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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.
schriebene römische Recht, sondern das Vulgarrecht der römischen
Provinzialen als Anknüpfungspunkt. Andrerseits drangen germanische
Institutionen in das Recht der römischen Bevölkerung ein. Gegen
Ausgang der fränkischen Periode lassen zahlreiche Urkunden über
Rechtsgeschäfte ersehen, wie der Römer in Burgund die dem fränkischen
Rechte entstammende Tertia "secundum legem romanam" bestellte3,
wie er in Italien gleich den Langobarden bei Schenkungen das Laune-
gild, bei Verheiratung der Tochter das Mundgeld nahm4 und wie er
sich bei Verträgen "secundum legem et consuetudinem romanam"
durch Hingabe einer Wadia verpflichtete5.

Noch weit mehr fällt die ausgleichende Einwirkung ins Gewicht,
welche das fränkische Recht als das Recht des herrschenden Stammes
auf die übrigen Stämme ausübte. Sie machte sich zum Teil auf
gewohnheitsrechtlichem Wege, zum Teil auf dem Wege der Satzung
geltend und führte zur Ausbreitung fränkischer Institutionen und
fränkischer Rechtsausdrücke in allen Teilen des Reiches. Uniformierend
wirkte in diesem Sinne die Rechtsprechung des Königsgerichtes, die
natürlich in dem Banne fränkischer Rechtsanschauungen stand. Jene
zahlreichen Franken, welche den Kern des Beamtentums bildeten,
und ebenso die auserlesenen Köpfe nichtfränkischer Stämme, die am
königlichen Hofe ihre Schulung empfingen, wirkten als Grafen, als
königliche Missi und Gutsverwalter, als geistliche Würdenträger be-
wusst oder unbewusst für die Verbreitung des fränkischen Rechtes.
Einrichtungen, die ihren Ausgangspunkt in der Stellung des fränkischen
Königs hatten, wie Königsbann und Königsschutz, Immunität, Ämter-
und Lehenwesen wurden in allen Teilen des Reiches zu mehr oder
minder gleichmässiger Durchführung gebracht. Ausserdem gewann
das Königtum steigenden Einfluss auf die Satzung und Ergänzung der
Volksrechte und wurde es durch die Ausübung seiner Verordnungs-
gewalt ein wesentlicher Faktor einheitlicher Rechtsbildung. Die
königlichen Kapitularien, mochten sie nun zu einzelnen Volksrechten
oder für den ganzen Umfang des Reiches erlassen werden, stellten
sich im allgemeinen auf den Boden des fränkischen Rechtes und

3 Z. B. Bernard, Chartes de Cluny I 219, Nr 229 v. J. 922: Constancius
esponsus tuus ... tercia porcione tibi dono secundum mea lege romana.
4 Val de Lievre, Launegild und Wadia S 46.
5 Expositio § 2 zu Liu. 35, LL IV 424. Z f. HR XXII 131 Anm 2. Vgl.
Ficker, Mitth. des österr. Instituts, 2. Ergänzungsb. 1886 S 53, wo ausgeführt
wird, dass sich in den langobardischen Gegenden Italiens das vivere lege Romana
schliesslich nur noch auf etliche Einzelheiten bezog, in welchen sich das römische
Recht erhalten hatte.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 17

§ 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.
schriebene römische Recht, sondern das Vulgarrecht der römischen
Provinzialen als Anknüpfungspunkt. Andrerseits drangen germanische
Institutionen in das Recht der römischen Bevölkerung ein. Gegen
Ausgang der fränkischen Periode lassen zahlreiche Urkunden über
Rechtsgeschäfte ersehen, wie der Römer in Burgund die dem fränkischen
Rechte entstammende Tertia „secundum legem romanam“ bestellte3,
wie er in Italien gleich den Langobarden bei Schenkungen das Laune-
gild, bei Verheiratung der Tochter das Mundgeld nahm4 und wie er
sich bei Verträgen „secundum legem et consuetudinem romanam“
durch Hingabe einer Wadia verpflichtete5.

Noch weit mehr fällt die ausgleichende Einwirkung ins Gewicht,
welche das fränkische Recht als das Recht des herrschenden Stammes
auf die übrigen Stämme ausübte. Sie machte sich zum Teil auf
gewohnheitsrechtlichem Wege, zum Teil auf dem Wege der Satzung
geltend und führte zur Ausbreitung fränkischer Institutionen und
fränkischer Rechtsausdrücke in allen Teilen des Reiches. Uniformierend
wirkte in diesem Sinne die Rechtsprechung des Königsgerichtes, die
natürlich in dem Banne fränkischer Rechtsanschauungen stand. Jene
zahlreichen Franken, welche den Kern des Beamtentums bildeten,
und ebenso die auserlesenen Köpfe nichtfränkischer Stämme, die am
königlichen Hofe ihre Schulung empfingen, wirkten als Grafen, als
königliche Missi und Gutsverwalter, als geistliche Würdenträger be-
wuſst oder unbewuſst für die Verbreitung des fränkischen Rechtes.
Einrichtungen, die ihren Ausgangspunkt in der Stellung des fränkischen
Königs hatten, wie Königsbann und Königsschutz, Immunität, Ämter-
und Lehenwesen wurden in allen Teilen des Reiches zu mehr oder
minder gleichmäſsiger Durchführung gebracht. Auſserdem gewann
das Königtum steigenden Einfluſs auf die Satzung und Ergänzung der
Volksrechte und wurde es durch die Ausübung seiner Verordnungs-
gewalt ein wesentlicher Faktor einheitlicher Rechtsbildung. Die
königlichen Kapitularien, mochten sie nun zu einzelnen Volksrechten
oder für den ganzen Umfang des Reiches erlassen werden, stellten
sich im allgemeinen auf den Boden des fränkischen Rechtes und

3 Z. B. Bernard, Chartes de Cluny I 219, Nr 229 v. J. 922: Constancius
esponsus tuus … tercia porcione tibi dono secundum mea lege romana.
4 Val de Liévre, Launegild und Wadia S 46.
5 Expositio § 2 zu Liu. 35, LL IV 424. Z f. HR XXII 131 Anm 2. Vgl.
Ficker, Mitth. des österr. Instituts, 2. Ergänzungsb. 1886 S 53, wo ausgeführt
wird, daſs sich in den langobardischen Gegenden Italiens das vivere lege Romana
schlieſslich nur noch auf etliche Einzelheiten bezog, in welchen sich das römische
Recht erhalten hatte.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 17
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[257/0275] § 33. Vielheit und Einheit des Rechtes. schriebene römische Recht, sondern das Vulgarrecht der römischen Provinzialen als Anknüpfungspunkt. Andrerseits drangen germanische Institutionen in das Recht der römischen Bevölkerung ein. Gegen Ausgang der fränkischen Periode lassen zahlreiche Urkunden über Rechtsgeschäfte ersehen, wie der Römer in Burgund die dem fränkischen Rechte entstammende Tertia „secundum legem romanam“ bestellte 3, wie er in Italien gleich den Langobarden bei Schenkungen das Laune- gild, bei Verheiratung der Tochter das Mundgeld nahm 4 und wie er sich bei Verträgen „secundum legem et consuetudinem romanam“ durch Hingabe einer Wadia verpflichtete 5. Noch weit mehr fällt die ausgleichende Einwirkung ins Gewicht, welche das fränkische Recht als das Recht des herrschenden Stammes auf die übrigen Stämme ausübte. Sie machte sich zum Teil auf gewohnheitsrechtlichem Wege, zum Teil auf dem Wege der Satzung geltend und führte zur Ausbreitung fränkischer Institutionen und fränkischer Rechtsausdrücke in allen Teilen des Reiches. Uniformierend wirkte in diesem Sinne die Rechtsprechung des Königsgerichtes, die natürlich in dem Banne fränkischer Rechtsanschauungen stand. Jene zahlreichen Franken, welche den Kern des Beamtentums bildeten, und ebenso die auserlesenen Köpfe nichtfränkischer Stämme, die am königlichen Hofe ihre Schulung empfingen, wirkten als Grafen, als königliche Missi und Gutsverwalter, als geistliche Würdenträger be- wuſst oder unbewuſst für die Verbreitung des fränkischen Rechtes. Einrichtungen, die ihren Ausgangspunkt in der Stellung des fränkischen Königs hatten, wie Königsbann und Königsschutz, Immunität, Ämter- und Lehenwesen wurden in allen Teilen des Reiches zu mehr oder minder gleichmäſsiger Durchführung gebracht. Auſserdem gewann das Königtum steigenden Einfluſs auf die Satzung und Ergänzung der Volksrechte und wurde es durch die Ausübung seiner Verordnungs- gewalt ein wesentlicher Faktor einheitlicher Rechtsbildung. Die königlichen Kapitularien, mochten sie nun zu einzelnen Volksrechten oder für den ganzen Umfang des Reiches erlassen werden, stellten sich im allgemeinen auf den Boden des fränkischen Rechtes und 3 Z. B. Bernard, Chartes de Cluny I 219, Nr 229 v. J. 922: Constancius esponsus tuus … tercia porcione tibi dono secundum mea lege romana. 4 Val de Liévre, Launegild und Wadia S 46. 5 Expositio § 2 zu Liu. 35, LL IV 424. Z f. HR XXII 131 Anm 2. Vgl. Ficker, Mitth. des österr. Instituts, 2. Ergänzungsb. 1886 S 53, wo ausgeführt wird, daſs sich in den langobardischen Gegenden Italiens das vivere lege Romana schlieſslich nur noch auf etliche Einzelheiten bezog, in welchen sich das römische Recht erhalten hatte. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 17

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/275>, abgerufen am 28.04.2024.