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Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835.

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sich drei Acte hindurch herumquälen, bis es sich
zuletzt verheirathet oder sich todt schießt -- ein
Ideal! -- Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menschlichen Leben wie-
dergibt, wie eine Thonpfeife mit Wasser die Nachti-
gall -- die Kunst! -- Setzt die Leute aus dem
Theater auf die Gasse -- die erbärmliche Wirklich-
keit! -- Sie vergessen ihren Herrgott über seinen
schlechten Copisten. Von der Schöpfung, die glü-
hend, brausend und leuchtend in ihnen sich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts.
Sie gehen in's Theater, lesen Gedichte und Romane,
schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach, und
sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! --
Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie
erzählten, Pygmalions Statue sei lebendig gewor-
den, habe aber keine Kinder bekommen.

Danton.
Und die Künstler gehn mit der Natur um wie
David, der im September die Gemordeten, wie sie
aus der Force auf die Gasse geworfen wurden,
kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten
Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern.

(Danton wird herausgerufen.)

ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich
zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein
Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie-
dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti-
gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem
Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich-
keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen
ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü-
hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts.
Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane,
ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und
ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! —
Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie
erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor-
den, habe aber keine Kinder bekommen.

Danton.
Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie
David, der im September die Gemordeten, wie ſie
aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden,
kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten
Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern.

(Danton wird herausgerufen.)
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[68/0072] ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie- dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti- gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich- keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü- hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts. Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane, ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! — Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor- den, habe aber keine Kinder bekommen. Danton. Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie ſie aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern. (Danton wird herausgerufen.)

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835/72>, abgerufen am 28.04.2024.