Für das Altertum scheint trotz der Unsicherheit der überlieferten Bevölkerungsziffern als Ergebnis des Zustroms der Landbevölkerung zu den Städten ein unverhältnis- mäßiges Anwachsen der letzteren angenommen werden zu müssen 1). Allein es darf nicht übersehen werden, daß nur ein Teil jener Zuwanderung freier Entschließung folgte: nämlich die freien Leute. Der andere, weit größere Teil derselben, die Sklaven, wurde von ihren Herren in den Städten zusammengezogen oder durch den Menschenhandel dahin geliefert.
Wo die Freien das Land verließen, thaten sie es ge- wöhnlich nicht deshalb, weil ihnen in den Städten ein besseres wirtschaftliches Fortkommen in Aussicht stand, son- dern weil sie durch das Vordringen der großen Sklaven- wirtschaft ihres Grundbesitzes enteignet waren. In den Städten fanden sie zwar auch alle lohnenden Erwerbsge- biete in den Händen von Sklaven und Freigelassenen; aber sie brauchten hier weniger das Verhungern zu fürchten, weil die städtischen Proletariermassen, in die sie einrückten, durch öffentliche und private Largitionen erhalten wurden.
Die großen Städte des Altertums sind wesentlich Kon- sumtionsgemeinschaften. Sie verdanken ihre Größe der politischen Centralisation, welche die Ueberschüsse der Pri-
1) Ueber das Folgende vgl. besonders R. Pöhlmann, Die Ueberbevölkerung der antiken Großstädte im Zusammenhange mit der Gesamtentwicklung städtischer Civilisation. Leipzig 1884. Außerdem Roscher, System der Volksw. III zu Anfang.
Für das Altertum ſcheint trotz der Unſicherheit der überlieferten Bevölkerungsziffern als Ergebnis des Zuſtroms der Landbevölkerung zu den Städten ein unverhältnis- mäßiges Anwachſen der letzteren angenommen werden zu müſſen 1). Allein es darf nicht überſehen werden, daß nur ein Teil jener Zuwanderung freier Entſchließung folgte: nämlich die freien Leute. Der andere, weit größere Teil derſelben, die Sklaven, wurde von ihren Herren in den Städten zuſammengezogen oder durch den Menſchenhandel dahin geliefert.
Wo die Freien das Land verließen, thaten ſie es ge- wöhnlich nicht deshalb, weil ihnen in den Städten ein beſſeres wirtſchaftliches Fortkommen in Ausſicht ſtand, ſon- dern weil ſie durch das Vordringen der großen Sklaven- wirtſchaft ihres Grundbeſitzes enteignet waren. In den Städten fanden ſie zwar auch alle lohnenden Erwerbsge- biete in den Händen von Sklaven und Freigelaſſenen; aber ſie brauchten hier weniger das Verhungern zu fürchten, weil die ſtädtiſchen Proletariermaſſen, in die ſie einrückten, durch öffentliche und private Largitionen erhalten wurden.
Die großen Städte des Altertums ſind weſentlich Kon- ſumtionsgemeinſchaften. Sie verdanken ihre Größe der politiſchen Centraliſation, welche die Ueberſchüſſe der Pri-
1) Ueber das Folgende vgl. beſonders R. Pöhlmann, Die Ueberbevölkerung der antiken Großſtädte im Zuſammenhange mit der Geſamtentwicklung ſtädtiſcher Civiliſation. Leipzig 1884. Außerdem Roſcher, Syſtem der Volksw. III zu Anfang.
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Für das Altertum ſcheint trotz der Unſicherheit der
überlieferten Bevölkerungsziffern als Ergebnis des Zuſtroms
der Landbevölkerung zu den Städten ein unverhältnis-
mäßiges Anwachſen der letzteren angenommen werden zu
müſſen 1). Allein es darf nicht überſehen werden, daß nur
ein Teil jener Zuwanderung freier Entſchließung folgte:
nämlich die freien Leute. Der andere, weit größere Teil
derſelben, die Sklaven, wurde von ihren Herren in den
Städten zuſammengezogen oder durch den Menſchenhandel
dahin geliefert.
Wo die Freien das Land verließen, thaten ſie es ge-
wöhnlich nicht deshalb, weil ihnen in den Städten ein
beſſeres wirtſchaftliches Fortkommen in Ausſicht ſtand, ſon-
dern weil ſie durch das Vordringen der großen Sklaven-
wirtſchaft ihres Grundbeſitzes enteignet waren. In den
Städten fanden ſie zwar auch alle lohnenden Erwerbsge-
biete in den Händen von Sklaven und Freigelaſſenen; aber
ſie brauchten hier weniger das Verhungern zu fürchten,
weil die ſtädtiſchen Proletariermaſſen, in die ſie einrückten,
durch öffentliche und private Largitionen erhalten wurden.
Die großen Städte des Altertums ſind weſentlich Kon-
ſumtionsgemeinſchaften. Sie verdanken ihre Größe der
politiſchen Centraliſation, welche die Ueberſchüſſe der Pri-
1) Ueber das Folgende vgl. beſonders R. Pöhlmann, Die
Ueberbevölkerung der antiken Großſtädte im Zuſammenhange mit der
Geſamtentwicklung ſtädtiſcher Civiliſation. Leipzig 1884. Außerdem
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/308>, abgerufen am 16.06.2024.
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