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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 83. Tribunus und Schultheiss.
einen grösseren Untergau derselben, diese über die einzelnen Hundert-
schaften gesetzt22. Wie nicht alle Bischöfe Chorbischöfe haben, so
hätten auch nicht alle Grafen missi der gedachten Art.

Einen solchen missus comitis werden wir in Austrasien fast
allenthalben vermuten dürfen, wo sich der Centenar als ein ordent-
licher Distriktsbeamter nicht vorfand und wo er dem Grafen gegen-
über die Stellung des Volksbeamten ungeschmälert behauptete. In
Baiern findet sich in diesem Sinne der Schultheiss23. Als Vertreter
des Grafen kann der Schultheiss oder Tribun auch Vikar genannt
werden24. Als der Centenar Unterbeamter des Grafen wurde, ging
mindestens ein Teil der Amtsgeschäfte, für welche dem Grafen ur-
sprünglich nur seine Missi zu Gebote standen, auf den Centenar über.
Seitdem vermag sich ein Sprachgebrauch zu bilden, der die Aus-
drücke Centenar oder Vikar einerseits, Schultheiss oder Tribun anderer-
seits als gleichwertig behandelt25.

Das Wort Schultheiss, sculdasius, sculthaisus, wie die spätere
Entwicklung darthut, unter den deutschen Beamtennamen der-
jenige, welcher im Volke die weiteste Verbreitung genoss, kommt

findet eine Verhandlung statt: coram missis Geroldi comitis, videlicet Ruadberto
et Aschario vicariis. Ascharius ist derselbe, der in Wartmann II, Nr. 578 v. J.
868 (oder 874) als tribunus genannt wird.
22 Das ergiebt sich aus dem Gegensatz zu den centenarii, qui per pagos con-
stituti sunt, und aus dem Vergleich mit den Chorbischöfen. Über diese siehe
Hinschius, Kirchenrecht II 164 f.
23 Meichelbeck Nr. 130. 189 (v. J. 798--800). Engilp. sculthaisus in Nr. 189
ist wohl identisch mit dem vicarius in Nr. 250. A. O. Nr. 654 v. J. 848. Graf
Hundt in den Abhandl. der bair. Akademie XIII 1, S. 14, Nr. 24 v. J. 846; S. 20,
Nr. 5 v. J. 875. Nebenbei sei bemerkt, dass die arramiatores in Meichelbeck
Nr. 388. 468, welche Waitz, VG III 405, Anm. 1, zur Frage stellt, nicht Beamte
sind, sondern adramitores von adramire, adramiare, in den gedachten Fällen
Bürgen. Vgl. unten § 102.
24 In Conc. Mog. v. J. 813 c. 50, Mansi XIV 74 (Liber Papiensis Lud. 56):
de iudicibus autem vel centenariis atque tribunis seu vicariis, scheinen vicarius und
tribunus denselben Beamten zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Schultheiss als
vicarius ergiebt die Vergleichung von Meichelbeck Nr. 189 und 250; siehe oben
Anm. 23.
25 Sohm a. O. S. 237 ff. Waitz, VG III 396 f. In Alamannien ist ein
solcher Sprachgebrauch jedenfalls nicht vor der zweiten Hälfte des neunten
Jahrhunderts nachzuweisen. Eine Überprüfung der bei Sohm angeführten Belege
käme bei strenger Scheidung der massgebenden Örtlichkeiten wohl zu dem Ergeb-
nis, dass der Sprachgebrauch örtlich ein verschiedener war. In Mühlbacher Nr. 241
für S. Martin de Tours v. J. 782 entsprechen sich vicarii, centenarii und vicarius
vel tribunus. Im Sendrecht der Mainwenden erscheint der centurio als der exactor
publicus, als Schultheiss. Beseler, Z. f. RG IX 250.

§ 83. Tribunus und Schultheiſs.
einen gröſseren Untergau derselben, diese über die einzelnen Hundert-
schaften gesetzt22. Wie nicht alle Bischöfe Chorbischöfe haben, so
hätten auch nicht alle Grafen missi der gedachten Art.

Einen solchen missus comitis werden wir in Austrasien fast
allenthalben vermuten dürfen, wo sich der Centenar als ein ordent-
licher Distriktsbeamter nicht vorfand und wo er dem Grafen gegen-
über die Stellung des Volksbeamten ungeschmälert behauptete. In
Baiern findet sich in diesem Sinne der Schultheiſs23. Als Vertreter
des Grafen kann der Schultheiſs oder Tribun auch Vikar genannt
werden24. Als der Centenar Unterbeamter des Grafen wurde, ging
mindestens ein Teil der Amtsgeschäfte, für welche dem Grafen ur-
sprünglich nur seine Missi zu Gebote standen, auf den Centenar über.
Seitdem vermag sich ein Sprachgebrauch zu bilden, der die Aus-
drücke Centenar oder Vikar einerseits, Schultheiſs oder Tribun anderer-
seits als gleichwertig behandelt25.

Das Wort Schultheiſs, sculdasius, sculthaisus, wie die spätere
Entwicklung darthut, unter den deutschen Beamtennamen der-
jenige, welcher im Volke die weiteste Verbreitung genoſs, kommt

findet eine Verhandlung statt: coram missis Geroldi comitis, videlicet Ruadberto
et Aschario vicariis. Ascharius ist derselbe, der in Wartmann II, Nr. 578 v. J.
868 (oder 874) als tribunus genannt wird.
22 Das ergiebt sich aus dem Gegensatz zu den centenarii, qui per pagos con-
stituti sunt, und aus dem Vergleich mit den Chorbischöfen. Über diese siehe
Hinschius, Kirchenrecht II 164 f.
23 Meichelbeck Nr. 130. 189 (v. J. 798—800). Engilp. sculthaisus in Nr. 189
ist wohl identisch mit dem vicarius in Nr. 250. A. O. Nr. 654 v. J. 848. Graf
Hundt in den Abhandl. der bair. Akademie XIII 1, S. 14, Nr. 24 v. J. 846; S. 20,
Nr. 5 v. J. 875. Nebenbei sei bemerkt, daſs die arramiatores in Meichelbeck
Nr. 388. 468, welche Waitz, VG III 405, Anm. 1, zur Frage stellt, nicht Beamte
sind, sondern adramitores von adramire, adramiare, in den gedachten Fällen
Bürgen. Vgl. unten § 102.
24 In Conc. Mog. v. J. 813 c. 50, Mansi XIV 74 (Liber Papiensis Lud. 56):
de iudicibus autem vel centenariis atque tribunis seu vicariis, scheinen vicarius und
tribunus denselben Beamten zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Schultheiſs als
vicarius ergiebt die Vergleichung von Meichelbeck Nr. 189 und 250; siehe oben
Anm. 23.
25 Sohm a. O. S. 237 ff. Waitz, VG III 396 f. In Alamannien ist ein
solcher Sprachgebrauch jedenfalls nicht vor der zweiten Hälfte des neunten
Jahrhunderts nachzuweisen. Eine Überprüfung der bei Sohm angeführten Belege
käme bei strenger Scheidung der maſsgebenden Örtlichkeiten wohl zu dem Ergeb-
nis, daſs der Sprachgebrauch örtlich ein verschiedener war. In Mühlbacher Nr. 241
für S. Martin de Tours v. J. 782 entsprechen sich vicarii, centenarii und vicarius
vel tribunus. Im Sendrecht der Mainwenden erscheint der centurio als der exactor
publicus, als Schultheiſs. Beseler, Z. f. RG IX 250.
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[183/0201] § 83. Tribunus und Schultheiſs. einen gröſseren Untergau derselben, diese über die einzelnen Hundert- schaften gesetzt 22. Wie nicht alle Bischöfe Chorbischöfe haben, so hätten auch nicht alle Grafen missi der gedachten Art. Einen solchen missus comitis werden wir in Austrasien fast allenthalben vermuten dürfen, wo sich der Centenar als ein ordent- licher Distriktsbeamter nicht vorfand und wo er dem Grafen gegen- über die Stellung des Volksbeamten ungeschmälert behauptete. In Baiern findet sich in diesem Sinne der Schultheiſs 23. Als Vertreter des Grafen kann der Schultheiſs oder Tribun auch Vikar genannt werden 24. Als der Centenar Unterbeamter des Grafen wurde, ging mindestens ein Teil der Amtsgeschäfte, für welche dem Grafen ur- sprünglich nur seine Missi zu Gebote standen, auf den Centenar über. Seitdem vermag sich ein Sprachgebrauch zu bilden, der die Aus- drücke Centenar oder Vikar einerseits, Schultheiſs oder Tribun anderer- seits als gleichwertig behandelt 25. Das Wort Schultheiſs, sculdasius, sculthaisus, wie die spätere Entwicklung darthut, unter den deutschen Beamtennamen der- jenige, welcher im Volke die weiteste Verbreitung genoſs, kommt 21 22 Das ergiebt sich aus dem Gegensatz zu den centenarii, qui per pagos con- stituti sunt, und aus dem Vergleich mit den Chorbischöfen. Über diese siehe Hinschius, Kirchenrecht II 164 f. 23 Meichelbeck Nr. 130. 189 (v. J. 798—800). Engilp. sculthaisus in Nr. 189 ist wohl identisch mit dem vicarius in Nr. 250. A. O. Nr. 654 v. J. 848. Graf Hundt in den Abhandl. der bair. Akademie XIII 1, S. 14, Nr. 24 v. J. 846; S. 20, Nr. 5 v. J. 875. Nebenbei sei bemerkt, daſs die arramiatores in Meichelbeck Nr. 388. 468, welche Waitz, VG III 405, Anm. 1, zur Frage stellt, nicht Beamte sind, sondern adramitores von adramire, adramiare, in den gedachten Fällen Bürgen. Vgl. unten § 102. 24 In Conc. Mog. v. J. 813 c. 50, Mansi XIV 74 (Liber Papiensis Lud. 56): de iudicibus autem vel centenariis atque tribunis seu vicariis, scheinen vicarius und tribunus denselben Beamten zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Schultheiſs als vicarius ergiebt die Vergleichung von Meichelbeck Nr. 189 und 250; siehe oben Anm. 23. 25 Sohm a. O. S. 237 ff. Waitz, VG III 396 f. In Alamannien ist ein solcher Sprachgebrauch jedenfalls nicht vor der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts nachzuweisen. Eine Überprüfung der bei Sohm angeführten Belege käme bei strenger Scheidung der maſsgebenden Örtlichkeiten wohl zu dem Ergeb- nis, daſs der Sprachgebrauch örtlich ein verschiedener war. In Mühlbacher Nr. 241 für S. Martin de Tours v. J. 782 entsprechen sich vicarii, centenarii und vicarius vel tribunus. Im Sendrecht der Mainwenden erscheint der centurio als der exactor publicus, als Schultheiſs. Beseler, Z. f. RG IX 250. 21 findet eine Verhandlung statt: coram missis Geroldi comitis, videlicet Ruadberto et Aschario vicariis. Ascharius ist derselbe, der in Wartmann II, Nr. 578 v. J. 868 (oder 874) als tribunus genannt wird.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/201>, abgerufen am 30.04.2024.