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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 21. Fehde und Busse.
richtlichem Wege einzuklagen. Ebenso konnte die Fehde durch eine
aussergerichtliche Sühne vermieden oder wieder beigelegt werden.
Doch war in solchem Falle die Vereinbarung des Sühngeldes nicht an
die herkömmlichen Taxen des Volksrechtes gebunden. Ist das gesetz-
liche oder vereinbarte Sühngeld gezahlt oder dessen Zahlung in
rechtsverbindlicher Weise sichergestellt worden, so findet die Feind-
schaft in einem feierlichen Sühnvertrage ihr Ende. Die beleidigte
Sippe verzichtet in förmlicher Weise auf fernere Verfolgung der ge-
sühnten Unthat23. Ihre Vertreter leisten der gegnerischen Sippe
einen Friedenseid24, sie schwören, indem sie die Fehde für auf-
gehoben erklären, Urfehde, ags. unfaehde25. Die Versöhnung fand
wohl auch schon in germanischer Zeit in einer Umarmung oder in
einem Friedenskuss ihren Ausdruck26. Nicht leicht entschloss sich
die beleidigte Sippe zum Sühnevertrag. Unter Umständen galt es
geradezu für schimpflich, sich die Rache um Geld oder Geldeswert
abkaufen zu lassen. War der beleidigte Teil zur Aussöhnung bereit,
so suchte er nach Möglichkeit auch den Schein zu vermeiden, als ob
Furcht vor dem Gegner der Beweggrund sei27. Im Norden machte
daher die verletzte Partei den Abschluss des Sühnvertrags abhängig
von einem Eide des Thäters, durch den dieser versicherte, dass er,
wenn ihm die gleiche Unbill widerfahren wäre, sich mit der gleichen
Summe des Sühngeldes begnügen würde28. Dieser dem Versöhnungs-
eid vorausgehende Eid hiess Gleichheitseid (jafnadareidr). Zwar nicht

23 Marculf II 18: ut pro ipsa causa solidus tantus in pagalia mihi dare
debueras ... et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse.
24 Rothari 143. Gregor. Tur. Hist. Fr. VII 47. Cap. Theod. c. 5, I 122. Cap.
legg. add. 818--19 c. 13, I 284. Über den friesischen fretheth, ferded v. Richt-
hofen,
WB S 759. Über die altnordischen Versöhnungseide v. Amira, Voll-
streckungsverfahren S 57 f.; Wilda, Strafr. S 229; K. Maurer, Bekehrung des
norwegischen Stammes II 229. 430.
25 Ahd. urvehe, urvehede, urfeht. Schade S 1060. Haltaus c. 2000. Grimm,
RA S 907. Ine 28: ... and tha magas him swerian adas unfaehda. Orveide in
Ssp Landr. I 8, 3. Die Partikel ur hat in Urfehde privative Bedeutung. Das Wort
bedeutet das Aufhören der Feindschaft, dann den Sühneid.
26 Friesische und fränkische Belegstellen in Z2 f. RG III 16. Über den
angelsächsischen Halsfang (Umarmung) ebendaselbst. Ein italienisches Beispiel
eines osculum pacis giebt Muratori, Scriptores XII col. 1164. Für den Friedens-
kuss im dänischen Rechte s. Kolderup-Rosenvinge, Grundr. der dänischen
RG, übersetzt von Homeyer, S 134.
27 Dahn, Fehdegang, Bausteine 2. Reihe S 88.
28 v. Amira, Vollstreckungsverf. S 64 f. Kolderup-Rosenvinge a. O.
Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz S 178 Anm 5. Pappen-
heim,
Die altdänischen Schutzgilden, 1885, S 29.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 11

§ 21. Fehde und Buſse.
richtlichem Wege einzuklagen. Ebenso konnte die Fehde durch eine
auſsergerichtliche Sühne vermieden oder wieder beigelegt werden.
Doch war in solchem Falle die Vereinbarung des Sühngeldes nicht an
die herkömmlichen Taxen des Volksrechtes gebunden. Ist das gesetz-
liche oder vereinbarte Sühngeld gezahlt oder dessen Zahlung in
rechtsverbindlicher Weise sichergestellt worden, so findet die Feind-
schaft in einem feierlichen Sühnvertrage ihr Ende. Die beleidigte
Sippe verzichtet in förmlicher Weise auf fernere Verfolgung der ge-
sühnten Unthat23. Ihre Vertreter leisten der gegnerischen Sippe
einen Friedenseid24, sie schwören, indem sie die Fehde für auf-
gehoben erklären, Urfehde, ags. unfæ̂hđe25. Die Versöhnung fand
wohl auch schon in germanischer Zeit in einer Umarmung oder in
einem Friedenskuſs ihren Ausdruck26. Nicht leicht entschloſs sich
die beleidigte Sippe zum Sühnevertrag. Unter Umständen galt es
geradezu für schimpflich, sich die Rache um Geld oder Geldeswert
abkaufen zu lassen. War der beleidigte Teil zur Aussöhnung bereit,
so suchte er nach Möglichkeit auch den Schein zu vermeiden, als ob
Furcht vor dem Gegner der Beweggrund sei27. Im Norden machte
daher die verletzte Partei den Abschluſs des Sühnvertrags abhängig
von einem Eide des Thäters, durch den dieser versicherte, daſs er,
wenn ihm die gleiche Unbill widerfahren wäre, sich mit der gleichen
Summe des Sühngeldes begnügen würde28. Dieser dem Versöhnungs-
eid vorausgehende Eid hieſs Gleichheitseid (jafnađareiđr). Zwar nicht

23 Marculf II 18: ut pro ipsa causa solidus tantus in pagalia mihi dare
debueras … et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse.
24 Rothari 143. Gregor. Tur. Hist. Fr. VII 47. Cap. Theod. c. 5, I 122. Cap.
legg. add. 818—19 c. 13, I 284. Über den friesischen fretheth, ferded v. Richt-
hofen,
WB S 759. Über die altnordischen Versöhnungseide v. Amira, Voll-
streckungsverfahren S 57 f.; Wilda, Strafr. S 229; K. Maurer, Bekehrung des
norwegischen Stammes II 229. 430.
25 Ahd. urvêhe, urvêhede, urfêht. Schade S 1060. Haltaus c. 2000. Grimm,
RA S 907. Ine 28: … and þa mâgas him swerian âđas unfæ̂hđa. Orveide in
Ssp Landr. I 8, 3. Die Partikel ur hat in Urfehde privative Bedeutung. Das Wort
bedeutet das Aufhören der Feindschaft, dann den Sühneid.
26 Friesische und fränkische Belegstellen in Z2 f. RG III 16. Über den
angelsächsischen Halsfang (Umarmung) ebendaselbst. Ein italienisches Beispiel
eines osculum pacis giebt Muratori, Scriptores XII col. 1164. Für den Friedens-
kuſs im dänischen Rechte s. Kolderup-Rosenvinge, Grundr. der dänischen
RG, übersetzt von Homeyer, S 134.
27 Dahn, Fehdegang, Bausteine 2. Reihe S 88.
28 v. Amira, Vollstreckungsverf. S 64 f. Kolderup-Rosenvinge a. O.
Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz S 178 Anm 5. Pappen-
heim,
Die altdänischen Schutzgilden, 1885, S 29.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 11
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[161/0179] § 21. Fehde und Buſse. richtlichem Wege einzuklagen. Ebenso konnte die Fehde durch eine auſsergerichtliche Sühne vermieden oder wieder beigelegt werden. Doch war in solchem Falle die Vereinbarung des Sühngeldes nicht an die herkömmlichen Taxen des Volksrechtes gebunden. Ist das gesetz- liche oder vereinbarte Sühngeld gezahlt oder dessen Zahlung in rechtsverbindlicher Weise sichergestellt worden, so findet die Feind- schaft in einem feierlichen Sühnvertrage ihr Ende. Die beleidigte Sippe verzichtet in förmlicher Weise auf fernere Verfolgung der ge- sühnten Unthat 23. Ihre Vertreter leisten der gegnerischen Sippe einen Friedenseid 24, sie schwören, indem sie die Fehde für auf- gehoben erklären, Urfehde, ags. unfæ̂hđe 25. Die Versöhnung fand wohl auch schon in germanischer Zeit in einer Umarmung oder in einem Friedenskuſs ihren Ausdruck 26. Nicht leicht entschloſs sich die beleidigte Sippe zum Sühnevertrag. Unter Umständen galt es geradezu für schimpflich, sich die Rache um Geld oder Geldeswert abkaufen zu lassen. War der beleidigte Teil zur Aussöhnung bereit, so suchte er nach Möglichkeit auch den Schein zu vermeiden, als ob Furcht vor dem Gegner der Beweggrund sei 27. Im Norden machte daher die verletzte Partei den Abschluſs des Sühnvertrags abhängig von einem Eide des Thäters, durch den dieser versicherte, daſs er, wenn ihm die gleiche Unbill widerfahren wäre, sich mit der gleichen Summe des Sühngeldes begnügen würde 28. Dieser dem Versöhnungs- eid vorausgehende Eid hieſs Gleichheitseid (jafnađareiđr). Zwar nicht 23 Marculf II 18: ut pro ipsa causa solidus tantus in pagalia mihi dare debueras … et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse. 24 Rothari 143. Gregor. Tur. Hist. Fr. VII 47. Cap. Theod. c. 5, I 122. Cap. legg. add. 818—19 c. 13, I 284. Über den friesischen fretheth, ferded v. Richt- hofen, WB S 759. Über die altnordischen Versöhnungseide v. Amira, Voll- streckungsverfahren S 57 f.; Wilda, Strafr. S 229; K. Maurer, Bekehrung des norwegischen Stammes II 229. 430. 25 Ahd. urvêhe, urvêhede, urfêht. Schade S 1060. Haltaus c. 2000. Grimm, RA S 907. Ine 28: … and þa mâgas him swerian âđas unfæ̂hđa. Orveide in Ssp Landr. I 8, 3. Die Partikel ur hat in Urfehde privative Bedeutung. Das Wort bedeutet das Aufhören der Feindschaft, dann den Sühneid. 26 Friesische und fränkische Belegstellen in Z2 f. RG III 16. Über den angelsächsischen Halsfang (Umarmung) ebendaselbst. Ein italienisches Beispiel eines osculum pacis giebt Muratori, Scriptores XII col. 1164. Für den Friedens- kuſs im dänischen Rechte s. Kolderup-Rosenvinge, Grundr. der dänischen RG, übersetzt von Homeyer, S 134. 27 Dahn, Fehdegang, Bausteine 2. Reihe S 88. 28 v. Amira, Vollstreckungsverf. S 64 f. Kolderup-Rosenvinge a. O. Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz S 178 Anm 5. Pappen- heim, Die altdänischen Schutzgilden, 1885, S 29. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 11

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/179>, abgerufen am 28.04.2024.