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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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wahl in Oberhessen unermüdlich zu agitiren, auch für den
zahmsten Liberalen, sofern diesem etwa ein Regierungscandidat
gegenüber stand. Aber andrerseits hielt er auch bei aller
Elasticität eisern an seinen Principien fest, nicht blos, was
die Endziele betrifft, sondern auch, so weit ihm die Kraft
reichte, in der Auswahl der Mittel.

So fragmentarisch diese Charakteristik des merkwürdigen
Mannes sein mag -- sie läßt doch sofort erkennen, daß
zwischen ihm und Georg Büchner ein unversönlicher Wider-
streit des Wesens und der Ueberzeugungen waltete. Wenn
August Becker drei Jahre später vor dem hessischen Kriminal-
gericht (seine Aussagen finden sich S. 409-418 zur Be-
gründung und näheren Ausführung unserer Darstellung ab-
gedruckt) ganz nebenbei meinte, daß Beide in Manchem
übereingestimmt, so ist er die nähere Detaillirung schuldig
geblieben; was er anführt, sind nur Gegensätze. Wie hätte
dies auch anders sein können?! Weidig, der fromme,
gottbegeisterte Jugendbildner und Büchner, der atheistische
Naturforscher, Weidig, der fanatische Anhänger der mittel-
alterlichen Erbkaiseridee und Büchner, der radikale Repu-
blikaner, Weidig, der Mann der christlich-germanischen
Schwärmerei und Büchner, der klare, entschiedene, von
modernsten Ideen durchtränkte Jüngling -- lag nicht schon
in Beider Wesen der Grund zu baldiger Entzweiung?!
Gleichwohl hören wir nur von vorübergehenden Conflicten
(vgl. S. 417), im Wesentlichen und nach Außen hin wirkten
Beide einträchtig zusammen. Was sie einte, war sicherlich
die schlimme Lage der Partei und die richtige Einsicht, daß
ihnen mindestens das nächste Stück Wegs gemeinsam sei,
daneben aber auch der vermittelnde Einfluß einer edlen Frau,

wahl in Oberheſſen unermüdlich zu agitiren, auch für den
zahmſten Liberalen, ſofern dieſem etwa ein Regierungscandidat
gegenüber ſtand. Aber andrerſeits hielt er auch bei aller
Elaſticität eiſern an ſeinen Principien feſt, nicht blos, was
die Endziele betrifft, ſondern auch, ſo weit ihm die Kraft
reichte, in der Auswahl der Mittel.

So fragmentariſch dieſe Charakteriſtik des merkwürdigen
Mannes ſein mag — ſie läßt doch ſofort erkennen, daß
zwiſchen ihm und Georg Büchner ein unverſönlicher Wider-
ſtreit des Weſens und der Ueberzeugungen waltete. Wenn
Auguſt Becker drei Jahre ſpäter vor dem heſſiſchen Kriminal-
gericht (ſeine Ausſagen finden ſich S. 409-418 zur Be-
gründung und näheren Ausführung unſerer Darſtellung ab-
gedruckt) ganz nebenbei meinte, daß Beide in Manchem
übereingeſtimmt, ſo iſt er die nähere Detaillirung ſchuldig
geblieben; was er anführt, ſind nur Gegenſätze. Wie hätte
dies auch anders ſein können?! Weidig, der fromme,
gottbegeiſterte Jugendbildner und Büchner, der atheiſtiſche
Naturforſcher, Weidig, der fanatiſche Anhänger der mittel-
alterlichen Erbkaiſeridee und Büchner, der radikale Repu-
blikaner, Weidig, der Mann der chriſtlich-germaniſchen
Schwärmerei und Büchner, der klare, entſchiedene, von
modernſten Ideen durchtränkte Jüngling — lag nicht ſchon
in Beider Weſen der Grund zu baldiger Entzweiung?!
Gleichwohl hören wir nur von vorübergehenden Conflicten
(vgl. S. 417), im Weſentlichen und nach Außen hin wirkten
Beide einträchtig zuſammen. Was ſie einte, war ſicherlich
die ſchlimme Lage der Partei und die richtige Einſicht, daß
ihnen mindeſtens das nächſte Stück Wegs gemeinſam ſei,
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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/117>, abgerufen am 05.05.2024.