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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 83. Tribunus und Schultheiss.
deshalb auch tribunus militum7. Gregor von Tours erwähnt einen
tribunus, welcher Abgaben an die Königin abliefert8. Für wahrschein-
lich darf es gelten, dass der König die Würde des Tribunats verlieh9.
Gelegentlich werden Tribunen bei Aufzählung verschiedener Amts-
kategorieen genannt10. Nähere Nachrichten fehlen. Vollständige Klar-
heit über die Bedeutung des westfränkischen Tribuns ist bei der
Dürftigkeit der Quellen kaum zu erwarten11.

In Alamannien, im Elsass und in Rhätien erscheint seit dem
achten Jahrhundert ein örtlicher Beamter, welcher den Namen tribu-
nus12 oder Schultheiss13 führt. Beide Ausdrücke bezeichnen dasselbe
Amt14. Sicherlich war bei den Alamannen Schultheiss die technische
Bezeichnung des Beamten, der von der römischen Bevölkerung des
oberen Rheinthales und am Bodensee tribunus genannt wurde. Vom
Centenar wird der Tribun oder Schultheiss ursprünglich unterschieden15.

credita fuerant (die Hinrichtung eines Verbrechers) ... Die centenarii sind die
Unterführer der Truppe, die auf königlichen Befehl ausgeschickt worden war.
7 Vita Columbani c. 34.
8 Greg. Tur. Gloria confess. c. 40: Nunnius quidam tribunus ex Averno de
Francia post reddita reginae tributa revertens. Daraus folgt nicht, dass er Fiskal-
beamter gewesen sei. Vermutlich wurden die erhobenen Abgaben unter bewaff-
netem Geleite an den Königshof abgeführt und hatte der Tribun als Führer des
Geleites die Funktion etwa eines preussischen Feldjägers. Der tribunus fisci in der
Vita S. Radegundis I, c. 38 ist wohl ein Polizeioffizier, der seinen Amtssitz in
einem königlichen Fiskus hat.
9 Vgl. Fortunat VII 16, S. 171: Theudericus ovans ornavit honore tribunum.
10 Epist. Desid. Cadurc. Nr. 16: comitibus, tribunis, defensoribus, centen(ari)is.
Tribuni und centenarii stehen hier wohl in derselben Bedeutung wie in der Vita
Corbiniani. Der Tribun ist, weil im Range höher stehend, vor dem Defensor
genannt.
11 Ohne nähere Anhaltspunkte zu liefern, erwähnen einen tribunus Greg. Tur.
Hist. Franc. VII 23, X 21; Mir. S. Martini II 11; Pardessus, Dipl. I 82, 208 (ein
tribunus Bessorum), 214.
12 Pardessus, Dipl. II 355 v. J. 728 (Strassburg); Wartmann I, Nr. 42
v. J. 764, Nr. 85 v. J. 779, Nr. 120 v. J. 789; II, Nr. 494 v. J. 863, Nr. 578
v. J. 874; III, Nr. 806 v. J. 957. Über Vita S. Galli c. 21 siehe unten Anm. 34.
13 Wartmann I, Nr. 62 v. J. 771, Nr. 121 v. J. 789. In Nr. 224 v. J. 817
erscheint zu Rankweil ein Folcuinus escultaizo, eine im oberen Rheinthale reich-
begüterte Persönlichkeit.
14 In ahd. Glossen wird tribunus durch Schultheiss wiedergegeben. Graff,
Sprachschatz IV 1090. -- Steinmeyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 88, 16: tribunus, qui
mille viros habet: cotinc dero tusunt comanno habet. Vgl. oben I 125, Anm. 35.
15 Eine nach Graff, Sprachschatz I p. LXV, dem siebenten Jahrhundert an-
gehörige Glosse (Sg. 913) erklärt praeses als grave, tribunus als sculthaizeo, cen-
turius als scario, villicus als ampaht. Eine Bibelglosse des achten oder neunten

§ 83. Tribunus und Schultheiſs.
deshalb auch tribunus militum7. Gregor von Tours erwähnt einen
tribunus, welcher Abgaben an die Königin abliefert8. Für wahrschein-
lich darf es gelten, daſs der König die Würde des Tribunats verlieh9.
Gelegentlich werden Tribunen bei Aufzählung verschiedener Amts-
kategorieen genannt10. Nähere Nachrichten fehlen. Vollständige Klar-
heit über die Bedeutung des westfränkischen Tribuns ist bei der
Dürftigkeit der Quellen kaum zu erwarten11.

In Alamannien, im Elsaſs und in Rhätien erscheint seit dem
achten Jahrhundert ein örtlicher Beamter, welcher den Namen tribu-
nus12 oder Schultheiſs13 führt. Beide Ausdrücke bezeichnen dasselbe
Amt14. Sicherlich war bei den Alamannen Schultheiſs die technische
Bezeichnung des Beamten, der von der römischen Bevölkerung des
oberen Rheinthales und am Bodensee tribunus genannt wurde. Vom
Centenar wird der Tribun oder Schultheiſs ursprünglich unterschieden15.

credita fuerant (die Hinrichtung eines Verbrechers) … Die centenarii sind die
Unterführer der Truppe, die auf königlichen Befehl ausgeschickt worden war.
7 Vita Columbani c. 34.
8 Greg. Tur. Gloria confess. c. 40: Nunnius quidam tribunus ex Averno de
Francia post reddita reginae tributa revertens. Daraus folgt nicht, daſs er Fiskal-
beamter gewesen sei. Vermutlich wurden die erhobenen Abgaben unter bewaff-
netem Geleite an den Königshof abgeführt und hatte der Tribun als Führer des
Geleites die Funktion etwa eines preuſsischen Feldjägers. Der tribunus fisci in der
Vita S. Radegundis I, c. 38 ist wohl ein Polizeioffizier, der seinen Amtssitz in
einem königlichen Fiskus hat.
9 Vgl. Fortunat VII 16, S. 171: Theudericus ovans ornavit honore tribunum.
10 Epist. Desid. Cadurc. Nr. 16: comitibus, tribunis, defensoribus, centen(ari)is.
Tribuni und centenarii stehen hier wohl in derselben Bedeutung wie in der Vita
Corbiniani. Der Tribun ist, weil im Range höher stehend, vor dem Defensor
genannt.
11 Ohne nähere Anhaltspunkte zu liefern, erwähnen einen tribunus Greg. Tur.
Hist. Franc. VII 23, X 21; Mir. S. Martini II 11; Pardessus, Dipl. I 82, 208 (ein
tribunus Bessorum), 214.
12 Pardessus, Dipl. II 355 v. J. 728 (Straſsburg); Wartmann I, Nr. 42
v. J. 764, Nr. 85 v. J. 779, Nr. 120 v. J. 789; II, Nr. 494 v. J. 863, Nr. 578
v. J. 874; III, Nr. 806 v. J. 957. Über Vita S. Galli c. 21 siehe unten Anm. 34.
13 Wartmann I, Nr. 62 v. J. 771, Nr. 121 v. J. 789. In Nr. 224 v. J. 817
erscheint zu Rankweil ein Folcuinus escultaizo, eine im oberen Rheinthale reich-
begüterte Persönlichkeit.
14 In ahd. Glossen wird tribunus durch Schultheiſs wiedergegeben. Graff,
Sprachschatz IV 1090. — Steinmeyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 88, 16: tribunus, qui
mille viros habet: cotinc dero tusunt comanno habet. Vgl. oben I 125, Anm. 35.
15 Eine nach Graff, Sprachschatz I p. LXV, dem siebenten Jahrhundert an-
gehörige Glosse (Sg. 913) erklärt praeses als grave, tribunus als sculthaizeo, cen-
turius als scario, villicus als ampaht. Eine Bibelglosse des achten oder neunten
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[181/0199] § 83. Tribunus und Schultheiſs. deshalb auch tribunus militum 7. Gregor von Tours erwähnt einen tribunus, welcher Abgaben an die Königin abliefert 8. Für wahrschein- lich darf es gelten, daſs der König die Würde des Tribunats verlieh 9. Gelegentlich werden Tribunen bei Aufzählung verschiedener Amts- kategorieen genannt 10. Nähere Nachrichten fehlen. Vollständige Klar- heit über die Bedeutung des westfränkischen Tribuns ist bei der Dürftigkeit der Quellen kaum zu erwarten 11. In Alamannien, im Elsaſs und in Rhätien erscheint seit dem achten Jahrhundert ein örtlicher Beamter, welcher den Namen tribu- nus 12 oder Schultheiſs 13 führt. Beide Ausdrücke bezeichnen dasselbe Amt 14. Sicherlich war bei den Alamannen Schultheiſs die technische Bezeichnung des Beamten, der von der römischen Bevölkerung des oberen Rheinthales und am Bodensee tribunus genannt wurde. Vom Centenar wird der Tribun oder Schultheiſs ursprünglich unterschieden 15. 6 7 Vita Columbani c. 34. 8 Greg. Tur. Gloria confess. c. 40: Nunnius quidam tribunus ex Averno de Francia post reddita reginae tributa revertens. Daraus folgt nicht, daſs er Fiskal- beamter gewesen sei. Vermutlich wurden die erhobenen Abgaben unter bewaff- netem Geleite an den Königshof abgeführt und hatte der Tribun als Führer des Geleites die Funktion etwa eines preuſsischen Feldjägers. Der tribunus fisci in der Vita S. Radegundis I, c. 38 ist wohl ein Polizeioffizier, der seinen Amtssitz in einem königlichen Fiskus hat. 9 Vgl. Fortunat VII 16, S. 171: Theudericus ovans ornavit honore tribunum. 10 Epist. Desid. Cadurc. Nr. 16: comitibus, tribunis, defensoribus, centen(ari)is. Tribuni und centenarii stehen hier wohl in derselben Bedeutung wie in der Vita Corbiniani. Der Tribun ist, weil im Range höher stehend, vor dem Defensor genannt. 11 Ohne nähere Anhaltspunkte zu liefern, erwähnen einen tribunus Greg. Tur. Hist. Franc. VII 23, X 21; Mir. S. Martini II 11; Pardessus, Dipl. I 82, 208 (ein tribunus Bessorum), 214. 12 Pardessus, Dipl. II 355 v. J. 728 (Straſsburg); Wartmann I, Nr. 42 v. J. 764, Nr. 85 v. J. 779, Nr. 120 v. J. 789; II, Nr. 494 v. J. 863, Nr. 578 v. J. 874; III, Nr. 806 v. J. 957. Über Vita S. Galli c. 21 siehe unten Anm. 34. 13 Wartmann I, Nr. 62 v. J. 771, Nr. 121 v. J. 789. In Nr. 224 v. J. 817 erscheint zu Rankweil ein Folcuinus escultaizo, eine im oberen Rheinthale reich- begüterte Persönlichkeit. 14 In ahd. Glossen wird tribunus durch Schultheiſs wiedergegeben. Graff, Sprachschatz IV 1090. — Steinmeyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 88, 16: tribunus, qui mille viros habet: cotinc dero tusunt comanno habet. Vgl. oben I 125, Anm. 35. 15 Eine nach Graff, Sprachschatz I p. LXV, dem siebenten Jahrhundert an- gehörige Glosse (Sg. 913) erklärt praeses als grave, tribunus als sculthaizeo, cen- turius als scario, villicus als ampaht. Eine Bibelglosse des achten oder neunten 6 credita fuerant (die Hinrichtung eines Verbrechers) … Die centenarii sind die Unterführer der Truppe, die auf königlichen Befehl ausgeschickt worden war.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/199>, abgerufen am 03.05.2024.