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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§. 130. Die Sonderfrieden.
schutz gewährte27. Der Friede des Heerweges, des Ding- und Königs-
weges erlangte im fränkischen Reiche allmählich zweischneidigen
Charakter. Wer auf der Heerfahrt ist, soll nicht nur seinerseits
höheren Frieden haben, sondern muss auch jeden Friedensbruch, den
er, sei es an Heergenossen, sei es an anderen, begeht, schwerer büssen.
Schon ein Kapitular Karls des Grossen setzt auf widerrechtliches
Fouragieren der Kriegsleute die dem Heerfrieden eigentümliche triplex
compositio und den Königsbann28. Kapitularien aus der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts betonen den Frieden des Heerweges
gleichfalls zum Schutze der an der Heerfahrt nicht beteiligten Unter-
thanen29, eine Erscheinung, die mit der zunehmenden Feudalisierung
des Heerwesens zusammenhängt, weil die Heerfahrten des berufs-
mässigen Reitertums gesteigerte Bedrückungen der friedlichen Unter-
thanen zur Folge hatten. Dreifache Busse soll die Unterthanen auch
gegen Plünderungen schützen, zu welchen Ding- und Hoffahrt An-
lass geben können30. Der zweischneidigen Anwendung der genannten
Wegfrieden liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Befriedete den
Frieden, den er geniesst, seinerseits gewähren und daher den Friedens-
bruch, den er begeht, ebenso büssen soll, als wäre er an ihm be-
gangen worden. An die Heimkehr von der Heerfahrt scheint sich
schon nach fränkischem Rechte ein Nachfriede angeschlossen zu haben,
der die Demobilisierung des Truppenteils vierzig Nächte überdauerte31.

Nachmals begegnet uns in den aus dem fränkischen Reiche er-
wachsenen Staaten und anderwärts auf germanischer Erde ein Markt-
friede, der während der Marktzeit am Marktorte herrschte. Er wurde
bei Beginn des Marktes öffentlich verkündet32 und durch besondere
Wahrzeichen, z. B. durch Aufstecken eines Strohwisches oder durch
Errichtung eines Kreuzes, kenntlich gemacht33. So dürftig die Quellen
sind, fehlt es doch nicht an Spuren34, dass der Marktfriede (anfänglich

27 Lex Sal. 13, 14, Cod. 5 ff.
28 Ansegisus III 66 und Cap I 161, c. 4.
29 Conventus apud Confluentes v. J. 860, Adnuntiatio Hlud. c. 6, Cap. II 158.
Constit. de exped. Benev. v. J. 866, c. 9, II 96. Benedictus VI 382. 383.
30 Cap. singill. tradita II 97, c. 4. Cap. Hlud. Pap. v. J. 850, c. 4, II 87.
Conv. apud Confluentes v. J. 860, c. 6, II 158.
31 Siehe oben S. 216.
32 Leges Henrici primi 81, 1.
33 Schröder, Die Rolande Deutschlands 1890, S. 10. v. Amira, Recht
S. 108.
34 Schröder RG S. 110, Anm. 28. Auf der Synode von Meaux klagen im
Jahre 845 (Synodus Meldensis c. 27) die Bischöfe über die Bedrückungen, welche

§. 130. Die Sonderfrieden.
schutz gewährte27. Der Friede des Heerweges, des Ding- und Königs-
weges erlangte im fränkischen Reiche allmählich zweischneidigen
Charakter. Wer auf der Heerfahrt ist, soll nicht nur seinerseits
höheren Frieden haben, sondern muſs auch jeden Friedensbruch, den
er, sei es an Heergenossen, sei es an anderen, begeht, schwerer büſsen.
Schon ein Kapitular Karls des Groſsen setzt auf widerrechtliches
Fouragieren der Kriegsleute die dem Heerfrieden eigentümliche triplex
compositio und den Königsbann28. Kapitularien aus der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts betonen den Frieden des Heerweges
gleichfalls zum Schutze der an der Heerfahrt nicht beteiligten Unter-
thanen29, eine Erscheinung, die mit der zunehmenden Feudalisierung
des Heerwesens zusammenhängt, weil die Heerfahrten des berufs-
mäſsigen Reitertums gesteigerte Bedrückungen der friedlichen Unter-
thanen zur Folge hatten. Dreifache Buſse soll die Unterthanen auch
gegen Plünderungen schützen, zu welchen Ding- und Hoffahrt An-
laſs geben können30. Der zweischneidigen Anwendung der genannten
Wegfrieden liegt der Gedanke zu Grunde, daſs der Befriedete den
Frieden, den er genieſst, seinerseits gewähren und daher den Friedens-
bruch, den er begeht, ebenso büſsen soll, als wäre er an ihm be-
gangen worden. An die Heimkehr von der Heerfahrt scheint sich
schon nach fränkischem Rechte ein Nachfriede angeschlossen zu haben,
der die Demobilisierung des Truppenteils vierzig Nächte überdauerte31.

Nachmals begegnet uns in den aus dem fränkischen Reiche er-
wachsenen Staaten und anderwärts auf germanischer Erde ein Markt-
friede, der während der Marktzeit am Marktorte herrschte. Er wurde
bei Beginn des Marktes öffentlich verkündet32 und durch besondere
Wahrzeichen, z. B. durch Aufstecken eines Strohwisches oder durch
Errichtung eines Kreuzes, kenntlich gemacht33. So dürftig die Quellen
sind, fehlt es doch nicht an Spuren34, daſs der Marktfriede (anfänglich

27 Lex Sal. 13, 14, Cod. 5 ff.
28 Ansegisus III 66 und Cap I 161, c. 4.
29 Conventus apud Confluentes v. J. 860, Adnuntiatio Hlud. c. 6, Cap. II 158.
Constit. de exped. Benev. v. J. 866, c. 9, II 96. Benedictus VI 382. 383.
30 Cap. singill. tradita II 97, c. 4. Cap. Hlud. Pap. v. J. 850, c. 4, II 87.
Conv. apud Confluentes v. J. 860, c. 6, II 158.
31 Siehe oben S. 216.
32 Leges Henrici primi 81, 1.
33 Schröder, Die Rolande Deutschlands 1890, S. 10. v. Amira, Recht
S. 108.
34 Schröder RG S. 110, Anm. 28. Auf der Synode von Meaux klagen im
Jahre 845 (Synodus Meldensis c. 27) die Bischöfe über die Bedrückungen, welche
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[584/0602] §. 130. Die Sonderfrieden. schutz gewährte 27. Der Friede des Heerweges, des Ding- und Königs- weges erlangte im fränkischen Reiche allmählich zweischneidigen Charakter. Wer auf der Heerfahrt ist, soll nicht nur seinerseits höheren Frieden haben, sondern muſs auch jeden Friedensbruch, den er, sei es an Heergenossen, sei es an anderen, begeht, schwerer büſsen. Schon ein Kapitular Karls des Groſsen setzt auf widerrechtliches Fouragieren der Kriegsleute die dem Heerfrieden eigentümliche triplex compositio und den Königsbann 28. Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts betonen den Frieden des Heerweges gleichfalls zum Schutze der an der Heerfahrt nicht beteiligten Unter- thanen 29, eine Erscheinung, die mit der zunehmenden Feudalisierung des Heerwesens zusammenhängt, weil die Heerfahrten des berufs- mäſsigen Reitertums gesteigerte Bedrückungen der friedlichen Unter- thanen zur Folge hatten. Dreifache Buſse soll die Unterthanen auch gegen Plünderungen schützen, zu welchen Ding- und Hoffahrt An- laſs geben können 30. Der zweischneidigen Anwendung der genannten Wegfrieden liegt der Gedanke zu Grunde, daſs der Befriedete den Frieden, den er genieſst, seinerseits gewähren und daher den Friedens- bruch, den er begeht, ebenso büſsen soll, als wäre er an ihm be- gangen worden. An die Heimkehr von der Heerfahrt scheint sich schon nach fränkischem Rechte ein Nachfriede angeschlossen zu haben, der die Demobilisierung des Truppenteils vierzig Nächte überdauerte 31. Nachmals begegnet uns in den aus dem fränkischen Reiche er- wachsenen Staaten und anderwärts auf germanischer Erde ein Markt- friede, der während der Marktzeit am Marktorte herrschte. Er wurde bei Beginn des Marktes öffentlich verkündet 32 und durch besondere Wahrzeichen, z. B. durch Aufstecken eines Strohwisches oder durch Errichtung eines Kreuzes, kenntlich gemacht 33. So dürftig die Quellen sind, fehlt es doch nicht an Spuren 34, daſs der Marktfriede (anfänglich 27 Lex Sal. 13, 14, Cod. 5 ff. 28 Ansegisus III 66 und Cap I 161, c. 4. 29 Conventus apud Confluentes v. J. 860, Adnuntiatio Hlud. c. 6, Cap. II 158. Constit. de exped. Benev. v. J. 866, c. 9, II 96. Benedictus VI 382. 383. 30 Cap. singill. tradita II 97, c. 4. Cap. Hlud. Pap. v. J. 850, c. 4, II 87. Conv. apud Confluentes v. J. 860, c. 6, II 158. 31 Siehe oben S. 216. 32 Leges Henrici primi 81, 1. 33 Schröder, Die Rolande Deutschlands 1890, S. 10. v. Amira, Recht S. 108. 34 Schröder RG S. 110, Anm. 28. Auf der Synode von Meaux klagen im Jahre 845 (Synodus Meldensis c. 27) die Bischöfe über die Bedrückungen, welche

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/602>, abgerufen am 27.04.2024.