Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica.

Die Versuche, den Sacebaro mit unserem sonstigen Wissen über
die fränkische Gerichtsverfassung in Einklang zu bringen, sind bislang
ohne festes Ergebnis geblieben 16, und nicht viel glücklicher waren
die Bemühungen, das Wort etymologisch zu erklären 17. Am nächsten
scheinen die salischen Sacebarone den pueri regis der Lex Burgun-
dionum zu stehen, qui multam per pagos exigunt 18, denselben, welche
auch als wittiscalci bezeichnet werden und gleichfalls durch dreifache
Busse gegen Verletzungen geschützt sind 19. Wie die Wittiskalke
sind die Sacebarone regelmässig, ursprünglich wohl immer, pueri regis
gewesen 20.


tatem facere (quittieren). Die Emendata sagt: si causa aliqua ante illos secundum
legem fuerit definita, ante grafionem removere eam non licet.
16 Manche fassen sie als Rechtsprecher auf nach Art des friesischen Asega,
andere als Urteilfinder im gebotenen Gericht oder im Königsgericht, andere als
Richter, die den Grafen vertraten, oder als Appellationsrichter oder als Schieds-
richter nach Art der holländischen Segsmannen. Siehe die Litteratur bei Sohm,
S. 95 ff. Hermann, Schöffengericht, sieht in ihnen Viertelsrichter, H. O. Lehmann
Finanzbeamte, Pfennigmänner, Kern bei Hessels Mitglieder einer Jury nach Art
der Vehmschöffen. Sohm hält sie für Schultheisse, d. h. königliche Hundert-
schaftsbeamte. Allein dann ist es kaum zu erklären, dass an einem mallus nicht
mehr als drei sein sollen, während die Folgezeit mit einem Hundertschaftsbeamten
auskam. Auch müsste es befremden, dass es von dem Hundertschaftsbeamten ab-
hing, was dem Grafen zu thun übrig bleiben sollte. W. Sickel erblickt in dem
Sacebaro den Vorläufer des Tribunus. Nach Schröder, RG S. 126, sind das
Amt des Thungins und das des Sacebaros in dem des Schultheiss (Centenars) ver-
schmolzen.
17 Sace erklärt man als saca, Sache, causa, compositio oder als secchia,
Streit. Nach Kögel ist sagibaro die richtige Form und liegt *sagja, sequens, socius
zu Grunde, wie im westgotischen sagio. Baro, von anderen aus beran, ferre oder
aus *barian, offenbaren, abgeleitet, wird von Kögel mit J. Grimm als baro, vir er-
klärt. Ist saca, sacha damit verbunden (vgl. Kern zu Hessels § 244), so entspricht
sacebaro in der Wortbedeutung dem burgundischen wittiskalk. Zieht man den
sagio heran, so ist nicht ein sagio des Grafen, sondern der sajo regis das gotische
Analogon.
18 Lex Burg. 49, 4; 76, 1: ut pueros nostros, qui iudicia exsequuntur, qui-
busque multam iubemus exigere ...
19 Lex Burg. 76, 1: .. ut quicumque posthaec pueros nostros ceciderit, et
insolenter abstulerit, quod ex ordinatione iudicis docebitur fuisse praesumptum,
tripla satisfactione teneatur obnoxius.
20 Denn es ist bezeichnend, dass die Lex Salica den sacebaro, qui puer regis
est, dem sacebaro, qui ingenuus est, voranstellt und dass verschiedene Texte den
Worten qui ingenuus est hinzufügen: et se sacebarone posuit. Offenbar verwendete
der König damals vorzugsweise seine pueri als Sacebarone und war es noch
aussergewöhnlich, dass ein Freier sich in ein solches Dienstverhältnis begab, 'se
sacebarone posuit'.
§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica.

Die Versuche, den Sacebaro mit unserem sonstigen Wissen über
die fränkische Gerichtsverfassung in Einklang zu bringen, sind bislang
ohne festes Ergebnis geblieben 16, und nicht viel glücklicher waren
die Bemühungen, das Wort etymologisch zu erklären 17. Am nächsten
scheinen die salischen Sacebarone den pueri regis der Lex Burgun-
dionum zu stehen, qui multam per pagos exigunt 18, denselben, welche
auch als wittiscalci bezeichnet werden und gleichfalls durch dreifache
Buſse gegen Verletzungen geschützt sind 19. Wie die Wittiskalke
sind die Sacebarone regelmäſsig, ursprünglich wohl immer, pueri regis
gewesen 20.


tatem facere (quittieren). Die Emendata sagt: si causa aliqua ante illos secundum
legem fuerit definita, ante grafionem removere eam non licet.
16 Manche fassen sie als Rechtsprecher auf nach Art des friesischen Asega,
andere als Urteilfinder im gebotenen Gericht oder im Königsgericht, andere als
Richter, die den Grafen vertraten, oder als Appellationsrichter oder als Schieds-
richter nach Art der holländischen Segsmannen. Siehe die Litteratur bei Sohm,
S. 95 ff. Hermann, Schöffengericht, sieht in ihnen Viertelsrichter, H. O. Lehmann
Finanzbeamte, Pfennigmänner, Kern bei Hessels Mitglieder einer Jury nach Art
der Vehmschöffen. Sohm hält sie für Schultheiſse, d. h. königliche Hundert-
schaftsbeamte. Allein dann ist es kaum zu erklären, daſs an einem mallus nicht
mehr als drei sein sollen, während die Folgezeit mit einem Hundertschaftsbeamten
auskam. Auch müſste es befremden, daſs es von dem Hundertschaftsbeamten ab-
hing, was dem Grafen zu thun übrig bleiben sollte. W. Sickel erblickt in dem
Sacebaro den Vorläufer des Tribunus. Nach Schröder, RG S. 126, sind das
Amt des Thungins und das des Sacebaros in dem des Schultheiſs (Centenars) ver-
schmolzen.
17 Sace erklärt man als saca, Sache, causa, compositio oder als secchia,
Streit. Nach Kögel ist sagibaro die richtige Form und liegt *sagja, sequens, socius
zu Grunde, wie im westgotischen sagio. Baro, von anderen aus beran, ferre oder
aus *barian, offenbaren, abgeleitet, wird von Kögel mit J. Grimm als baro, vir er-
klärt. Ist saca, sacha damit verbunden (vgl. Kern zu Hessels § 244), so entspricht
sacebaro in der Wortbedeutung dem burgundischen wittiskalk. Zieht man den
sagio heran, so ist nicht ein sagio des Grafen, sondern der sajo regis das gotische
Analogon.
18 Lex Burg. 49, 4; 76, 1: ut pueros nostros, qui iudicia exsequuntur, qui-
busque multam iubemus exigere …
19 Lex Burg. 76, 1: .. ut quicumque posthaec pueros nostros ceciderit, et
insolenter abstulerit, quod ex ordinatione iudicis docebitur fuisse praesumptum,
tripla satisfactione teneatur obnoxius.
20 Denn es ist bezeichnend, daſs die Lex Salica den sacebaro, qui puer regis
est, dem sacebaro, qui ingenuus est, voranstellt und daſs verschiedene Texte den
Worten qui ingenuus est hinzufügen: et se sacebarone posuit. Offenbar verwendete
der König damals vorzugsweise seine pueri als Sacebarone und war es noch
auſsergewöhnlich, daſs ein Freier sich in ein solches Dienstverhältnis begab, ‘se
sacebarone posuit’.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0170" n="152"/>
            <fw place="top" type="header">§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica.</fw><lb/>
            <p>Die Versuche, den Sacebaro mit unserem sonstigen Wissen über<lb/>
die fränkische Gerichtsverfassung in Einklang zu bringen, sind bislang<lb/>
ohne festes Ergebnis geblieben <note place="foot" n="16">Manche fassen sie als Rechtsprecher auf nach Art des friesischen Asega,<lb/>
andere als Urteilfinder im gebotenen Gericht oder im Königsgericht, andere als<lb/>
Richter, die den Grafen vertraten, oder als Appellationsrichter oder als Schieds-<lb/>
richter nach Art der holländischen Segsmannen. Siehe die Litteratur bei <hi rendition="#g">Sohm</hi>,<lb/>
S. 95 ff. <hi rendition="#g">Hermann</hi>, Schöffengericht, sieht in ihnen Viertelsrichter, H. O. <hi rendition="#g">Lehmann</hi><lb/>
Finanzbeamte, Pfennigmänner, <hi rendition="#g">Kern</hi> bei Hessels Mitglieder einer Jury nach Art<lb/>
der Vehmschöffen. <hi rendition="#g">Sohm</hi> hält sie für Schulthei&#x017F;se, d. h. königliche Hundert-<lb/>
schaftsbeamte. Allein dann ist es kaum zu erklären, da&#x017F;s an einem mallus nicht<lb/>
mehr als drei sein sollen, während die Folgezeit mit einem Hundertschaftsbeamten<lb/>
auskam. Auch mü&#x017F;ste es befremden, da&#x017F;s es von dem Hundertschaftsbeamten ab-<lb/>
hing, was dem Grafen zu thun übrig bleiben sollte. W. <hi rendition="#g">Sickel</hi> erblickt in dem<lb/>
Sacebaro den Vorläufer des Tribunus. Nach <hi rendition="#g">Schröder</hi>, RG S. 126, sind das<lb/>
Amt des Thungins und das des Sacebaros in dem des Schulthei&#x017F;s (Centenars) ver-<lb/>
schmolzen.</note>, und nicht viel glücklicher waren<lb/>
die Bemühungen, das Wort etymologisch zu erklären <note place="foot" n="17">Sace erklärt man als saca, Sache, causa, compositio oder als secchia,<lb/>
Streit. Nach Kögel ist sagibaro die richtige Form und liegt *sagja, sequens, socius<lb/>
zu Grunde, wie im westgotischen sagio. Baro, von anderen aus beran, ferre oder<lb/>
aus *barian, offenbaren, abgeleitet, wird von Kögel mit J. Grimm als baro, vir er-<lb/>
klärt. Ist saca, sacha damit verbunden (vgl. Kern zu Hessels § 244), so entspricht<lb/>
sacebaro in der Wortbedeutung dem burgundischen wittiskalk. Zieht man den<lb/>
sagio heran, so ist nicht ein sagio des Grafen, sondern der sajo regis das gotische<lb/>
Analogon.</note>. Am nächsten<lb/>
scheinen die salischen Sacebarone den pueri regis der Lex Burgun-<lb/>
dionum zu stehen, qui multam per pagos exigunt <note place="foot" n="18">Lex Burg. 49, 4; 76, 1: ut pueros nostros, qui iudicia exsequuntur, qui-<lb/>
busque multam iubemus exigere &#x2026;</note>, denselben, welche<lb/>
auch als wittiscalci bezeichnet werden und gleichfalls durch dreifache<lb/>
Bu&#x017F;se gegen Verletzungen geschützt sind <note place="foot" n="19">Lex Burg. 76, 1: .. ut quicumque posthaec pueros nostros ceciderit, et<lb/>
insolenter abstulerit, quod ex ordinatione iudicis docebitur fuisse praesumptum,<lb/>
tripla satisfactione teneatur obnoxius.</note>. Wie die Wittiskalke<lb/>
sind die Sacebarone regelmä&#x017F;sig, ursprünglich wohl immer, pueri regis<lb/>
gewesen <note place="foot" n="20">Denn es ist bezeichnend, da&#x017F;s die Lex Salica den sacebaro, qui puer regis<lb/>
est, dem sacebaro, qui ingenuus est, voranstellt und da&#x017F;s verschiedene Texte den<lb/>
Worten qui ingenuus est hinzufügen: et se sacebarone posuit. Offenbar verwendete<lb/>
der König damals vorzugsweise seine pueri als Sacebarone und war es noch<lb/>
au&#x017F;sergewöhnlich, da&#x017F;s ein Freier sich in ein solches Dienstverhältnis begab, &#x2018;se<lb/>
sacebarone posuit&#x2019;.</note>.</p><lb/>
            <p>
              <note xml:id="seg2pn_36_2" prev="#seg2pn_36_1" place="foot" n="15">tatem facere (quittieren). Die Emendata sagt: si causa aliqua ante illos secundum<lb/>
legem fuerit definita, ante grafionem removere eam non licet.</note>
            </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0170] § 79. Das Ämterwesen der Lex Salica. Die Versuche, den Sacebaro mit unserem sonstigen Wissen über die fränkische Gerichtsverfassung in Einklang zu bringen, sind bislang ohne festes Ergebnis geblieben 16, und nicht viel glücklicher waren die Bemühungen, das Wort etymologisch zu erklären 17. Am nächsten scheinen die salischen Sacebarone den pueri regis der Lex Burgun- dionum zu stehen, qui multam per pagos exigunt 18, denselben, welche auch als wittiscalci bezeichnet werden und gleichfalls durch dreifache Buſse gegen Verletzungen geschützt sind 19. Wie die Wittiskalke sind die Sacebarone regelmäſsig, ursprünglich wohl immer, pueri regis gewesen 20. 15 16 Manche fassen sie als Rechtsprecher auf nach Art des friesischen Asega, andere als Urteilfinder im gebotenen Gericht oder im Königsgericht, andere als Richter, die den Grafen vertraten, oder als Appellationsrichter oder als Schieds- richter nach Art der holländischen Segsmannen. Siehe die Litteratur bei Sohm, S. 95 ff. Hermann, Schöffengericht, sieht in ihnen Viertelsrichter, H. O. Lehmann Finanzbeamte, Pfennigmänner, Kern bei Hessels Mitglieder einer Jury nach Art der Vehmschöffen. Sohm hält sie für Schultheiſse, d. h. königliche Hundert- schaftsbeamte. Allein dann ist es kaum zu erklären, daſs an einem mallus nicht mehr als drei sein sollen, während die Folgezeit mit einem Hundertschaftsbeamten auskam. Auch müſste es befremden, daſs es von dem Hundertschaftsbeamten ab- hing, was dem Grafen zu thun übrig bleiben sollte. W. Sickel erblickt in dem Sacebaro den Vorläufer des Tribunus. Nach Schröder, RG S. 126, sind das Amt des Thungins und das des Sacebaros in dem des Schultheiſs (Centenars) ver- schmolzen. 17 Sace erklärt man als saca, Sache, causa, compositio oder als secchia, Streit. Nach Kögel ist sagibaro die richtige Form und liegt *sagja, sequens, socius zu Grunde, wie im westgotischen sagio. Baro, von anderen aus beran, ferre oder aus *barian, offenbaren, abgeleitet, wird von Kögel mit J. Grimm als baro, vir er- klärt. Ist saca, sacha damit verbunden (vgl. Kern zu Hessels § 244), so entspricht sacebaro in der Wortbedeutung dem burgundischen wittiskalk. Zieht man den sagio heran, so ist nicht ein sagio des Grafen, sondern der sajo regis das gotische Analogon. 18 Lex Burg. 49, 4; 76, 1: ut pueros nostros, qui iudicia exsequuntur, qui- busque multam iubemus exigere … 19 Lex Burg. 76, 1: .. ut quicumque posthaec pueros nostros ceciderit, et insolenter abstulerit, quod ex ordinatione iudicis docebitur fuisse praesumptum, tripla satisfactione teneatur obnoxius. 20 Denn es ist bezeichnend, daſs die Lex Salica den sacebaro, qui puer regis est, dem sacebaro, qui ingenuus est, voranstellt und daſs verschiedene Texte den Worten qui ingenuus est hinzufügen: et se sacebarone posuit. Offenbar verwendete der König damals vorzugsweise seine pueri als Sacebarone und war es noch auſsergewöhnlich, daſs ein Freier sich in ein solches Dienstverhältnis begab, ‘se sacebarone posuit’. 15 tatem facere (quittieren). Die Emendata sagt: si causa aliqua ante illos secundum legem fuerit definita, ante grafionem removere eam non licet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/170
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/170>, abgerufen am 15.05.2024.