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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 24. Das fränkische Reich.
seinen verbündeten Brüdern Ludwig und Karl in der Schlacht von
Fontenoy (841) besiegt. Dieses Ereignis bedeutete die Niederlage
der von Lothar verfochtenen Idee der Reichseinheit. In dem 843
abgeschlossenen Teilungsvertrage von Verdun erhielt Ludwig die ost-
rheinischen Gebiete nebst den Gauen von Mainz, Worms und Speier,
Lothar den mittleren Teil des fränkischen Reiches, nämlich Italien,
die Provence, Burgund, Elsass und das später nach ihm benannte
Lothringen 6 mit Friesland, Karl der Kahle die westlichen Striche bis
an das Meer 7.

Die inneren Gährungen haben die Widerstandskraft des Reiches
gelähmt. Es vermag sich der Normannen und der Sarazenen nicht
mehr zu erwehren. Nur gegen die Slawen behaupten sich die Ost-
franken mit Erfolg. Die Normannengefahr führte 885 zur Vereinigung
des gesamten Reiches unter Karl III., dem jüngsten Sohne Ludwigs
des Deutschen. Allein seine unkönigliche Haltung in den Kämpfen
gegen die Normannen und seine durch einen Schlagfluss gesteigerte
Regierungsunfähigkeit bewog die ostfränkischen Stämme, im November
887 seinen Neffen Arnulf zum König zu erheben 8. Karl III. sah sich
gezwungen die Regierung niederzulegen und starb am 13. Januar 888.
Sein Sturz war das Signal für die längst vorbereitete Auflösung der
fränkischen Monarchie, welche nunmehr in fünf selbständige Reiche
auseinanderfiel, da ausser dem ostfränkischen auch ein westfränkisches,
ein italienisches, ein hochburgundisches und ein niederburgundisches
Königreich entstand. Nachmals sind zwar Italien und Burgund mit
dem deutschen Reiche wieder vereinigt worden. Allein die Trennung
zwischen Ostfrancien und Westfrancien, auf deren Verbindung das
Wesen des fränkischen Reiches beruhte, ist eine dauernde geblieben.
So hat das fränkische Reich die Entstehung nationaler Staaten ver-
mittelt, aber nicht ohne zugleich gewisse Grundlagen des Rechtes und
der Kultur zu schaffen, welche während des Mittelalters und teilweise
noch heute ein Gemeingut des westlichen und mittleren Europa sind.

6 Der Name Lothringen wird bei Regino und in anderen Quellen auf Lothar I.
zurückgeführt. Sein Sohn Lothar II. erhielt 855 von dem Reiche des Vaters den
nördlichen Teil, an welchem die Bezeichnung Lothringen (Lotharii regnum) haften
blieb. Waitz, VG V 158. Mühlbacher, Regesten S 413.
7 Über die Teilungsgrenzen s. Mühlbacher, Regesten S 412.
8 Arnulfs Kanzlei rechnete dessen Regierungsjahre nicht nach einem bestimmten
Epochetag, sondern pflegte sie zugleich mit dem annus incarnationis umzusetzen.
Mühlbacher, Urkunden Karls III., Wiener Sitzungsberichte XCII 343.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 13

§ 24. Das fränkische Reich.
seinen verbündeten Brüdern Ludwig und Karl in der Schlacht von
Fontenoy (841) besiegt. Dieses Ereignis bedeutete die Niederlage
der von Lothar verfochtenen Idee der Reichseinheit. In dem 843
abgeschlossenen Teilungsvertrage von Verdun erhielt Ludwig die ost-
rheinischen Gebiete nebst den Gauen von Mainz, Worms und Speier,
Lothar den mittleren Teil des fränkischen Reiches, nämlich Italien,
die Provence, Burgund, Elsaſs und das später nach ihm benannte
Lothringen 6 mit Friesland, Karl der Kahle die westlichen Striche bis
an das Meer 7.

Die inneren Gährungen haben die Widerstandskraft des Reiches
gelähmt. Es vermag sich der Normannen und der Sarazenen nicht
mehr zu erwehren. Nur gegen die Slawen behaupten sich die Ost-
franken mit Erfolg. Die Normannengefahr führte 885 zur Vereinigung
des gesamten Reiches unter Karl III., dem jüngsten Sohne Ludwigs
des Deutschen. Allein seine unkönigliche Haltung in den Kämpfen
gegen die Normannen und seine durch einen Schlagfluſs gesteigerte
Regierungsunfähigkeit bewog die ostfränkischen Stämme, im November
887 seinen Neffen Arnulf zum König zu erheben 8. Karl III. sah sich
gezwungen die Regierung niederzulegen und starb am 13. Januar 888.
Sein Sturz war das Signal für die längst vorbereitete Auflösung der
fränkischen Monarchie, welche nunmehr in fünf selbständige Reiche
auseinanderfiel, da auſser dem ostfränkischen auch ein westfränkisches,
ein italienisches, ein hochburgundisches und ein niederburgundisches
Königreich entstand. Nachmals sind zwar Italien und Burgund mit
dem deutschen Reiche wieder vereinigt worden. Allein die Trennung
zwischen Ostfrancien und Westfrancien, auf deren Verbindung das
Wesen des fränkischen Reiches beruhte, ist eine dauernde geblieben.
So hat das fränkische Reich die Entstehung nationaler Staaten ver-
mittelt, aber nicht ohne zugleich gewisse Grundlagen des Rechtes und
der Kultur zu schaffen, welche während des Mittelalters und teilweise
noch heute ein Gemeingut des westlichen und mittleren Europa sind.

6 Der Name Lothringen wird bei Regino und in anderen Quellen auf Lothar I.
zurückgeführt. Sein Sohn Lothar II. erhielt 855 von dem Reiche des Vaters den
nördlichen Teil, an welchem die Bezeichnung Lothringen (Lotharii regnum) haften
blieb. Waitz, VG V 158. Mühlbacher, Regesten S 413.
7 Über die Teilungsgrenzen s. Mühlbacher, Regesten S 412.
8 Arnulfs Kanzlei rechnete dessen Regierungsjahre nicht nach einem bestimmten
Epochetag, sondern pflegte sie zugleich mit dem annus incarnationis umzusetzen.
Mühlbacher, Urkunden Karls III., Wiener Sitzungsberichte XCII 343.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 13
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[193/0211] § 24. Das fränkische Reich. seinen verbündeten Brüdern Ludwig und Karl in der Schlacht von Fontenoy (841) besiegt. Dieses Ereignis bedeutete die Niederlage der von Lothar verfochtenen Idee der Reichseinheit. In dem 843 abgeschlossenen Teilungsvertrage von Verdun erhielt Ludwig die ost- rheinischen Gebiete nebst den Gauen von Mainz, Worms und Speier, Lothar den mittleren Teil des fränkischen Reiches, nämlich Italien, die Provence, Burgund, Elsaſs und das später nach ihm benannte Lothringen 6 mit Friesland, Karl der Kahle die westlichen Striche bis an das Meer 7. Die inneren Gährungen haben die Widerstandskraft des Reiches gelähmt. Es vermag sich der Normannen und der Sarazenen nicht mehr zu erwehren. Nur gegen die Slawen behaupten sich die Ost- franken mit Erfolg. Die Normannengefahr führte 885 zur Vereinigung des gesamten Reiches unter Karl III., dem jüngsten Sohne Ludwigs des Deutschen. Allein seine unkönigliche Haltung in den Kämpfen gegen die Normannen und seine durch einen Schlagfluſs gesteigerte Regierungsunfähigkeit bewog die ostfränkischen Stämme, im November 887 seinen Neffen Arnulf zum König zu erheben 8. Karl III. sah sich gezwungen die Regierung niederzulegen und starb am 13. Januar 888. Sein Sturz war das Signal für die längst vorbereitete Auflösung der fränkischen Monarchie, welche nunmehr in fünf selbständige Reiche auseinanderfiel, da auſser dem ostfränkischen auch ein westfränkisches, ein italienisches, ein hochburgundisches und ein niederburgundisches Königreich entstand. Nachmals sind zwar Italien und Burgund mit dem deutschen Reiche wieder vereinigt worden. Allein die Trennung zwischen Ostfrancien und Westfrancien, auf deren Verbindung das Wesen des fränkischen Reiches beruhte, ist eine dauernde geblieben. So hat das fränkische Reich die Entstehung nationaler Staaten ver- mittelt, aber nicht ohne zugleich gewisse Grundlagen des Rechtes und der Kultur zu schaffen, welche während des Mittelalters und teilweise noch heute ein Gemeingut des westlichen und mittleren Europa sind. 6 Der Name Lothringen wird bei Regino und in anderen Quellen auf Lothar I. zurückgeführt. Sein Sohn Lothar II. erhielt 855 von dem Reiche des Vaters den nördlichen Teil, an welchem die Bezeichnung Lothringen (Lotharii regnum) haften blieb. Waitz, VG V 158. Mühlbacher, Regesten S 413. 7 Über die Teilungsgrenzen s. Mühlbacher, Regesten S 412. 8 Arnulfs Kanzlei rechnete dessen Regierungsjahre nicht nach einem bestimmten Epochetag, sondern pflegte sie zugleich mit dem annus incarnationis umzusetzen. Mühlbacher, Urkunden Karls III., Wiener Sitzungsberichte XCII 343. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 13

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/211>, abgerufen am 18.04.2024.