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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
hatte jener Grundsatz wohl nur den Charakter einer kirchlichen Ord-
nungsvorschrift, welche bestimmt war, das Eigentum der Kirche gegen
Verdunklung zu schützen32, so dass das Unterbleiben der Erneuerung
privatrechtliche Wirkungen nicht nach sich zog, sondern die Prekarie
für stillschweigend verlängert galt. Zu Gunsten des Besitzers wird
seit der Mitte des achten Jahrhunderts nicht selten verabredet, dass
das Gut wegen Versitzung des Zinses nicht eingezogen werden dürfe,
also der Grundsatz: qui negligit censum, perdat agrum33, keine Gel-
tung haben solle. Wenn der Beliehene das Gut, das er als Prekarie
erhält, vor der Verleihung dem Verleiher zu Eigentum aufgetragen
hatte, spricht man von einer precaria oblata im Gegensatz zur precaria
data34, bei der dies nicht der Fall war. Zu jener gaben insbesondere
die Landschenkungen an Kirchen den Anlass, bei welchen sich der
Schenker die Rückleihe zu lebenslänglichem Niessbrauch ausbedang.
Dann zahlte er entweder gar keinen Zins oder einen solchen, welcher
nur den Zweck hatte, das Eigentumsrecht des Verleihers zum Aus-
druck zu bringen35, wofür die geringsten Beträge genügten.

Die Verleihung der Prekarie wurde im Anschluss an einen
Sprachgebrauch, der schon in römischer Zeit üblich war36, als bene-
ficium des Verleihers bezeichnet37. Beneficium hiess aber bald auch
das Leiheverhältnis und das Leihegut selbst, ohne dass zwischen precaria
und beneficium unterschieden wurde. Seit der Entstehung des eigent-
lichen Benefizialwesens, welche erst weiter unten bei Darstellung der
fränkischen Verfassungsgeschichte erörtert werden kann, brachte man
die Landschenkungen des Königs, die früher ein beschränktes Eigen-

32 In Baiern verlangte die Kirche, wenn der Schenker sich den Niessbrauch
vorbehielt, und bei der donatio post obitum aus demselben Motive fünfjährige Er-
neuerung der Tradition. Brunner, RG der Urkunde S 268.
33 Concil von Meaux v. J. 845, c. 62; Loening, KR S 712 Anm 3.
34 Diese Unterscheidung ist von Albrecht, Gewere S 195 nach Analogie
des feudum oblatum und datum gemacht worden. Die Quellen kennen jene Aus-
drücke nicht.
35 Ob recordationem. Trad. Lauresh. I S 60. 71. Waitz, VG II 1 S 296.
36 Schon Tertullian (+ 220) sagt adversus Hermogenem c. 9 (Migne, Patrol.
II 229): his enim tribus modis aliena sumuntur: iure, beneficio, impetu, id
est dominio, precario, vi. Vgl. Paulus in l. 14 Dig. 43, 26: magis ... ad ...
beneficii causam quam ad negotii contracti spectat precarii conditio.
37 Z. B. Form. Andegav. 7: fecistis mihi beneficium de rem vestram. In den
Formeln: Form. Merkel. 34, Zeumer S 254 (precaria): nostra fuit petitio et vestra
non negavit voluntas, ut illa rem vestra ... per vestrum beneficium ... nobis
relaxare deberitis, und in Form. Merkel. 35 S 255 (commendatitiae): vestra fuit
petitio et nostra decrevit voluntas ut illa rem nostra ... per nostram precariam
vobis relaxare deberimus, entsprechen sich die Ausdrücke beneficium und precaria.
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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
hatte jener Grundsatz wohl nur den Charakter einer kirchlichen Ord-
nungsvorschrift, welche bestimmt war, das Eigentum der Kirche gegen
Verdunklung zu schützen32, so daſs das Unterbleiben der Erneuerung
privatrechtliche Wirkungen nicht nach sich zog, sondern die Prekarie
für stillschweigend verlängert galt. Zu Gunsten des Besitzers wird
seit der Mitte des achten Jahrhunderts nicht selten verabredet, daſs
das Gut wegen Versitzung des Zinses nicht eingezogen werden dürfe,
also der Grundsatz: qui negligit censum, perdat agrum33, keine Gel-
tung haben solle. Wenn der Beliehene das Gut, das er als Prekarie
erhält, vor der Verleihung dem Verleiher zu Eigentum aufgetragen
hatte, spricht man von einer precaria oblata im Gegensatz zur precaria
data34, bei der dies nicht der Fall war. Zu jener gaben insbesondere
die Landschenkungen an Kirchen den Anlaſs, bei welchen sich der
Schenker die Rückleihe zu lebenslänglichem Nieſsbrauch ausbedang.
Dann zahlte er entweder gar keinen Zins oder einen solchen, welcher
nur den Zweck hatte, das Eigentumsrecht des Verleihers zum Aus-
druck zu bringen35, wofür die geringsten Beträge genügten.

Die Verleihung der Prekarie wurde im Anschluſs an einen
Sprachgebrauch, der schon in römischer Zeit üblich war36, als bene-
ficium des Verleihers bezeichnet37. Beneficium hieſs aber bald auch
das Leiheverhältnis und das Leihegut selbst, ohne daſs zwischen precaria
und beneficium unterschieden wurde. Seit der Entstehung des eigent-
lichen Benefizialwesens, welche erst weiter unten bei Darstellung der
fränkischen Verfassungsgeschichte erörtert werden kann, brachte man
die Landschenkungen des Königs, die früher ein beschränktes Eigen-

32 In Baiern verlangte die Kirche, wenn der Schenker sich den Nieſsbrauch
vorbehielt, und bei der donatio post obitum aus demselben Motive fünfjährige Er-
neuerung der Tradition. Brunner, RG der Urkunde S 268.
33 Concil von Meaux v. J. 845, c. 62; Loening, KR S 712 Anm 3.
34 Diese Unterscheidung ist von Albrecht, Gewere S 195 nach Analogie
des feudum oblatum und datum gemacht worden. Die Quellen kennen jene Aus-
drücke nicht.
35 Ob recordationem. Trad. Lauresh. I S 60. 71. Waitz, VG II 1 S 296.
36 Schon Tertullian († 220) sagt adversus Hermogenem c. 9 (Migne, Patrol.
II 229): his enim tribus modis aliena sumuntur: iure, beneficio, impetu, id
est dominio, precario, vi. Vgl. Paulus in l. 14 Dig. 43, 26: magis … ad …
beneficii causam quam ad negotii contracti spectat precarii conditio.
37 Z. B. Form. Andegav. 7: fecistis mihi beneficium de rem vestram. In den
Formeln: Form. Merkel. 34, Zeumer S 254 (precaria): nostra fuit petitio et vestra
non negavit voluntas, ut illa rem vestra … per vestrum beneficium … nobis
relaxare deberitis, und in Form. Merkel. 35 S 255 (commendatitiae): vestra fuit
petitio et nostra decrevit voluntas ut illa rem nostra … per nostram precariam
vobis relaxare deberimus, entsprechen sich die Ausdrücke beneficium und precaria.
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[211/0229] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. hatte jener Grundsatz wohl nur den Charakter einer kirchlichen Ord- nungsvorschrift, welche bestimmt war, das Eigentum der Kirche gegen Verdunklung zu schützen 32, so daſs das Unterbleiben der Erneuerung privatrechtliche Wirkungen nicht nach sich zog, sondern die Prekarie für stillschweigend verlängert galt. Zu Gunsten des Besitzers wird seit der Mitte des achten Jahrhunderts nicht selten verabredet, daſs das Gut wegen Versitzung des Zinses nicht eingezogen werden dürfe, also der Grundsatz: qui negligit censum, perdat agrum 33, keine Gel- tung haben solle. Wenn der Beliehene das Gut, das er als Prekarie erhält, vor der Verleihung dem Verleiher zu Eigentum aufgetragen hatte, spricht man von einer precaria oblata im Gegensatz zur precaria data 34, bei der dies nicht der Fall war. Zu jener gaben insbesondere die Landschenkungen an Kirchen den Anlaſs, bei welchen sich der Schenker die Rückleihe zu lebenslänglichem Nieſsbrauch ausbedang. Dann zahlte er entweder gar keinen Zins oder einen solchen, welcher nur den Zweck hatte, das Eigentumsrecht des Verleihers zum Aus- druck zu bringen 35, wofür die geringsten Beträge genügten. Die Verleihung der Prekarie wurde im Anschluſs an einen Sprachgebrauch, der schon in römischer Zeit üblich war 36, als bene- ficium des Verleihers bezeichnet 37. Beneficium hieſs aber bald auch das Leiheverhältnis und das Leihegut selbst, ohne daſs zwischen precaria und beneficium unterschieden wurde. Seit der Entstehung des eigent- lichen Benefizialwesens, welche erst weiter unten bei Darstellung der fränkischen Verfassungsgeschichte erörtert werden kann, brachte man die Landschenkungen des Königs, die früher ein beschränktes Eigen- 32 In Baiern verlangte die Kirche, wenn der Schenker sich den Nieſsbrauch vorbehielt, und bei der donatio post obitum aus demselben Motive fünfjährige Er- neuerung der Tradition. Brunner, RG der Urkunde S 268. 33 Concil von Meaux v. J. 845, c. 62; Loening, KR S 712 Anm 3. 34 Diese Unterscheidung ist von Albrecht, Gewere S 195 nach Analogie des feudum oblatum und datum gemacht worden. Die Quellen kennen jene Aus- drücke nicht. 35 Ob recordationem. Trad. Lauresh. I S 60. 71. Waitz, VG II 1 S 296. 36 Schon Tertullian († 220) sagt adversus Hermogenem c. 9 (Migne, Patrol. II 229): his enim tribus modis aliena sumuntur: iure, beneficio, impetu, id est dominio, precario, vi. Vgl. Paulus in l. 14 Dig. 43, 26: magis … ad … beneficii causam quam ad negotii contracti spectat precarii conditio. 37 Z. B. Form. Andegav. 7: fecistis mihi beneficium de rem vestram. In den Formeln: Form. Merkel. 34, Zeumer S 254 (precaria): nostra fuit petitio et vestra non negavit voluntas, ut illa rem vestra … per vestrum beneficium … nobis relaxare deberitis, und in Form. Merkel. 35 S 255 (commendatitiae): vestra fuit petitio et nostra decrevit voluntas ut illa rem nostra … per nostram precariam vobis relaxare deberimus, entsprechen sich die Ausdrücke beneficium und precaria. 14*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/229>, abgerufen am 27.04.2024.