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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 14. Die Stände.
Freiheit. Nahm ein Dritter ihn als Knecht in Anspruch, so war er
nicht in der Lage, seine Freiheit selbst zu verteidigen, sondern es
musste sein Schutzherr für ihn eintreten20.

Um die Abhängigkeit des Freigelassenen vollständig zu zerreissen
bedarf es eines öffentlich-rechtlichen Aktes21, bei welchem neben dem
Freilasser noch andere Mächte wirksam werden, welche die rechtliche
Tragweite der Freilassung über die der Machtsphäre des Freilassers
gezogenen Schranken erweitern. Nach älterem schwedischen Rechte
wird die Freilassung zu vollem Rechte dadurch vermittelt, dass der
Freigelassene vor der Landesgemeinde oder im Thing oder vor der
Kirchengemeinde in ein freies Geschlecht aufgenommen wird (aetle-
thing, Geschlechtsleite). Der Akt der Geschlechtsleite ist auch dem
altdänischen Rechte bekannt22. Auf Island bedarf es zur Freilassung
einer Rechtshandlung, die leida i lög genannt wird und darin besteht,
dass der Häuptling (der Gode) den Freigelassenen in die Rechts-
gemeinschaft der Volksgenossen aufnimmt23. Bei den Langobarden
vermag eine Freilassung durch die Hand des Königs24, bei den Baiern
eine solche durch die Hand des Herzogs die volle Freiheit zu ge-
währen25. Nach fränkischem Recht hat diese Wirkung eine Frei-
lassung vor dem König, der darauf hin den Freigelassenen für vollfrei
erklärt26. Eine Freilassung, welche in öffentlicher Versammlung durch
Wehrhaftmachung geschah, bezeugt das älteste anglonormannische
Recht und eine solche scheint auch die langobardische manumissio
per gairethinx ursprünglich gewesen zu sein27.

20 Das salische Recht verlangt für den Freiheitsbeweis die Eidhilfe von Vater-
und von Muttermagen. Der Freigelassene hat weder die einen noch die anderen.
Das langobardische Recht macht bei der Freilassung zum amund das Eintreten des
Herrn dadurch entbehrlich, dass der Freizulassende dreimal tradiert wird und damit
künstlich drei Gewährsmänner der Freiheit geschaffen werden. Vgl. Pappenheim,
Launegild und Garethinx S 37 Anm 28.
21 Schröder, RG I 38.
22 Andr. Sunesen c. 73, vgl. 51. Kolderup-Rosenvinge § 41.
23 Pappenheim a. O. S 41. Auch das norwegische frelsisöl ist vielleicht
aus einer öffentlich-rechtlichen Freilassungsform hervorgegangen. Es scheint an
Stelle eines in heidnischer Zeit dargebrachten Opfers getreten zu sein, welches die
Aufnahme des Freigelassenen in die Opfergemeinschaft und damit in die Volks-
genossenschaft bedeutete. Der vom König freigelassene Knecht gilt nach norwegi-
schem Rechte für vollkommen frei, ohne dass es auf die Haltung des Freilassungs-
biers ankommt. Gulathingsl. § 61.
24 Rothari 224; Liu. 51. 52.
25 Tassil. decr. Niuh. c. 8: LL III 465.
26 S. unten § 31.
27 Schröder, Garethinx, Z2 f. RG VII 55 f. Das Moment der Öffentlichkeit

§ 14. Die Stände.
Freiheit. Nahm ein Dritter ihn als Knecht in Anspruch, so war er
nicht in der Lage, seine Freiheit selbst zu verteidigen, sondern es
muſste sein Schutzherr für ihn eintreten20.

Um die Abhängigkeit des Freigelassenen vollständig zu zerreiſsen
bedarf es eines öffentlich-rechtlichen Aktes21, bei welchem neben dem
Freilasser noch andere Mächte wirksam werden, welche die rechtliche
Tragweite der Freilassung über die der Machtsphäre des Freilassers
gezogenen Schranken erweitern. Nach älterem schwedischen Rechte
wird die Freilassung zu vollem Rechte dadurch vermittelt, daſs der
Freigelassene vor der Landesgemeinde oder im Thing oder vor der
Kirchengemeinde in ein freies Geschlecht aufgenommen wird (ætle-
þing, Geschlechtsleite). Der Akt der Geschlechtsleite ist auch dem
altdänischen Rechte bekannt22. Auf Island bedarf es zur Freilassung
einer Rechtshandlung, die leiđa í lög genannt wird und darin besteht,
daſs der Häuptling (der Gode) den Freigelassenen in die Rechts-
gemeinschaft der Volksgenossen aufnimmt23. Bei den Langobarden
vermag eine Freilassung durch die Hand des Königs24, bei den Baiern
eine solche durch die Hand des Herzogs die volle Freiheit zu ge-
währen25. Nach fränkischem Recht hat diese Wirkung eine Frei-
lassung vor dem König, der darauf hin den Freigelassenen für vollfrei
erklärt26. Eine Freilassung, welche in öffentlicher Versammlung durch
Wehrhaftmachung geschah, bezeugt das älteste anglonormannische
Recht und eine solche scheint auch die langobardische manumissio
per gairethinx ursprünglich gewesen zu sein27.

20 Das salische Recht verlangt für den Freiheitsbeweis die Eidhilfe von Vater-
und von Muttermagen. Der Freigelassene hat weder die einen noch die anderen.
Das langobardische Recht macht bei der Freilassung zum amund das Eintreten des
Herrn dadurch entbehrlich, daſs der Freizulassende dreimal tradiert wird und damit
künstlich drei Gewährsmänner der Freiheit geschaffen werden. Vgl. Pappenheim,
Launegild und Garethinx S 37 Anm 28.
21 Schröder, RG I 38.
22 Andr. Sunesen c. 73, vgl. 51. Kolderup-Rosenvinge § 41.
23 Pappenheim a. O. S 41. Auch das norwegische frelsisöl ist vielleicht
aus einer öffentlich-rechtlichen Freilassungsform hervorgegangen. Es scheint an
Stelle eines in heidnischer Zeit dargebrachten Opfers getreten zu sein, welches die
Aufnahme des Freigelassenen in die Opfergemeinschaft und damit in die Volks-
genossenschaft bedeutete. Der vom König freigelassene Knecht gilt nach norwegi-
schem Rechte für vollkommen frei, ohne daſs es auf die Haltung des Freilassungs-
biers ankommt. Gulaþíngsl. § 61.
24 Rothari 224; Liu. 51. 52.
25 Tassil. decr. Niuh. c. 8: LL III 465.
26 S. unten § 31.
27 Schröder, Garethinx, Z2 f. RG VII 55 f. Das Moment der Öffentlichkeit
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[100/0118] § 14. Die Stände. Freiheit. Nahm ein Dritter ihn als Knecht in Anspruch, so war er nicht in der Lage, seine Freiheit selbst zu verteidigen, sondern es muſste sein Schutzherr für ihn eintreten 20. Um die Abhängigkeit des Freigelassenen vollständig zu zerreiſsen bedarf es eines öffentlich-rechtlichen Aktes 21, bei welchem neben dem Freilasser noch andere Mächte wirksam werden, welche die rechtliche Tragweite der Freilassung über die der Machtsphäre des Freilassers gezogenen Schranken erweitern. Nach älterem schwedischen Rechte wird die Freilassung zu vollem Rechte dadurch vermittelt, daſs der Freigelassene vor der Landesgemeinde oder im Thing oder vor der Kirchengemeinde in ein freies Geschlecht aufgenommen wird (ætle- þing, Geschlechtsleite). Der Akt der Geschlechtsleite ist auch dem altdänischen Rechte bekannt 22. Auf Island bedarf es zur Freilassung einer Rechtshandlung, die leiđa í lög genannt wird und darin besteht, daſs der Häuptling (der Gode) den Freigelassenen in die Rechts- gemeinschaft der Volksgenossen aufnimmt 23. Bei den Langobarden vermag eine Freilassung durch die Hand des Königs 24, bei den Baiern eine solche durch die Hand des Herzogs die volle Freiheit zu ge- währen 25. Nach fränkischem Recht hat diese Wirkung eine Frei- lassung vor dem König, der darauf hin den Freigelassenen für vollfrei erklärt 26. Eine Freilassung, welche in öffentlicher Versammlung durch Wehrhaftmachung geschah, bezeugt das älteste anglonormannische Recht und eine solche scheint auch die langobardische manumissio per gairethinx ursprünglich gewesen zu sein 27. 20 Das salische Recht verlangt für den Freiheitsbeweis die Eidhilfe von Vater- und von Muttermagen. Der Freigelassene hat weder die einen noch die anderen. Das langobardische Recht macht bei der Freilassung zum amund das Eintreten des Herrn dadurch entbehrlich, daſs der Freizulassende dreimal tradiert wird und damit künstlich drei Gewährsmänner der Freiheit geschaffen werden. Vgl. Pappenheim, Launegild und Garethinx S 37 Anm 28. 21 Schröder, RG I 38. 22 Andr. Sunesen c. 73, vgl. 51. Kolderup-Rosenvinge § 41. 23 Pappenheim a. O. S 41. Auch das norwegische frelsisöl ist vielleicht aus einer öffentlich-rechtlichen Freilassungsform hervorgegangen. Es scheint an Stelle eines in heidnischer Zeit dargebrachten Opfers getreten zu sein, welches die Aufnahme des Freigelassenen in die Opfergemeinschaft und damit in die Volks- genossenschaft bedeutete. Der vom König freigelassene Knecht gilt nach norwegi- schem Rechte für vollkommen frei, ohne daſs es auf die Haltung des Freilassungs- biers ankommt. Gulaþíngsl. § 61. 24 Rothari 224; Liu. 51. 52. 25 Tassil. decr. Niuh. c. 8: LL III 465. 26 S. unten § 31. 27 Schröder, Garethinx, Z2 f. RG VII 55 f. Das Moment der Öffentlichkeit

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/118>, abgerufen am 03.05.2024.