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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 53. Edictus Langobardorum.
nur die Enterbungsgründe7, die zweijährige Frist zur Vollziehung
einer Verlobung8 und die Verwendung des Verjährungsbegriffes9 auf
römisches Recht zurückgeführt werden. Kirchliche Verhältnisse10 hat
Rothari wenig berücksichtigt, eine kirchliche Art der Freilassung
nicht anerkannt. Die herrschende Form des Christentums war damals
bei den Langobarden noch der Arianismus. Der Römer wird in dem
Edikte nicht besonders gedacht. Nur an einer Stelle ist von einer
ancilla romana die Rede11. Allem Anscheine nach war die römische
Bevölkerung in Sachen des öffentlichen Rechtes und im Rechtsverkehr
mit den Langobarden den Vorschriften des Edikts unterworfen und
wurde nur in den gegenseitigen Rechtsbeziehungen der Römer die
Anwendung des römischen Rechtes geduldet12.

Von Rotharis Edikt sind uns zwei Auszüge in griechischer Sprache
erhalten, welche im Fürstentum Benevent für den Gebrauch der da-
selbst lebenden Griechen verfasst worden sind13.

Die von den Nachfolgern Rotharis erlassenen Gesetze stellen sich
als Nachträge zu dem Edikt ihres Vorgängers dar, so dass man nicht
von mehreren Edikten der langobardischen Könige, sondern nur von
einem Edictus Langobardorum zu sprechen berechtigt ist.

Im Jahre 668 fügte Grimoald auf Wunsch der langobardischen
Richter dem Edictus neun Kapitel hinzu, um gewisse Härten des
älteren Rechtes zu mildern. Sie beschränken die Haftung des Herrn
für seine Eigenleute, gewähren den Enkeln ein Erbrecht in Kon-
kurrenz mit den Söhnen des Erblassers; der dreissigjährige Besitz-
stand wird geschützt oder doch beweisrechtlich begünstigt, die recht-
liche Stellung der Ehefrau verbessert.

Weit umfangreicher und einschneidender war die legislative Thä-
tigkeit, welche König Liutprand in den Jahren 713--735 entfaltete.
Seine zahlreichen Gesetze bilden nicht wie das Werk Rotharis eine
planmässig geordnete und in sich abgeschlossene Satzung, sondern
wurden zur Ergänzung des Ediktes in fünfzehn verschiedenen Regie-
rungsjahren erlassen14 und sind demgemäss in fünfzehn Massen,

7 Rothari 169. Vgl. Nov. 115 c. 3 § 1. 5. 6.
8 Roth. 178. Vgl. Codex Just. V 1, 2.
9 Roth. 227. 228.
10 Roth. 272 regelt das Asylrecht, Roth. 35 bestraft das scandalum in ecclesia.
Roth. 343 kennt eine Verlautbarung vor der Kirchenthüre.
11 Roth. 194.
12 Bethmann-Hollweg, Civilprozess IV 332 ff.
13 Bluhme hat sie als graeci interpretis eclogae edicti Langobardorum LL
IV 225 ff. abgedruckt. Vgl. a. O. praef. S XLV.
14 Auszuscheiden ist c. 29, welches nicht von Liutprand stammt, sondern sich

§ 53. Edictus Langobardorum.
nur die Enterbungsgründe7, die zweijährige Frist zur Vollziehung
einer Verlobung8 und die Verwendung des Verjährungsbegriffes9 auf
römisches Recht zurückgeführt werden. Kirchliche Verhältnisse10 hat
Rothari wenig berücksichtigt, eine kirchliche Art der Freilassung
nicht anerkannt. Die herrschende Form des Christentums war damals
bei den Langobarden noch der Arianismus. Der Römer wird in dem
Edikte nicht besonders gedacht. Nur an einer Stelle ist von einer
ancilla romana die Rede11. Allem Anscheine nach war die römische
Bevölkerung in Sachen des öffentlichen Rechtes und im Rechtsverkehr
mit den Langobarden den Vorschriften des Edikts unterworfen und
wurde nur in den gegenseitigen Rechtsbeziehungen der Römer die
Anwendung des römischen Rechtes geduldet12.

Von Rotharis Edikt sind uns zwei Auszüge in griechischer Sprache
erhalten, welche im Fürstentum Benevent für den Gebrauch der da-
selbst lebenden Griechen verfaſst worden sind13.

Die von den Nachfolgern Rotharis erlassenen Gesetze stellen sich
als Nachträge zu dem Edikt ihres Vorgängers dar, so daſs man nicht
von mehreren Edikten der langobardischen Könige, sondern nur von
einem Edictus Langobardorum zu sprechen berechtigt ist.

Im Jahre 668 fügte Grimoald auf Wunsch der langobardischen
Richter dem Edictus neun Kapitel hinzu, um gewisse Härten des
älteren Rechtes zu mildern. Sie beschränken die Haftung des Herrn
für seine Eigenleute, gewähren den Enkeln ein Erbrecht in Kon-
kurrenz mit den Söhnen des Erblassers; der dreiſsigjährige Besitz-
stand wird geschützt oder doch beweisrechtlich begünstigt, die recht-
liche Stellung der Ehefrau verbessert.

Weit umfangreicher und einschneidender war die legislative Thä-
tigkeit, welche König Liutprand in den Jahren 713—735 entfaltete.
Seine zahlreichen Gesetze bilden nicht wie das Werk Rotharis eine
planmäſsig geordnete und in sich abgeschlossene Satzung, sondern
wurden zur Ergänzung des Ediktes in fünfzehn verschiedenen Regie-
rungsjahren erlassen14 und sind demgemäſs in fünfzehn Massen,

7 Rothari 169. Vgl. Nov. 115 c. 3 § 1. 5. 6.
8 Roth. 178. Vgl. Codex Just. V 1, 2.
9 Roth. 227. 228.
10 Roth. 272 regelt das Asylrecht, Roth. 35 bestraft das scandalum in ecclesia.
Roth. 343 kennt eine Verlautbarung vor der Kirchenthüre.
11 Roth. 194.
12 Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 332 ff.
13 Bluhme hat sie als graeci interpretis eclogae edicti Langobardorum LL
IV 225 ff. abgedruckt. Vgl. a. O. praef. S XLV.
14 Auszuscheiden ist c. 29, welches nicht von Liutprand stammt, sondern sich
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[370/0388] § 53. Edictus Langobardorum. nur die Enterbungsgründe 7, die zweijährige Frist zur Vollziehung einer Verlobung 8 und die Verwendung des Verjährungsbegriffes 9 auf römisches Recht zurückgeführt werden. Kirchliche Verhältnisse 10 hat Rothari wenig berücksichtigt, eine kirchliche Art der Freilassung nicht anerkannt. Die herrschende Form des Christentums war damals bei den Langobarden noch der Arianismus. Der Römer wird in dem Edikte nicht besonders gedacht. Nur an einer Stelle ist von einer ancilla romana die Rede 11. Allem Anscheine nach war die römische Bevölkerung in Sachen des öffentlichen Rechtes und im Rechtsverkehr mit den Langobarden den Vorschriften des Edikts unterworfen und wurde nur in den gegenseitigen Rechtsbeziehungen der Römer die Anwendung des römischen Rechtes geduldet 12. Von Rotharis Edikt sind uns zwei Auszüge in griechischer Sprache erhalten, welche im Fürstentum Benevent für den Gebrauch der da- selbst lebenden Griechen verfaſst worden sind 13. Die von den Nachfolgern Rotharis erlassenen Gesetze stellen sich als Nachträge zu dem Edikt ihres Vorgängers dar, so daſs man nicht von mehreren Edikten der langobardischen Könige, sondern nur von einem Edictus Langobardorum zu sprechen berechtigt ist. Im Jahre 668 fügte Grimoald auf Wunsch der langobardischen Richter dem Edictus neun Kapitel hinzu, um gewisse Härten des älteren Rechtes zu mildern. Sie beschränken die Haftung des Herrn für seine Eigenleute, gewähren den Enkeln ein Erbrecht in Kon- kurrenz mit den Söhnen des Erblassers; der dreiſsigjährige Besitz- stand wird geschützt oder doch beweisrechtlich begünstigt, die recht- liche Stellung der Ehefrau verbessert. Weit umfangreicher und einschneidender war die legislative Thä- tigkeit, welche König Liutprand in den Jahren 713—735 entfaltete. Seine zahlreichen Gesetze bilden nicht wie das Werk Rotharis eine planmäſsig geordnete und in sich abgeschlossene Satzung, sondern wurden zur Ergänzung des Ediktes in fünfzehn verschiedenen Regie- rungsjahren erlassen 14 und sind demgemäſs in fünfzehn Massen, 7 Rothari 169. Vgl. Nov. 115 c. 3 § 1. 5. 6. 8 Roth. 178. Vgl. Codex Just. V 1, 2. 9 Roth. 227. 228. 10 Roth. 272 regelt das Asylrecht, Roth. 35 bestraft das scandalum in ecclesia. Roth. 343 kennt eine Verlautbarung vor der Kirchenthüre. 11 Roth. 194. 12 Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 332 ff. 13 Bluhme hat sie als graeci interpretis eclogae edicti Langobardorum LL IV 225 ff. abgedruckt. Vgl. a. O. praef. S XLV. 14 Auszuscheiden ist c. 29, welches nicht von Liutprand stammt, sondern sich

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/388>, abgerufen am 30.04.2024.