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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
Weltuntergang 11 und warag ist dem Verfasser des Heliand der Ver-
räter Judas 12, da er sich entleibt. Im Altnordischen bedeutet vargr
einerseits den Wolf, andrerseits den Friedlosen. Eine angelsächsische
Quelle sagt von dem Friedlosen, er trage ein Wolfshaupt. Die Rechts-
sprache will damit zum Ausdruck bringen, dass der Friedlose wolfs-
frei sei, wie der Wolf als allgemeiner Feind von jedermann erschlagen
werden könne und solle 13.

Die Friedlosigkeit ergreift nicht bloss die Person, sondern auch
das Vermögen. Hab und Gut des Friedlosen werden nicht etwa
seinen Erben ledig, sondern verfallen von Rechtswegen dem König
oder dem Gemeinwesen oder werden nach bestimmtem Verhältnis
zwischen beiden verteilt 14. Auch der Verletzte, der die Friedlos-
legung erwirkte, erhält einen Anteil oder wird aus dem eingezogenen
Vermögen des Friedlosen befriedigt. Mit Rücksicht auf die Wirkung,
welche die Friedloslegung ausübt, sprechen jüngere Quellen von einer

11 Muspilli 39.
12 Heliand ed. Sievers Vers 5168.
13 Das Wort, welches den Friedlosen bezeichnet, bedeutet andererseits auch
den gewerbmässigen Räuber. Nach einem Briefe des Apollinaris Sidonius (ed. Baret
1879) VI 3 von 471 wurden die latrunculi vargorum nomine benannt. Auch das
langob. scamara (Roth. 5, Sich. et Joa. pactio von 836, Einleitung) gilt zunächst
dem Friedlosen, in abgeleiteter Bedeutung dem Räuber, wie denn auch das ita-
lienische bandito soviel wie bannitus, Ächter ist. Über scamara s. Grimm, RA
S 635, Gesch. der deutschen Sprache S 483 (695); Wilda S 465; Graff VI 497;
Meyer, Sprache u. Sprachdenkmäler der Langob. S 303; Schmeller, Bayer.
WB II 418.
14 Lex Sal. 56: et omnes res suas (regis) erunt (al. in fisco aut cui fiscus dare
voluerit). Cap. 1 zur Lex Sal. c. 5: omnes res suas fiscus adquirat et illa aspellis
faciat. Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8. MG Dipl. M. 8: si quis . . contra hoc . . decretum
. . agere voluerit . . quantamcunque possessionem habere videtur, legibus amittat
et insuper exul et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat. Nach
einer friesischen Rechtsquelle Rh. RQ S 413, 6 soll der Schultheiss des Fried-
losen Gut besetzen to heerna hand ende to lioda wilker (zu des Herren Hand und
des Volkes Willkür). Nach dem angels. Gesetze, Edmund II 1 § 3 verliert der
Friedlose alles was er hat. Das norwegische und das dänische Recht sprechen das
Ächtergut dem König zu. v. Amira, Vollstreckungsverf. § 4; Wilda S 288. Auf
Island nimmt der Kläger den Ersatz zum voraus, den Rest teilt er mit den Ding-
männern. Nach schwedischem Recht tritt eine Teilung des Ächtergutes zwischen
dem König, der Hundertschaft und dem Kläger ein. v. Amira, Altschwedisches
Obligationenrecht S 142. Das deutsche Reichsrecht unterscheidet zwischen Habe
und Eigen. Jene wird endgiltig eingezogen. Den Grundbesitz können die Erben
binnen Jahr und Tag unter gewissen Voraussetzungen aus der königlichen Gewalt
herausziehen. Ssp Landr. I 38 § 2 und die von Homeyer zu dieser Stelle an-
geführte Litteratur.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
Weltuntergang 11 und warag ist dem Verfasser des Heliand der Ver-
räter Judas 12, da er sich entleibt. Im Altnordischen bedeutet vargr
einerseits den Wolf, andrerseits den Friedlosen. Eine angelsächsische
Quelle sagt von dem Friedlosen, er trage ein Wolfshaupt. Die Rechts-
sprache will damit zum Ausdruck bringen, daſs der Friedlose wolfs-
frei sei, wie der Wolf als allgemeiner Feind von jedermann erschlagen
werden könne und solle 13.

Die Friedlosigkeit ergreift nicht bloſs die Person, sondern auch
das Vermögen. Hab und Gut des Friedlosen werden nicht etwa
seinen Erben ledig, sondern verfallen von Rechtswegen dem König
oder dem Gemeinwesen oder werden nach bestimmtem Verhältnis
zwischen beiden verteilt 14. Auch der Verletzte, der die Friedlos-
legung erwirkte, erhält einen Anteil oder wird aus dem eingezogenen
Vermögen des Friedlosen befriedigt. Mit Rücksicht auf die Wirkung,
welche die Friedloslegung ausübt, sprechen jüngere Quellen von einer

11 Muspilli 39.
12 Heliand ed. Sievers Vers 5168.
13 Das Wort, welches den Friedlosen bezeichnet, bedeutet andererseits auch
den gewerbmäſsigen Räuber. Nach einem Briefe des Apollinaris Sidonius (ed. Baret
1879) VI 3 von 471 wurden die latrunculi vargorum nomine benannt. Auch das
langob. scamara (Roth. 5, Sich. et Joa. pactio von 836, Einleitung) gilt zunächst
dem Friedlosen, in abgeleiteter Bedeutung dem Räuber, wie denn auch das ita-
lienische bandito soviel wie bannitus, Ächter ist. Über scamara s. Grimm, RA
S 635, Gesch. der deutschen Sprache S 483 (695); Wilda S 465; Graff VI 497;
Meyer, Sprache u. Sprachdenkmäler der Langob. S 303; Schmeller, Bayer.
WB II 418.
14 Lex Sal. 56: et omnes res suas (regis) erunt (al. in fisco aut cui fiscus dare
voluerit). Cap. 1 zur Lex Sal. c. 5: omnes res suas fiscus adquirat et illa aspellis
faciat. Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8. MG Dipl. M. 8: si quis . . contra hoc . . decretum
. . agere voluerit . . quantamcunque possessionem habere videtur, legibus amittat
et insuper exul et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat. Nach
einer friesischen Rechtsquelle Rh. RQ S 413, 6 soll der Schultheiſs des Fried-
losen Gut besetzen to heerna hand ende to lioda wilker (zu des Herren Hand und
des Volkes Willkür). Nach dem angels. Gesetze, Edmund II 1 § 3 verliert der
Friedlose alles was er hat. Das norwegische und das dänische Recht sprechen das
Ächtergut dem König zu. v. Amira, Vollstreckungsverf. § 4; Wilda S 288. Auf
Island nimmt der Kläger den Ersatz zum voraus, den Rest teilt er mit den Ding-
männern. Nach schwedischem Recht tritt eine Teilung des Ächtergutes zwischen
dem König, der Hundertschaft und dem Kläger ein. v. Amira, Altschwedisches
Obligationenrecht S 142. Das deutsche Reichsrecht unterscheidet zwischen Habe
und Eigen. Jene wird endgiltig eingezogen. Den Grundbesitz können die Erben
binnen Jahr und Tag unter gewissen Voraussetzungen aus der königlichen Gewalt
herausziehen. Ssp Landr. I 38 § 2 und die von Homeyer zu dieser Stelle an-
geführte Litteratur.
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[168/0186] § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. Weltuntergang 11 und warag ist dem Verfasser des Heliand der Ver- räter Judas 12, da er sich entleibt. Im Altnordischen bedeutet vargr einerseits den Wolf, andrerseits den Friedlosen. Eine angelsächsische Quelle sagt von dem Friedlosen, er trage ein Wolfshaupt. Die Rechts- sprache will damit zum Ausdruck bringen, daſs der Friedlose wolfs- frei sei, wie der Wolf als allgemeiner Feind von jedermann erschlagen werden könne und solle 13. Die Friedlosigkeit ergreift nicht bloſs die Person, sondern auch das Vermögen. Hab und Gut des Friedlosen werden nicht etwa seinen Erben ledig, sondern verfallen von Rechtswegen dem König oder dem Gemeinwesen oder werden nach bestimmtem Verhältnis zwischen beiden verteilt 14. Auch der Verletzte, der die Friedlos- legung erwirkte, erhält einen Anteil oder wird aus dem eingezogenen Vermögen des Friedlosen befriedigt. Mit Rücksicht auf die Wirkung, welche die Friedloslegung ausübt, sprechen jüngere Quellen von einer 11 Muspilli 39. 12 Heliand ed. Sievers Vers 5168. 13 Das Wort, welches den Friedlosen bezeichnet, bedeutet andererseits auch den gewerbmäſsigen Räuber. Nach einem Briefe des Apollinaris Sidonius (ed. Baret 1879) VI 3 von 471 wurden die latrunculi vargorum nomine benannt. Auch das langob. scamara (Roth. 5, Sich. et Joa. pactio von 836, Einleitung) gilt zunächst dem Friedlosen, in abgeleiteter Bedeutung dem Räuber, wie denn auch das ita- lienische bandito soviel wie bannitus, Ächter ist. Über scamara s. Grimm, RA S 635, Gesch. der deutschen Sprache S 483 (695); Wilda S 465; Graff VI 497; Meyer, Sprache u. Sprachdenkmäler der Langob. S 303; Schmeller, Bayer. WB II 418. 14 Lex Sal. 56: et omnes res suas (regis) erunt (al. in fisco aut cui fiscus dare voluerit). Cap. 1 zur Lex Sal. c. 5: omnes res suas fiscus adquirat et illa aspellis faciat. Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8. MG Dipl. M. 8: si quis . . contra hoc . . decretum . . agere voluerit . . quantamcunque possessionem habere videtur, legibus amittat et insuper exul et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat. Nach einer friesischen Rechtsquelle Rh. RQ S 413, 6 soll der Schultheiſs des Fried- losen Gut besetzen to heerna hand ende to lioda wilker (zu des Herren Hand und des Volkes Willkür). Nach dem angels. Gesetze, Edmund II 1 § 3 verliert der Friedlose alles was er hat. Das norwegische und das dänische Recht sprechen das Ächtergut dem König zu. v. Amira, Vollstreckungsverf. § 4; Wilda S 288. Auf Island nimmt der Kläger den Ersatz zum voraus, den Rest teilt er mit den Ding- männern. Nach schwedischem Recht tritt eine Teilung des Ächtergutes zwischen dem König, der Hundertschaft und dem Kläger ein. v. Amira, Altschwedisches Obligationenrecht S 142. Das deutsche Reichsrecht unterscheidet zwischen Habe und Eigen. Jene wird endgiltig eingezogen. Den Grundbesitz können die Erben binnen Jahr und Tag unter gewissen Voraussetzungen aus der königlichen Gewalt herausziehen. Ssp Landr. I 38 § 2 und die von Homeyer zu dieser Stelle an- geführte Litteratur.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/186>, abgerufen am 27.04.2024.