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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 36. Volksrecht und Königsrecht.

Galt es hier den Gegensatz in begrifflicher Schärfe hinzustellen,
um ihn überhaupt zu klarer Anschauung zu bringen, so darf doch
nicht verhehlt werden, dass die Grenzen zwischen Volksrecht und
Königsrecht durch die thatsächlichen Verhältnisse mancherlei Trübung
erfuhren. Einerseits hat der König Rechtssätze, welche der Urteil-
findung zu Grunde gelegt werden sollten, wenn ein Widerstreben der
rechtsprechenden Organe schlechterdings nicht zu besorgen war, ohne
Zustimmung des Volkes dekretiert, so dass sie dann durch ihre An-
wendung bei der Rechtsprechung zu wirklichem Volksrechte wurden;
andererseits hat es der König nicht verschmäht, Einrichtungen, die
er ohne weiteres kraft seiner Banngewalt durchführen konnte, im
Wege volksrechtlicher Satzung unter den Schutz des Volksrechtes zu
stellen.

Das Verhältnis zwischen Königsrecht und Volksrecht konnte ein
verschiedenartiges sein. Es gab Rechtssätze und Rechtsinstitute des
Königsrechtes, welche das Volksrecht ergänzten, ferner solche, welche
mit den Rechtssätzen und Rechtsinstituten des Volksrechtes kon-
kurrierten, und endlich solche, welche dem Volksrechte widerstritten.
Einzelne Beispiele sollen diese verschiedenen Funktionen des Königs-
rechtes erläutern.

Das Königsrecht ergänzte das Volksrecht durch Ausbildung einer
Exekution in das Vermögen des Schuldners. Es gab eine Zeit, in
welcher das Volksrecht keinerlei gerichtliche Zwangsvollstreckung
kannte, sondern nur die Pfandnahme des Gläubigers und die Friedlos-
legung verfügbar waren gegen denjenigen, der sich weigerte das
Recht zu erfüllen. Schon zu Beginn der merowingischen Periode war
als eine zunächst königsrechtliche Institution eine Mobiliarpfändung
eingeführt worden, welche ein königlicher Beamter, der Graf, vorzu-
nehmen hatte. Ihre Anfänge liegen im dunklen. Der älteste uns
überlieferte Text der Lex Salica kennt sie bereits. Aber noch ge-
raume Zeit hindurch fehlte es an einer Zwangsvollstreckung in Liegen-
schaften. Eine solche wurde erst durch das karolingische Königtum und
zwar im Anschluss an die Friedloslegung eingeführt. Die Friedlosigkeit
wurde vom König verhängt und ergriff, wie oben S 168 ausgeführt
worden ist, nicht nur die Person, sondern auch das Gut des Ge-
ächteten, welches dem König verfiel. Aus der Friedlosigkeit des

Gerichtsverfassung I 102 ff. mit der ihm eigentümlichen Energie entwickelt worden.
Ich kann seine Darstellung nur mit den oben entwickelten Modifikationen acceptieren
und insbesondere nicht zugeben, dass das Volksrecht nur Gewohnheitsrecht, das Ge-
wohnheitsrecht nur Volksrecht sei.
§ 36. Volksrecht und Königsrecht.

Galt es hier den Gegensatz in begrifflicher Schärfe hinzustellen,
um ihn überhaupt zu klarer Anschauung zu bringen, so darf doch
nicht verhehlt werden, daſs die Grenzen zwischen Volksrecht und
Königsrecht durch die thatsächlichen Verhältnisse mancherlei Trübung
erfuhren. Einerseits hat der König Rechtssätze, welche der Urteil-
findung zu Grunde gelegt werden sollten, wenn ein Widerstreben der
rechtsprechenden Organe schlechterdings nicht zu besorgen war, ohne
Zustimmung des Volkes dekretiert, so daſs sie dann durch ihre An-
wendung bei der Rechtsprechung zu wirklichem Volksrechte wurden;
andererseits hat es der König nicht verschmäht, Einrichtungen, die
er ohne weiteres kraft seiner Banngewalt durchführen konnte, im
Wege volksrechtlicher Satzung unter den Schutz des Volksrechtes zu
stellen.

Das Verhältnis zwischen Königsrecht und Volksrecht konnte ein
verschiedenartiges sein. Es gab Rechtssätze und Rechtsinstitute des
Königsrechtes, welche das Volksrecht ergänzten, ferner solche, welche
mit den Rechtssätzen und Rechtsinstituten des Volksrechtes kon-
kurrierten, und endlich solche, welche dem Volksrechte widerstritten.
Einzelne Beispiele sollen diese verschiedenen Funktionen des Königs-
rechtes erläutern.

Das Königsrecht ergänzte das Volksrecht durch Ausbildung einer
Exekution in das Vermögen des Schuldners. Es gab eine Zeit, in
welcher das Volksrecht keinerlei gerichtliche Zwangsvollstreckung
kannte, sondern nur die Pfandnahme des Gläubigers und die Friedlos-
legung verfügbar waren gegen denjenigen, der sich weigerte das
Recht zu erfüllen. Schon zu Beginn der merowingischen Periode war
als eine zunächst königsrechtliche Institution eine Mobiliarpfändung
eingeführt worden, welche ein königlicher Beamter, der Graf, vorzu-
nehmen hatte. Ihre Anfänge liegen im dunklen. Der älteste uns
überlieferte Text der Lex Salica kennt sie bereits. Aber noch ge-
raume Zeit hindurch fehlte es an einer Zwangsvollstreckung in Liegen-
schaften. Eine solche wurde erst durch das karolingische Königtum und
zwar im Anschluſs an die Friedloslegung eingeführt. Die Friedlosigkeit
wurde vom König verhängt und ergriff, wie oben S 168 ausgeführt
worden ist, nicht nur die Person, sondern auch das Gut des Ge-
ächteten, welches dem König verfiel. Aus der Friedlosigkeit des

Gerichtsverfassung I 102 ff. mit der ihm eigentümlichen Energie entwickelt worden.
Ich kann seine Darstellung nur mit den oben entwickelten Modifikationen acceptieren
und insbesondere nicht zugeben, daſs das Volksrecht nur Gewohnheitsrecht, das Ge-
wohnheitsrecht nur Volksrecht sei.
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[279/0297] § 36. Volksrecht und Königsrecht. Galt es hier den Gegensatz in begrifflicher Schärfe hinzustellen, um ihn überhaupt zu klarer Anschauung zu bringen, so darf doch nicht verhehlt werden, daſs die Grenzen zwischen Volksrecht und Königsrecht durch die thatsächlichen Verhältnisse mancherlei Trübung erfuhren. Einerseits hat der König Rechtssätze, welche der Urteil- findung zu Grunde gelegt werden sollten, wenn ein Widerstreben der rechtsprechenden Organe schlechterdings nicht zu besorgen war, ohne Zustimmung des Volkes dekretiert, so daſs sie dann durch ihre An- wendung bei der Rechtsprechung zu wirklichem Volksrechte wurden; andererseits hat es der König nicht verschmäht, Einrichtungen, die er ohne weiteres kraft seiner Banngewalt durchführen konnte, im Wege volksrechtlicher Satzung unter den Schutz des Volksrechtes zu stellen. Das Verhältnis zwischen Königsrecht und Volksrecht konnte ein verschiedenartiges sein. Es gab Rechtssätze und Rechtsinstitute des Königsrechtes, welche das Volksrecht ergänzten, ferner solche, welche mit den Rechtssätzen und Rechtsinstituten des Volksrechtes kon- kurrierten, und endlich solche, welche dem Volksrechte widerstritten. Einzelne Beispiele sollen diese verschiedenen Funktionen des Königs- rechtes erläutern. Das Königsrecht ergänzte das Volksrecht durch Ausbildung einer Exekution in das Vermögen des Schuldners. Es gab eine Zeit, in welcher das Volksrecht keinerlei gerichtliche Zwangsvollstreckung kannte, sondern nur die Pfandnahme des Gläubigers und die Friedlos- legung verfügbar waren gegen denjenigen, der sich weigerte das Recht zu erfüllen. Schon zu Beginn der merowingischen Periode war als eine zunächst königsrechtliche Institution eine Mobiliarpfändung eingeführt worden, welche ein königlicher Beamter, der Graf, vorzu- nehmen hatte. Ihre Anfänge liegen im dunklen. Der älteste uns überlieferte Text der Lex Salica kennt sie bereits. Aber noch ge- raume Zeit hindurch fehlte es an einer Zwangsvollstreckung in Liegen- schaften. Eine solche wurde erst durch das karolingische Königtum und zwar im Anschluſs an die Friedloslegung eingeführt. Die Friedlosigkeit wurde vom König verhängt und ergriff, wie oben S 168 ausgeführt worden ist, nicht nur die Person, sondern auch das Gut des Ge- ächteten, welches dem König verfiel. Aus der Friedlosigkeit des 1 1 Gerichtsverfassung I 102 ff. mit der ihm eigentümlichen Energie entwickelt worden. Ich kann seine Darstellung nur mit den oben entwickelten Modifikationen acceptieren und insbesondere nicht zugeben, daſs das Volksrecht nur Gewohnheitsrecht, das Ge- wohnheitsrecht nur Volksrecht sei.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/297>, abgerufen am 29.04.2024.