flächlichste Kenntniß von den natürlichen Bedingungen, unter denen sich Krankheiten verbreiten, ihr Unternehmen als ein höchst lächerliches hätte erscheinen lassen müssen!
"Jedes Wunder", sagt Cotta, "wenn es existirte, würde zu der Ueberzeugung führen, daß die Schöpfung nicht die Verehrung verdiente, welche wir Alle ihr zollen, und der Mystiker müßte nothgedrungen aus der Unvoll- kommenheit des Geschaffenen auf die Unvollkommenheit des Schöpfers schließen."
Dogmatische Werke nennen es eine Gottes unwür- dige Ansicht, daß die sichtbare Welt gleich einem Uhr- werke von selbst gehe; vielmehr müsse Gott als der stete Regulator und Neuschöpfer angesehen werden. So hat man es auch A. von Hnmboldt übel genommen, daß er den Kosmos als Complex von Naturgesetzen und nicht als das Produkt eines schaffenden Willens dargestellt hat. (Erdmann.) Ebensowohl könnte man es den Naturwissenschaften übel nehmen, daß sie über- haupt existiren; denn nicht die Naturforscher, sondern die Natur selbst hat uns den Kosmos als einen Complex unabänderlicher Naturgesetze kennen gelehrt. Alles, was theologisches Jnteresse oder wissenschaftliche Bornirtheit gegen dieses Faktum vorbringen mag, scheitert an der Macht der Thatsachen, die klar und unzweifelhaft nur für eine Seite entscheiden. Freilich fehlt es auch den Gegnern der Naturforschung angeblich nicht an That-
flächlichſte Kenntniß von den natürlichen Bedingungen, unter denen ſich Krankheiten verbreiten, ihr Unternehmen als ein höchſt lächerliches hätte erſcheinen laſſen müſſen!
„Jedes Wunder‟, ſagt Cotta, „wenn es exiſtirte, würde zu der Ueberzeugung führen, daß die Schöpfung nicht die Verehrung verdiente, welche wir Alle ihr zollen, und der Myſtiker müßte nothgedrungen aus der Unvoll- kommenheit des Geſchaffenen auf die Unvollkommenheit des Schöpfers ſchließen.‟
Dogmatiſche Werke nennen es eine Gottes unwür- dige Anſicht, daß die ſichtbare Welt gleich einem Uhr- werke von ſelbſt gehe; vielmehr müſſe Gott als der ſtete Regulator und Neuſchöpfer angeſehen werden. So hat man es auch A. von Hnmboldt übel genommen, daß er den Kosmos als Complex von Naturgeſetzen und nicht als das Produkt eines ſchaffenden Willens dargeſtellt hat. (Erdmann.) Ebenſowohl könnte man es den Naturwiſſenſchaften übel nehmen, daß ſie über- haupt exiſtiren; denn nicht die Naturforſcher, ſondern die Natur ſelbſt hat uns den Kosmos als einen Complex unabänderlicher Naturgeſetze kennen gelehrt. Alles, was theologiſches Jntereſſe oder wiſſenſchaftliche Bornirtheit gegen dieſes Faktum vorbringen mag, ſcheitert an der Macht der Thatſachen, die klar und unzweifelhaft nur für eine Seite entſcheiden. Freilich fehlt es auch den Gegnern der Naturforſchung angeblich nicht an That-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0059"n="39"/>
flächlichſte Kenntniß von den natürlichen Bedingungen,<lb/>
unter denen ſich Krankheiten verbreiten, ihr Unternehmen<lb/>
als ein höchſt lächerliches hätte erſcheinen laſſen müſſen!</p><lb/><p>„Jedes Wunder‟, ſagt <hirendition="#g">Cotta,</hi>„wenn es exiſtirte,<lb/>
würde zu der Ueberzeugung führen, daß die Schöpfung<lb/>
nicht die Verehrung verdiente, welche wir Alle ihr zollen,<lb/>
und der Myſtiker müßte nothgedrungen aus der Unvoll-<lb/>
kommenheit des Geſchaffenen auf die Unvollkommenheit<lb/>
des Schöpfers ſchließen.‟</p><lb/><p>Dogmatiſche Werke nennen es eine Gottes <hirendition="#g">unwür-<lb/>
dige</hi> Anſicht, daß die ſichtbare Welt gleich einem Uhr-<lb/>
werke <hirendition="#g">von ſelbſt</hi> gehe; vielmehr müſſe Gott als der<lb/>ſtete Regulator und Neuſchöpfer angeſehen werden. So<lb/>
hat man es auch A. <hirendition="#g">von Hnmboldt</hi> übel genommen,<lb/>
daß er den Kosmos als Complex von Naturgeſetzen und<lb/>
nicht als das Produkt eines <hirendition="#g">ſchaffenden Willens</hi><lb/>
dargeſtellt hat. (Erdmann.) Ebenſowohl könnte man<lb/>
es den Naturwiſſenſchaften übel nehmen, daß ſie über-<lb/>
haupt exiſtiren; denn nicht die Naturforſcher, ſondern<lb/>
die Natur ſelbſt hat uns den Kosmos als einen Complex<lb/>
unabänderlicher Naturgeſetze kennen gelehrt. Alles, was<lb/>
theologiſches Jntereſſe oder wiſſenſchaftliche Bornirtheit<lb/>
gegen dieſes Faktum vorbringen mag, ſcheitert an der<lb/>
Macht der Thatſachen, die klar und unzweifelhaft nur<lb/>
für <hirendition="#g">eine</hi> Seite entſcheiden. Freilich fehlt es auch den<lb/>
Gegnern der Naturforſchung angeblich nicht an That-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0059]
flächlichſte Kenntniß von den natürlichen Bedingungen,
unter denen ſich Krankheiten verbreiten, ihr Unternehmen
als ein höchſt lächerliches hätte erſcheinen laſſen müſſen!
„Jedes Wunder‟, ſagt Cotta, „wenn es exiſtirte,
würde zu der Ueberzeugung führen, daß die Schöpfung
nicht die Verehrung verdiente, welche wir Alle ihr zollen,
und der Myſtiker müßte nothgedrungen aus der Unvoll-
kommenheit des Geſchaffenen auf die Unvollkommenheit
des Schöpfers ſchließen.‟
Dogmatiſche Werke nennen es eine Gottes unwür-
dige Anſicht, daß die ſichtbare Welt gleich einem Uhr-
werke von ſelbſt gehe; vielmehr müſſe Gott als der
ſtete Regulator und Neuſchöpfer angeſehen werden. So
hat man es auch A. von Hnmboldt übel genommen,
daß er den Kosmos als Complex von Naturgeſetzen und
nicht als das Produkt eines ſchaffenden Willens
dargeſtellt hat. (Erdmann.) Ebenſowohl könnte man
es den Naturwiſſenſchaften übel nehmen, daß ſie über-
haupt exiſtiren; denn nicht die Naturforſcher, ſondern
die Natur ſelbſt hat uns den Kosmos als einen Complex
unabänderlicher Naturgeſetze kennen gelehrt. Alles, was
theologiſches Jntereſſe oder wiſſenſchaftliche Bornirtheit
gegen dieſes Faktum vorbringen mag, ſcheitert an der
Macht der Thatſachen, die klar und unzweifelhaft nur
für eine Seite entſcheiden. Freilich fehlt es auch den
Gegnern der Naturforſchung angeblich nicht an That-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/59>, abgerufen am 14.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.