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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
strafung gewisser Verbrechen und gewisser Personenklassen vor, nicht
ohne dabei über den Kreis der grundsätzlichen Achtsachen hinaus-
zugehen und in den der Bannfälle hinüberzugreifen38. Wie ins-
besondere die Ausdehnung der Treupflicht und die Ablösung der
königlichen Unhuld zu einem System arbiträrer Strafen führte, ist
oben S. 64 ff. dargelegt worden. Einer näheren Erörterung bedarf
hier nur noch der Ausdruck harmscara, unter welchem seit dem neunten
Jahrhundert arbiträre Strafen gelegentlich angedroht werden39.

Harmschar bedeutet, was zur Qual auferlegt wird, die Strafe
überhaupt40; dass diese arbiträr sei, liegt nicht im Begriffe des Wortes41.
Ludwig I. und seine Nachfolger drohen nicht selten eine Harmschar
an, deren nähere Bestimmung sie sich vorbehalten. Weil im Ermessen
des Königs stehend, erscheint sie als Gegensatz der Strafe, die durch
königsgerichtliches Urteil auferlegt wird42. Obwohl sie an sich auch
Vermögensstrafe sein kann43, wird sie doch regelmässig neben der
compositio44 oder neben der Bannbusse45 verhängt. Seit der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts scheint man nur noch eine Leibes-
oder Ehrenstrafe so genannt zu haben. Als Ehrenstrafe begegnet in
einem italienischen Kapitular v. J. 866 neben der compositio das
später als Reiterstrafe allgemein übliche Satteltragen46. In der spät-

38 Siehe oben S. 43 f.
39 Die Stellen verzeichnet Waitz IV 523, Anm. 2.
40 Ahd. haramscara, ags. hearmscearu, altfranz, haschiere, eigentlich Schmerz-
teil. Grimm, RA S. 681. Haltaus, Gloss. Sp. 825 f. Diez, WB II c s. v.
haschiere. v. Amira, Recht S. 177.
41 Die harmscara wird angedroht, sicut nobis visum fuerit, oder, ut nobis
placuerit, ein Zusatz, der überflüssig wäre, wenn sie ihrer Natur nach eine arbiträre
Strafe wäre, wie Waitz a. O. annimmt.
42 Cap. Carisiac. v. J. 857, c. 9, Pertz, LL I 452: talem harmiscaram, sicut
nobis visum fuerit, aut iudicium, sicut cum fidelibus nostris consideraverimus.
43 Cap. Worm. v. J. 829, c. 1, II 12: et tunc nos decernamus, utrum nobis
placeat, ut aut illum bannum persolvant aut aliam harmiscaram sustineant.
44 Cap. Confluent. v. J. 860, c. 4, Pertz, LL I 475: qui deinceps talia prae-
sumpserit, ... hoc emendare cogetur et in compositione et in harmiscara et in poeni-
tentia ab episcopo parochiae eius suscipienda. Cap. Pist. v. J. 869, c. 9, Pertz,
LL I 510: post debitam emendationem dignam harmiscaram a nobis dispositam sus-
tineant. Cap. Carisiac. v. J. 877. c. 9, Pertz, LL I 539: secundum leges ... hoc
componat ... et nostram harmiscaram secundum modum culpae et ut nobis
placuerit, sustineat. Cap. Comp. v. J. 883, c. 2, Pertz, LL I 550: rapina ...
emendetur et condignam pro hoc harmiscaram ... sustineat.
45 Cap. miss. Suess. v. J. 853, c. 9, Pertz, LL 1 419: sciant, quia et bannum
nostrum component et simul cum excommunicatione ecclesiastica nostram harmiscaram
durissimam sustinebunt.
46 Const. de exped. Benevent. c. 9, II 96: triplici lege componat et liber cum

§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
strafung gewisser Verbrechen und gewisser Personenklassen vor, nicht
ohne dabei über den Kreis der grundsätzlichen Achtsachen hinaus-
zugehen und in den der Bannfälle hinüberzugreifen38. Wie ins-
besondere die Ausdehnung der Treupflicht und die Ablösung der
königlichen Unhuld zu einem System arbiträrer Strafen führte, ist
oben S. 64 ff. dargelegt worden. Einer näheren Erörterung bedarf
hier nur noch der Ausdruck harmscara, unter welchem seit dem neunten
Jahrhundert arbiträre Strafen gelegentlich angedroht werden39.

Harmschar bedeutet, was zur Qual auferlegt wird, die Strafe
überhaupt40; daſs diese arbiträr sei, liegt nicht im Begriffe des Wortes41.
Ludwig I. und seine Nachfolger drohen nicht selten eine Harmschar
an, deren nähere Bestimmung sie sich vorbehalten. Weil im Ermessen
des Königs stehend, erscheint sie als Gegensatz der Strafe, die durch
königsgerichtliches Urteil auferlegt wird42. Obwohl sie an sich auch
Vermögensstrafe sein kann43, wird sie doch regelmäſsig neben der
compositio44 oder neben der Bannbuſse45 verhängt. Seit der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts scheint man nur noch eine Leibes-
oder Ehrenstrafe so genannt zu haben. Als Ehrenstrafe begegnet in
einem italienischen Kapitular v. J. 866 neben der compositio das
später als Reiterstrafe allgemein übliche Satteltragen46. In der spät-

38 Siehe oben S. 43 f.
39 Die Stellen verzeichnet Waitz IV 523, Anm. 2.
40 Ahd. haramscara, ags. hearmscearu, altfranz, haschière, eigentlich Schmerz-
teil. Grimm, RA S. 681. Haltaus, Gloss. Sp. 825 f. Diez, WB II c s. v.
haschière. v. Amira, Recht S. 177.
41 Die harmscara wird angedroht, sicut nobis visum fuerit, oder, ut nobis
placuerit, ein Zusatz, der überflüssig wäre, wenn sie ihrer Natur nach eine arbiträre
Strafe wäre, wie Waitz a. O. annimmt.
42 Cap. Carisiac. v. J. 857, c. 9, Pertz, LL I 452: talem harmiscaram, sicut
nobis visum fuerit, aut iudicium, sicut cum fidelibus nostris consideraverimus.
43 Cap. Worm. v. J. 829, c. 1, II 12: et tunc nos decernamus, utrum nobis
placeat, ut aut illum bannum persolvant aut aliam harmiscaram sustineant.
44 Cap. Confluent. v. J. 860, c. 4, Pertz, LL I 475: qui deinceps talia prae-
sumpserit, … hoc emendare cogetur et in compositione et in harmiscara et in poeni-
tentia ab episcopo parochiae eius suscipienda. Cap. Pist. v. J. 869, c. 9, Pertz,
LL I 510: post debitam emendationem dignam harmiscaram a nobis dispositam sus-
tineant. Cap. Carisiac. v. J. 877. c. 9, Pertz, LL I 539: secundum leges … hoc
componat … et nostram harmiscaram secundum modum culpae et ut nobis
placuerit, sustineat. Cap. Comp. v. J. 883, c. 2, Pertz, LL I 550: rapina …
emendetur et condignam pro hoc harmiscaram … sustineat.
45 Cap. miss. Suess. v. J. 853, c. 9, Pertz, LL 1 419: sciant, quia et bannum
nostrum component et simul cum excommunicatione ecclesiastica nostram harmiscaram
durissimam sustinebunt.
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[596/0614] § 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen. strafung gewisser Verbrechen und gewisser Personenklassen vor, nicht ohne dabei über den Kreis der grundsätzlichen Achtsachen hinaus- zugehen und in den der Bannfälle hinüberzugreifen 38. Wie ins- besondere die Ausdehnung der Treupflicht und die Ablösung der königlichen Unhuld zu einem System arbiträrer Strafen führte, ist oben S. 64 ff. dargelegt worden. Einer näheren Erörterung bedarf hier nur noch der Ausdruck harmscara, unter welchem seit dem neunten Jahrhundert arbiträre Strafen gelegentlich angedroht werden 39. Harmschar bedeutet, was zur Qual auferlegt wird, die Strafe überhaupt 40; daſs diese arbiträr sei, liegt nicht im Begriffe des Wortes 41. Ludwig I. und seine Nachfolger drohen nicht selten eine Harmschar an, deren nähere Bestimmung sie sich vorbehalten. Weil im Ermessen des Königs stehend, erscheint sie als Gegensatz der Strafe, die durch königsgerichtliches Urteil auferlegt wird 42. Obwohl sie an sich auch Vermögensstrafe sein kann 43, wird sie doch regelmäſsig neben der compositio 44 oder neben der Bannbuſse 45 verhängt. Seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts scheint man nur noch eine Leibes- oder Ehrenstrafe so genannt zu haben. Als Ehrenstrafe begegnet in einem italienischen Kapitular v. J. 866 neben der compositio das später als Reiterstrafe allgemein übliche Satteltragen 46. In der spät- 38 Siehe oben S. 43 f. 39 Die Stellen verzeichnet Waitz IV 523, Anm. 2. 40 Ahd. haramscara, ags. hearmscearu, altfranz, haschière, eigentlich Schmerz- teil. Grimm, RA S. 681. Haltaus, Gloss. Sp. 825 f. Diez, WB II c s. v. haschière. v. Amira, Recht S. 177. 41 Die harmscara wird angedroht, sicut nobis visum fuerit, oder, ut nobis placuerit, ein Zusatz, der überflüssig wäre, wenn sie ihrer Natur nach eine arbiträre Strafe wäre, wie Waitz a. O. annimmt. 42 Cap. Carisiac. v. J. 857, c. 9, Pertz, LL I 452: talem harmiscaram, sicut nobis visum fuerit, aut iudicium, sicut cum fidelibus nostris consideraverimus. 43 Cap. Worm. v. J. 829, c. 1, II 12: et tunc nos decernamus, utrum nobis placeat, ut aut illum bannum persolvant aut aliam harmiscaram sustineant. 44 Cap. Confluent. v. J. 860, c. 4, Pertz, LL I 475: qui deinceps talia prae- sumpserit, … hoc emendare cogetur et in compositione et in harmiscara et in poeni- tentia ab episcopo parochiae eius suscipienda. Cap. Pist. v. J. 869, c. 9, Pertz, LL I 510: post debitam emendationem dignam harmiscaram a nobis dispositam sus- tineant. Cap. Carisiac. v. J. 877. c. 9, Pertz, LL I 539: secundum leges … hoc componat … et nostram harmiscaram secundum modum culpae et ut nobis placuerit, sustineat. Cap. Comp. v. J. 883, c. 2, Pertz, LL I 550: rapina … emendetur et condignam pro hoc harmiscaram … sustineat. 45 Cap. miss. Suess. v. J. 853, c. 9, Pertz, LL 1 419: sciant, quia et bannum nostrum component et simul cum excommunicatione ecclesiastica nostram harmiscaram durissimam sustinebunt. 46 Const. de exped. Benevent. c. 9, II 96: triplici lege componat et liber cum

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/614>, abgerufen am 28.04.2024.