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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
die slawischen Rechte haben die Stellung eines vom Standpunkte des
Personalitätsprinzips anerkannten Stammesrechtes nicht erlangt.

Das Personalitätsprinzip lässt an sich die Frage offen, welches
Geburtsrecht massgebend sei, wenn an einem Rechtsverhältnis mehrere
Personen verschiedenen Geburtsrechts beteiligt sind. Die Rechtssätze,
die uns in dieser Beziehung überliefert sind, bilden das internationale
Privat- und Strafrecht der fränkischen Zeit, wobei denn freilich zu
beachten ist, dass es nur für die im fränkischen Reiche vertretenen
Nationen, nicht für Ausländer gegolten hat.

1. Das Wergeld wird durch das Geburtsrecht des Verletzten be-
stimmt. Dasselbe gilt von den Bussen für Körperverletzungen, die sich
als Bruchteile des Wergeldes darstellen, und überhaupt von allen Kom-
positionen, welchen der Gedanke zu Grunde liegt, dass die Feindschaft
des Gegners und seiner Sippe abgekauft werde. Ein italienisches
Kapitular Pippins von 790 stellt ausdrücklich den Grundsatz auf,
dass Unthaten, aus welchen eine faida erwachsen könne, nach dem
Rechte des Verletzten zu büssen seien8. Auf dieses weist auch jenes
Gesetz Ludwigs I. von 816 hin, welches bestimmt, dass die in der
Lex Salica normierten Bussen, wenn sie ein Friese oder ein Sachse
an einen Salier verwirkt, in solidi von 40 Denaren, also in der
Währung der Lex Salica gezahlt werden sollen9. Italienische Rechts-
quellen geben dem Rechte des Verletzten eine noch weiter gehende
Anwendung, indem sie es bei Kompositionen schlechtweg entscheiden
lassen. So sagt eine Rechtsaufzeichnung über Kollisionsfälle zwischen
Römern und Langobarden: quando componunt, iuxta legem cui malum
fecerint componant10. Aber auch im fränkischen Reichsrecht ist das
Recht des Verletzten auf einzelne Bussen ausgedehnt worden, für die

zurückgewiesen. Doch vermag er keinen Beleg von der Anwendung langobardischen
Rechtes diesseits der Alpen anzuführen. Ein solcher findet sich in einer salz-
burgischen Urkunde von 1058 bei Kleinmayrn, Juvavia Urkk. S 287. Ein Fri-
daricus, filius comitis Epponis schenkt den Kanonikern der Kirche des heiligen
Petrus und Ruodbert eine villa sancti Oudalrici: ... reliquit earum rerum vestituram
cartamque ipse Fridaricus ipsis canonicis presens presentibus dedit scriptam et
confirmatam secundum legem Langobardorum et Baioariorum.
8 Cap. Pipp. c. 4, I 201: volumus ut ubicumque culpa contigerit, unde faida
crescere potest, pro satisfactione hominis illius contra quem culpavit, secundum
ipsius legem cui negligentiam commisit, emendet.
9 Cap. legi add. c. 3, I 268. Siehe oben S 216.
10 Cap. ital. Nr. 105 c. 14, I 218 f. Vgl. Cap. Harist. von 779, Forma langob.
c. 11, I 49: et si ille qui criminavit alium, periurium non approbaverit, legem suam,
cui periuratum esse dixerit, persolvat. Die fälschliche Beschuldigung wegen Meineid
wird mit der Meineidsbusse des Beschuldigten gesühnt.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
die slawischen Rechte haben die Stellung eines vom Standpunkte des
Personalitätsprinzips anerkannten Stammesrechtes nicht erlangt.

Das Personalitätsprinzip läſst an sich die Frage offen, welches
Geburtsrecht maſsgebend sei, wenn an einem Rechtsverhältnis mehrere
Personen verschiedenen Geburtsrechts beteiligt sind. Die Rechtssätze,
die uns in dieser Beziehung überliefert sind, bilden das internationale
Privat- und Strafrecht der fränkischen Zeit, wobei denn freilich zu
beachten ist, daſs es nur für die im fränkischen Reiche vertretenen
Nationen, nicht für Ausländer gegolten hat.

1. Das Wergeld wird durch das Geburtsrecht des Verletzten be-
stimmt. Dasselbe gilt von den Buſsen für Körperverletzungen, die sich
als Bruchteile des Wergeldes darstellen, und überhaupt von allen Kom-
positionen, welchen der Gedanke zu Grunde liegt, daſs die Feindschaft
des Gegners und seiner Sippe abgekauft werde. Ein italienisches
Kapitular Pippins von 790 stellt ausdrücklich den Grundsatz auf,
daſs Unthaten, aus welchen eine faida erwachsen könne, nach dem
Rechte des Verletzten zu büſsen seien8. Auf dieses weist auch jenes
Gesetz Ludwigs I. von 816 hin, welches bestimmt, daſs die in der
Lex Salica normierten Buſsen, wenn sie ein Friese oder ein Sachse
an einen Salier verwirkt, in solidi von 40 Denaren, also in der
Währung der Lex Salica gezahlt werden sollen9. Italienische Rechts-
quellen geben dem Rechte des Verletzten eine noch weiter gehende
Anwendung, indem sie es bei Kompositionen schlechtweg entscheiden
lassen. So sagt eine Rechtsaufzeichnung über Kollisionsfälle zwischen
Römern und Langobarden: quando componunt, iuxta legem cui malum
fecerint componant10. Aber auch im fränkischen Reichsrecht ist das
Recht des Verletzten auf einzelne Buſsen ausgedehnt worden, für die

zurückgewiesen. Doch vermag er keinen Beleg von der Anwendung langobardischen
Rechtes diesseits der Alpen anzuführen. Ein solcher findet sich in einer salz-
burgischen Urkunde von 1058 bei Kleinmayrn, Juvavia Urkk. S 287. Ein Fri-
daricus, filius comitis Epponis schenkt den Kanonikern der Kirche des heiligen
Petrus und Ruodbert eine villa sancti Oudalrici: … reliquit earum rerum vestituram
cartamque ipse Fridaricus ipsis canonicis presens presentibus dedit scriptam et
confirmatam secundum legem Langobardorum et Baioariorum.
8 Cap. Pipp. c. 4, I 201: volumus ut ubicumque culpa contigerit, unde faida
crescere potest, pro satisfactione hominis illius contra quem culpavit, secundum
ipsius legem cui negligentiam commisit, emendet.
9 Cap. legi add. c. 3, I 268. Siehe oben S 216.
10 Cap. ital. Nr. 105 c. 14, I 218 f. Vgl. Cap. Harist. von 779, Forma langob.
c. 11, I 49: et si ille qui criminavit alium, periurium non approbaverit, legem suam,
cui periuratum esse dixerit, persolvat. Die fälschliche Beschuldigung wegen Meineid
wird mit der Meineidsbuſse des Beschuldigten gesühnt.
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[261/0279] § 34. Das Personalitätsprinzip. die slawischen Rechte haben die Stellung eines vom Standpunkte des Personalitätsprinzips anerkannten Stammesrechtes nicht erlangt. Das Personalitätsprinzip läſst an sich die Frage offen, welches Geburtsrecht maſsgebend sei, wenn an einem Rechtsverhältnis mehrere Personen verschiedenen Geburtsrechts beteiligt sind. Die Rechtssätze, die uns in dieser Beziehung überliefert sind, bilden das internationale Privat- und Strafrecht der fränkischen Zeit, wobei denn freilich zu beachten ist, daſs es nur für die im fränkischen Reiche vertretenen Nationen, nicht für Ausländer gegolten hat. 1. Das Wergeld wird durch das Geburtsrecht des Verletzten be- stimmt. Dasselbe gilt von den Buſsen für Körperverletzungen, die sich als Bruchteile des Wergeldes darstellen, und überhaupt von allen Kom- positionen, welchen der Gedanke zu Grunde liegt, daſs die Feindschaft des Gegners und seiner Sippe abgekauft werde. Ein italienisches Kapitular Pippins von 790 stellt ausdrücklich den Grundsatz auf, daſs Unthaten, aus welchen eine faida erwachsen könne, nach dem Rechte des Verletzten zu büſsen seien 8. Auf dieses weist auch jenes Gesetz Ludwigs I. von 816 hin, welches bestimmt, daſs die in der Lex Salica normierten Buſsen, wenn sie ein Friese oder ein Sachse an einen Salier verwirkt, in solidi von 40 Denaren, also in der Währung der Lex Salica gezahlt werden sollen 9. Italienische Rechts- quellen geben dem Rechte des Verletzten eine noch weiter gehende Anwendung, indem sie es bei Kompositionen schlechtweg entscheiden lassen. So sagt eine Rechtsaufzeichnung über Kollisionsfälle zwischen Römern und Langobarden: quando componunt, iuxta legem cui malum fecerint componant 10. Aber auch im fränkischen Reichsrecht ist das Recht des Verletzten auf einzelne Buſsen ausgedehnt worden, für die 7 8 Cap. Pipp. c. 4, I 201: volumus ut ubicumque culpa contigerit, unde faida crescere potest, pro satisfactione hominis illius contra quem culpavit, secundum ipsius legem cui negligentiam commisit, emendet. 9 Cap. legi add. c. 3, I 268. Siehe oben S 216. 10 Cap. ital. Nr. 105 c. 14, I 218 f. Vgl. Cap. Harist. von 779, Forma langob. c. 11, I 49: et si ille qui criminavit alium, periurium non approbaverit, legem suam, cui periuratum esse dixerit, persolvat. Die fälschliche Beschuldigung wegen Meineid wird mit der Meineidsbuſse des Beschuldigten gesühnt. 7 zurückgewiesen. Doch vermag er keinen Beleg von der Anwendung langobardischen Rechtes diesseits der Alpen anzuführen. Ein solcher findet sich in einer salz- burgischen Urkunde von 1058 bei Kleinmayrn, Juvavia Urkk. S 287. Ein Fri- daricus, filius comitis Epponis schenkt den Kanonikern der Kirche des heiligen Petrus und Ruodbert eine villa sancti Oudalrici: … reliquit earum rerum vestituram cartamque ipse Fridaricus ipsis canonicis presens presentibus dedit scriptam et confirmatam secundum legem Langobardorum et Baioariorum.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/279>, abgerufen am 29.04.2024.