnet. Er vermuthet es nur im Giardino della Pigna des Vatican. Die Nachforschungen, welche La- jard dort hat anstellen lassen, haben indessen keinen Erfolg ge- habt. Betrachten wir nun die Composition genauer, die in der Skizze ohne eine das Ganze umschliessende Linie gegeben ist, aber sich augenscheinlich nur für einen bei Reliefs sehr unge- wöhnlichen ovalen Raum eignet, so werden wir vielmehr zu der Ueberzeugung gelangen müssen, dass sie nichts ist, als eine vergrösserte Zeichnung der Gemme. Die Angabe des angebli- chen Maasses in der Erklärung der Tafeln 0,812 m., scheint sich auf die etwa achtfache Vergrösserung des Bildes in der Zeichnung zu beziehen. Damit aber verliert die ganze Ste- phani’sche Hypothese über den Ursprung des Namens des So- stratos ihre Grundlage; und wir werden somit auf die Inschrift der an erster Stelle angeführten farnesischen Gemme als muthmaasslichen Ausgangspunkt der Fälschungen hingewie-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/605>, abgerufen am 15.06.2024.