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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
Füsse und Augen72. Wenn das Glied am Körper bleibt, aber ver-
trocknet (membrum sideratum) oder lahm wird (mancum, mancatum,
inutile pependerit), ist die halbe Verstümmelungsbusse zu zahlen.

2. Blutwunde. Die Wunde, die keine Lähmung, aber Blut-
verlust zur Folge hat, ahd. bluotruns, wird in der Regel mit einer
Busse gesühnt, die auf die Grundzahl des Busssystems zurückgeht73.
Ausgezeichnete Wunden sind durchgehende, durchgestochene, zwei-
mündige74 Wunden, die durch den verletzten Körperteil hindurch-
gehen; ferner solche, die, um das Blut zu stillen, gebrannt werden
müssen75; Wunden, die bis an den Knochen gehen oder den Knochen
verletzen (beinschrötige); Kopfwunden, welche die Hirnschale oder die
Hirnhaut blosslegen oder das Gehirn verletzen; die Leibwunde (hre-
wawunta), die in die inneren Teile des Rumpfes eindringt; Wunden,
die eine dauernde und sichtliche Entstellung (wlitiwam) herbeiführen76.

3. Den trockenen, dürren Schlag, durslac77 oder Beulenschlag,
paulislac78, colpus, ictus, die Verletzung, die zwar weder Lähmung,
noch Blutverlust zur Folge hat, aber sichtbare Spuren, livor (Blau)
oder eine Anschwellung (tumor, ahd. baulja, Beule) zurücklässt. Er wird
nach den älteren Volksrechten mit einer verhältnismässig kleinen
Busse von 1--3 Solidi gesühnt. Die Leges der Sachsen und Anglo-
warnen, die bekanntlich die Bussen des Adels an die Spitze stellen,
taxieren ihn höher, womit es zusammenhängen dürfte, dass i. J. 803
die Schlagbusse für den freien Ribuarier auf 15 Solidi erhöht
wurde79.

Ausserdem erwähnen die Quellen noch verschiedenartige Gewalt-

72 Lex Sax. 11. Cap. ital. v. J. 801, c. 5, I 205. Sunesen 65: multi enim
magis mortem eligerent, quam post amissionem membrorum vitam ducerent igno-
miniosam. Im Rechte der Anglowarnen greift Absorption Platz. Zwei Augen
werden nämlich nicht höher als eines gebüsst.
73 Unheilbare Wunden kosten nach Lex Sal. 17, 4, Cod. 5 ff. 621/2 Solidi.
74 tvimünt sar im Gegensatz zu enmünt sar in Eriks Saell. Lov II 38. Vgl.
Valdemars Saell. Lov 36. Jydske Lov. III 30.
75 Lex Alam. 75, 34.
76 Lex Fris. Add. 3, 16 verlangt, dass man sie auf zwölf Fuss Entfernung
sehen könne. Vgl. die zwölf Fuss bei der Probe des klingenden Knochens
oben S. 542.
77 Lex Fris. 22, 3 und dazu Richthofens Erläuterung.
78 Lex Rib. 19, 1 B 3. 4: quod nos dicimus bunislegi. Roth. 125 (pul-
slahi). Lex Alam. 57, 1. Lex Baiuw. IV 1, V 1.
79 Lex Sax. 2 (60 Solidi bei den Adeligen). Lex Angl. et Werin. c. 4,
wonach die Busse für den Freien 10 Solidi beträgt (ohne fredus), was den 15 Solidi
in Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 1, I 117 entspricht. Vgl. oben I 216, Anm. 19.

§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
Füſse und Augen72. Wenn das Glied am Körper bleibt, aber ver-
trocknet (membrum sideratum) oder lahm wird (mancum, mancatum,
inutile pependerit), ist die halbe Verstümmelungsbuſse zu zahlen.

2. Blutwunde. Die Wunde, die keine Lähmung, aber Blut-
verlust zur Folge hat, ahd. bluotruns, wird in der Regel mit einer
Buſse gesühnt, die auf die Grundzahl des Buſssystems zurückgeht73.
Ausgezeichnete Wunden sind durchgehende, durchgestochene, zwei-
mündige74 Wunden, die durch den verletzten Körperteil hindurch-
gehen; ferner solche, die, um das Blut zu stillen, gebrannt werden
müssen75; Wunden, die bis an den Knochen gehen oder den Knochen
verletzen (beinschrötige); Kopfwunden, welche die Hirnschale oder die
Hirnhaut bloſslegen oder das Gehirn verletzen; die Leibwunde (hre-
wawunta), die in die inneren Teile des Rumpfes eindringt; Wunden,
die eine dauernde und sichtliche Entstellung (wlitiwam) herbeiführen76.

3. Den trockenen, dürren Schlag, durslac77 oder Beulenschlag,
pûlislac78, colpus, ictus, die Verletzung, die zwar weder Lähmung,
noch Blutverlust zur Folge hat, aber sichtbare Spuren, livor (Blau)
oder eine Anschwellung (tumor, ahd. bûlja, Beule) zurückläſst. Er wird
nach den älteren Volksrechten mit einer verhältnismässig kleinen
Buſse von 1—3 Solidi gesühnt. Die Leges der Sachsen und Anglo-
warnen, die bekanntlich die Buſsen des Adels an die Spitze stellen,
taxieren ihn höher, womit es zusammenhängen dürfte, daſs i. J. 803
die Schlagbuſse für den freien Ribuarier auf 15 Solidi erhöht
wurde79.

Auſserdem erwähnen die Quellen noch verschiedenartige Gewalt-

72 Lex Sax. 11. Cap. ital. v. J. 801, c. 5, I 205. Sunesen 65: multi enim
magis mortem eligerent, quam post amissionem membrorum vitam ducerent igno-
miniosam. Im Rechte der Anglowarnen greift Absorption Platz. Zwei Augen
werden nämlich nicht höher als eines gebüſst.
73 Unheilbare Wunden kosten nach Lex Sal. 17, 4, Cod. 5 ff. 62½ Solidi.
74 tvimünt sár im Gegensatz zu enmünt sár in Eriks Sæll. Lov II 38. Vgl.
Valdemars Sæll. Lov 36. Jydske Lov. III 30.
75 Lex Alam. 75, 34.
76 Lex Fris. Add. 3, 16 verlangt, daſs man sie auf zwölf Fuſs Entfernung
sehen könne. Vgl. die zwölf Fuſs bei der Probe des klingenden Knochens
oben S. 542.
77 Lex Fris. 22, 3 und dazu Richthofens Erläuterung.
78 Lex Rib. 19, 1 B 3. 4: quod nos dicimus bunislegi. Roth. 125 (pul-
slahi). Lex Alam. 57, 1. Lex Baiuw. IV 1, V 1.
79 Lex Sax. 2 (60 Solidi bei den Adeligen). Lex Angl. et Werin. c. 4,
wonach die Buſse für den Freien 10 Solidi beträgt (ohne fredus), was den 15 Solidi
in Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 1, I 117 entspricht. Vgl. oben I 216, Anm. 19.
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[636/0654] § 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung. Füſse und Augen 72. Wenn das Glied am Körper bleibt, aber ver- trocknet (membrum sideratum) oder lahm wird (mancum, mancatum, inutile pependerit), ist die halbe Verstümmelungsbuſse zu zahlen. 2. Blutwunde. Die Wunde, die keine Lähmung, aber Blut- verlust zur Folge hat, ahd. bluotruns, wird in der Regel mit einer Buſse gesühnt, die auf die Grundzahl des Buſssystems zurückgeht 73. Ausgezeichnete Wunden sind durchgehende, durchgestochene, zwei- mündige 74 Wunden, die durch den verletzten Körperteil hindurch- gehen; ferner solche, die, um das Blut zu stillen, gebrannt werden müssen 75; Wunden, die bis an den Knochen gehen oder den Knochen verletzen (beinschrötige); Kopfwunden, welche die Hirnschale oder die Hirnhaut bloſslegen oder das Gehirn verletzen; die Leibwunde (hre- wawunta), die in die inneren Teile des Rumpfes eindringt; Wunden, die eine dauernde und sichtliche Entstellung (wlitiwam) herbeiführen 76. 3. Den trockenen, dürren Schlag, durslac 77 oder Beulenschlag, pûlislac 78, colpus, ictus, die Verletzung, die zwar weder Lähmung, noch Blutverlust zur Folge hat, aber sichtbare Spuren, livor (Blau) oder eine Anschwellung (tumor, ahd. bûlja, Beule) zurückläſst. Er wird nach den älteren Volksrechten mit einer verhältnismässig kleinen Buſse von 1—3 Solidi gesühnt. Die Leges der Sachsen und Anglo- warnen, die bekanntlich die Buſsen des Adels an die Spitze stellen, taxieren ihn höher, womit es zusammenhängen dürfte, daſs i. J. 803 die Schlagbuſse für den freien Ribuarier auf 15 Solidi erhöht wurde 79. Auſserdem erwähnen die Quellen noch verschiedenartige Gewalt- 72 Lex Sax. 11. Cap. ital. v. J. 801, c. 5, I 205. Sunesen 65: multi enim magis mortem eligerent, quam post amissionem membrorum vitam ducerent igno- miniosam. Im Rechte der Anglowarnen greift Absorption Platz. Zwei Augen werden nämlich nicht höher als eines gebüſst. 73 Unheilbare Wunden kosten nach Lex Sal. 17, 4, Cod. 5 ff. 62½ Solidi. 74 tvimünt sár im Gegensatz zu enmünt sár in Eriks Sæll. Lov II 38. Vgl. Valdemars Sæll. Lov 36. Jydske Lov. III 30. 75 Lex Alam. 75, 34. 76 Lex Fris. Add. 3, 16 verlangt, daſs man sie auf zwölf Fuſs Entfernung sehen könne. Vgl. die zwölf Fuſs bei der Probe des klingenden Knochens oben S. 542. 77 Lex Fris. 22, 3 und dazu Richthofens Erläuterung. 78 Lex Rib. 19, 1 B 3. 4: quod nos dicimus bunislegi. Roth. 125 (pul- slahi). Lex Alam. 57, 1. Lex Baiuw. IV 1, V 1. 79 Lex Sax. 2 (60 Solidi bei den Adeligen). Lex Angl. et Werin. c. 4, wonach die Buſse für den Freien 10 Solidi beträgt (ohne fredus), was den 15 Solidi in Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 1, I 117 entspricht. Vgl. oben I 216, Anm. 19.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/654>, abgerufen am 28.04.2024.