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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 39. Die Lex Salica.
Masse erfolgt, ehe die älteste handschriftlich überlieferte Textform der
Lex Salica zur Ausbildung gelangt war. Ein derartiges, nachträglich
aufgenommenes Königsgesetz scheint gleich der erste Titel zu sein,
welcher die Vorladung vor Gericht behandelt18).

In den älteren Texten finden sich zahlreiche nicht lateinische
Wörter eingestreut, welche den Satzbau unterbrechend durch die Sigle
mall. oder malb. eingeführt werden19). Man nennt sie herkömmlich
die mallbergischen Glossen. Es sind altfränkische Wörter, aber durch
die Ungunst der handschriftlichen Überlieferung zum Teil so hoff-
nungslos verderbt20), dass man sie alles Ernstes für keltisch er-
klären konnte21). Sie wollen den Inhalt des lateinischen Textes durch
technische Ausdrücke erläutern und ergänzen, wie sie auf der Gerichts-
stätte, in mallobergo gebraucht wurden22). Einzelne Glossen mögen

18) Titel 1 ist eine königliche Satzung. Die Vorladung, welche darin ge-
regelt wird, ist durch die Wendung: si quis ad mallum legibus dominicis mannitus
fuerit ... als eine Vorladung kraft königl. Gesetzes bezeichnet. Das "legibus do-
minicis" soll sie von anderen Vorladungen unterscheiden. Um eine rechtmässige
Ladung überhaupt zu bezeichnen, hätte, wie in Lex Rib. 32, 1, das Wort legibus
an sich genügt. Der Zusatz dominicis bedeutet den Gegensatz zur Ladung nach
römischem Rechte, welche nicht Privatladung, sondern gerichtliche Ladung war und
die Stellung eines Prozessvertreters gestattete (Bethmann-Hollweg, Civilprozess
III 241 f.). Die Ladung legibus dominicis war wohl insofern nicht völlig identisch
mit der Ladung secundum legem Salicam, als das Königsgesetz des Tit. 1 sie auch
den Römern zur Verfügung gestellt haben dürfte (vgl. Form. Andegav. 12--14).
Für die jüngere Entstehung des Titels fällt die Wahrnehmung ins Gewicht, dass
alle älteren Texte entweder in c. 1 oder in c. 2 die Rechnung nach Denaren ver-
missen lassen. Mit Unrecht vermutet Geppert, Beitr. zur Lehre von der Ge-
richtsverfassung der Lex Sal. S 14, dass die Worte legibus dominicis dem Texte
der Lex ursprünglich gefehlt hätten, weil die althd. Übersetzung der Trierer Frag-
mente sie ignoriert. Der Text, den das Bruchstück übersetzt, gehörte bereits der
Emendata an, wie schon die Zahlen der Titelrubriken ergeben.
19) Z. B. Lex Sal. 2, 14: si quis 25 porcos qui furaverit, ubi amplius non
fuerit in grege illa, et ei fuerit adprobatum, mall. sonista, hoc est 2500 den. qui
faciunt sol. 62 culp. iud. Sonista bedeutet Herde. Tit. 46 löst die Abkürzung
malb. auf als: hoc est in mallobergo.
20) Aus dem Verderbnis der an das Vulgarlatein anklingenden Glossen schliesst
Kern bei Hessels col. 433, dass sie nach Diktat geschrieben worden seien.
21) Leo, Die Malberg. Glosse ein Rest altkeltischer Sprache und Rechtsauf-
fassung, 2 Hefte 1842. 1845.
22) Den grössten Reichtum an Glossen haben nicht die ältesten Texte, sondern
die der zweiten und dritten Familie und Herold. Auch jüngere Anhänge der Lex
sind glossiert. S. unten Anm 48. Diese Thatsache spricht gegen Kerns Mei-
nung (bei Hessels col. 434), dass die Lex Sal. ursprünglich in deutscher Sprache
abgefasst worden und die Glosse ein Überrest dieses im übrigen verlorenen
Textes sei.

§ 39. Die Lex Salica.
Maſse erfolgt, ehe die älteste handschriftlich überlieferte Textform der
Lex Salica zur Ausbildung gelangt war. Ein derartiges, nachträglich
aufgenommenes Königsgesetz scheint gleich der erste Titel zu sein,
welcher die Vorladung vor Gericht behandelt18).

In den älteren Texten finden sich zahlreiche nicht lateinische
Wörter eingestreut, welche den Satzbau unterbrechend durch die Sigle
mall. oder malb. eingeführt werden19). Man nennt sie herkömmlich
die mallbergischen Glossen. Es sind altfränkische Wörter, aber durch
die Ungunst der handschriftlichen Überlieferung zum Teil so hoff-
nungslos verderbt20), daſs man sie alles Ernstes für keltisch er-
klären konnte21). Sie wollen den Inhalt des lateinischen Textes durch
technische Ausdrücke erläutern und ergänzen, wie sie auf der Gerichts-
stätte, in mallobergo gebraucht wurden22). Einzelne Glossen mögen

18) Titel 1 ist eine königliche Satzung. Die Vorladung, welche darin ge-
regelt wird, ist durch die Wendung: si quis ad mallum legibus dominicis mannitus
fuerit … als eine Vorladung kraft königl. Gesetzes bezeichnet. Das „legibus do-
minicis“ soll sie von anderen Vorladungen unterscheiden. Um eine rechtmäſsige
Ladung überhaupt zu bezeichnen, hätte, wie in Lex Rib. 32, 1, das Wort legibus
an sich genügt. Der Zusatz dominicis bedeutet den Gegensatz zur Ladung nach
römischem Rechte, welche nicht Privatladung, sondern gerichtliche Ladung war und
die Stellung eines Prozeſsvertreters gestattete (Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs
III 241 f.). Die Ladung legibus dominicis war wohl insofern nicht völlig identisch
mit der Ladung secundum legem Salicam, als das Königsgesetz des Tit. 1 sie auch
den Römern zur Verfügung gestellt haben dürfte (vgl. Form. Andegav. 12—14).
Für die jüngere Entstehung des Titels fällt die Wahrnehmung ins Gewicht, daſs
alle älteren Texte entweder in c. 1 oder in c. 2 die Rechnung nach Denaren ver-
missen lassen. Mit Unrecht vermutet Geppert, Beitr. zur Lehre von der Ge-
richtsverfassung der Lex Sal. S 14, daſs die Worte legibus dominicis dem Texte
der Lex ursprünglich gefehlt hätten, weil die althd. Übersetzung der Trierer Frag-
mente sie ignoriert. Der Text, den das Bruchstück übersetzt, gehörte bereits der
Emendata an, wie schon die Zahlen der Titelrubriken ergeben.
19) Z. B. Lex Sal. 2, 14: si quis 25 porcos qui furaverit, ubi amplius non
fuerit in grege illa, et ei fuerit adprobatum, mall. sonista, hoc est 2500 den. qui
faciunt sol. 62 culp. iud. Sonista bedeutet Herde. Tit. 46 löst die Abkürzung
malb. auf als: hoc est in mallobergo.
20) Aus dem Verderbnis der an das Vulgarlatein anklingenden Glossen schlieſst
Kern bei Hessels col. 433, daſs sie nach Diktat geschrieben worden seien.
21) Leo, Die Malberg. Glosse ein Rest altkeltischer Sprache und Rechtsauf-
fassung, 2 Hefte 1842. 1845.
22) Den gröſsten Reichtum an Glossen haben nicht die ältesten Texte, sondern
die der zweiten und dritten Familie und Herold. Auch jüngere Anhänge der Lex
sind glossiert. S. unten Anm 48. Diese Thatsache spricht gegen Kerns Mei-
nung (bei Hessels col. 434), daſs die Lex Sal. ursprünglich in deutscher Sprache
abgefaſst worden und die Glosse ein Überrest dieses im übrigen verlorenen
Textes sei.
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[296/0314] § 39. Die Lex Salica. Maſse erfolgt, ehe die älteste handschriftlich überlieferte Textform der Lex Salica zur Ausbildung gelangt war. Ein derartiges, nachträglich aufgenommenes Königsgesetz scheint gleich der erste Titel zu sein, welcher die Vorladung vor Gericht behandelt 18). In den älteren Texten finden sich zahlreiche nicht lateinische Wörter eingestreut, welche den Satzbau unterbrechend durch die Sigle mall. oder malb. eingeführt werden 19). Man nennt sie herkömmlich die mallbergischen Glossen. Es sind altfränkische Wörter, aber durch die Ungunst der handschriftlichen Überlieferung zum Teil so hoff- nungslos verderbt 20), daſs man sie alles Ernstes für keltisch er- klären konnte 21). Sie wollen den Inhalt des lateinischen Textes durch technische Ausdrücke erläutern und ergänzen, wie sie auf der Gerichts- stätte, in mallobergo gebraucht wurden 22). Einzelne Glossen mögen 18) Titel 1 ist eine königliche Satzung. Die Vorladung, welche darin ge- regelt wird, ist durch die Wendung: si quis ad mallum legibus dominicis mannitus fuerit … als eine Vorladung kraft königl. Gesetzes bezeichnet. Das „legibus do- minicis“ soll sie von anderen Vorladungen unterscheiden. Um eine rechtmäſsige Ladung überhaupt zu bezeichnen, hätte, wie in Lex Rib. 32, 1, das Wort legibus an sich genügt. Der Zusatz dominicis bedeutet den Gegensatz zur Ladung nach römischem Rechte, welche nicht Privatladung, sondern gerichtliche Ladung war und die Stellung eines Prozeſsvertreters gestattete (Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs III 241 f.). Die Ladung legibus dominicis war wohl insofern nicht völlig identisch mit der Ladung secundum legem Salicam, als das Königsgesetz des Tit. 1 sie auch den Römern zur Verfügung gestellt haben dürfte (vgl. Form. Andegav. 12—14). Für die jüngere Entstehung des Titels fällt die Wahrnehmung ins Gewicht, daſs alle älteren Texte entweder in c. 1 oder in c. 2 die Rechnung nach Denaren ver- missen lassen. Mit Unrecht vermutet Geppert, Beitr. zur Lehre von der Ge- richtsverfassung der Lex Sal. S 14, daſs die Worte legibus dominicis dem Texte der Lex ursprünglich gefehlt hätten, weil die althd. Übersetzung der Trierer Frag- mente sie ignoriert. Der Text, den das Bruchstück übersetzt, gehörte bereits der Emendata an, wie schon die Zahlen der Titelrubriken ergeben. 19) Z. B. Lex Sal. 2, 14: si quis 25 porcos qui furaverit, ubi amplius non fuerit in grege illa, et ei fuerit adprobatum, mall. sonista, hoc est 2500 den. qui faciunt sol. 62 culp. iud. Sonista bedeutet Herde. Tit. 46 löst die Abkürzung malb. auf als: hoc est in mallobergo. 20) Aus dem Verderbnis der an das Vulgarlatein anklingenden Glossen schlieſst Kern bei Hessels col. 433, daſs sie nach Diktat geschrieben worden seien. 21) Leo, Die Malberg. Glosse ein Rest altkeltischer Sprache und Rechtsauf- fassung, 2 Hefte 1842. 1845. 22) Den gröſsten Reichtum an Glossen haben nicht die ältesten Texte, sondern die der zweiten und dritten Familie und Herold. Auch jüngere Anhänge der Lex sind glossiert. S. unten Anm 48. Diese Thatsache spricht gegen Kerns Mei- nung (bei Hessels col. 434), daſs die Lex Sal. ursprünglich in deutscher Sprache abgefaſst worden und die Glosse ein Überrest dieses im übrigen verlorenen Textes sei.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/314>, abgerufen am 12.05.2024.