Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

weitere Zusätze und Aenderungen vorgenommen. Denn Büchner
war ja bereits über die Aenderungen, welche Weidig an seinem
Manuscript für die erste Auflage vorgenommen, so erzürnt, daß er
sich, wie man im Anhang nachlesen mag, auf das heftigste darüber
äußerte, ja die Arbeit nicht mehr als die seinige anerkennen wollte.
Es ist also nicht anzunehmen, daß er sich an einer ferneren Umge-
staltung betheiligt.

Der dritte Abdruck steht in den "Nachgelassenen Schriften,
(Frankfurt, Sauerländer 1850.)" Der Herausgeber derselben, be-
kanntlich Dr. Ludwig Büchner, sah sich jedoch nicht in der Lage das
in seinem Besitze befindliche Exemplar der ersten Auflage einfach
vollinhaltlich der Ausgabe einzufügen. Das verhinderten die traurigen,
politischen Verhältnisse des Jahres, in dem seine Ausgabe erschien.
"Von dem Landboten" bemerkt er in der Einleitung dieser Ausgabe
(N. S. S. 50) "konnten wir nur den kleinsten Theil wiedergeben.
Vieles darin bezog sich auf ehemalige specielle Landesverhältnisse,
Anderes würde noch heutzutage Staatsverbrechen involviren. Die
gegebenen Stellen mögen zur Beurtheilung des Ganzen hinweisen,
dessen Hauptwerth ein historischer ist." Freilich rettete Dr. Büchner
ehrlich, was nur immer zu retten war, ohne den damals gewaltig
langen Arm des Strafgerichts gegen das Buch in Bewegung zu
setzen, aber der Auszug war gleichwohl nur sehr dürftig und konnte
von dem eigentlichen Charakter der Schrift kaum ein richtiges Bild
auch nur errathen lassen. Die kräftigsten Stellen mußten wegbleiben,
ebenso alle Orts- und Personennamen, selbst der Titel der Schrift
heißt da: "Der ...... sche Landbote".

Jene Rücksichten, welchen damals Dr. Büchner "dem Zwang
gehorchend, nicht dem eigenen Triebe" leider so ausgiebig Rechnung
tragen mußte, sind heute nicht mehr wirksam. Der Staat "von
Gottes Gnaden" existirt heute nicht mehr, der deutsche Bundestag
ist todt, der deutsche Einheitsstaat ist erstanden. Die Streitschrift,
welche so grimmig, mit dem glühenden Ethos einer Freiheit lieben-
den Seele, den Absolutismus befehdet, ist völlig gegenstandlos ge-
worden: was sie bekämpft hat, ist längst dahin. Selbst die bös-
willigste Absicht wird diese Waffe nicht mehr gegen die Zustände
der Gegenwart schwingen können. Heute hat diese merkwürdige

weitere Zuſätze und Aenderungen vorgenommen. Denn Büchner
war ja bereits über die Aenderungen, welche Weidig an ſeinem
Manuſcript für die erſte Auflage vorgenommen, ſo erzürnt, daß er
ſich, wie man im Anhang nachleſen mag, auf das heftigſte darüber
äußerte, ja die Arbeit nicht mehr als die ſeinige anerkennen wollte.
Es iſt alſo nicht anzunehmen, daß er ſich an einer ferneren Umge-
ſtaltung betheiligt.

Der dritte Abdruck ſteht in den "Nachgelaſſenen Schriften,
(Frankfurt, Sauerländer 1850.)" Der Herausgeber derſelben, be-
kanntlich Dr. Ludwig Büchner, ſah ſich jedoch nicht in der Lage das
in ſeinem Beſitze befindliche Exemplar der erſten Auflage einfach
vollinhaltlich der Ausgabe einzufügen. Das verhinderten die traurigen,
politiſchen Verhältniſſe des Jahres, in dem ſeine Ausgabe erſchien.
"Von dem Landboten" bemerkt er in der Einleitung dieſer Ausgabe
(N. S. S. 50) "konnten wir nur den kleinſten Theil wiedergeben.
Vieles darin bezog ſich auf ehemalige ſpecielle Landesverhältniſſe,
Anderes würde noch heutzutage Staatsverbrechen involviren. Die
gegebenen Stellen mögen zur Beurtheilung des Ganzen hinweiſen,
deſſen Hauptwerth ein hiſtoriſcher iſt." Freilich rettete Dr. Büchner
ehrlich, was nur immer zu retten war, ohne den damals gewaltig
langen Arm des Strafgerichts gegen das Buch in Bewegung zu
ſetzen, aber der Auszug war gleichwohl nur ſehr dürftig und konnte
von dem eigentlichen Charakter der Schrift kaum ein richtiges Bild
auch nur errathen laſſen. Die kräftigſten Stellen mußten wegbleiben,
ebenſo alle Orts- und Perſonennamen, ſelbſt der Titel der Schrift
heißt da: "Der ...... ſche Landbote".

Jene Rückſichten, welchen damals Dr. Büchner "dem Zwang
gehorchend, nicht dem eigenen Triebe" leider ſo ausgiebig Rechnung
tragen mußte, ſind heute nicht mehr wirkſam. Der Staat "von
Gottes Gnaden" exiſtirt heute nicht mehr, der deutſche Bundestag
iſt todt, der deutſche Einheitsſtaat iſt erſtanden. Die Streitſchrift,
welche ſo grimmig, mit dem glühenden Ethos einer Freiheit lieben-
den Seele, den Abſolutismus befehdet, iſt völlig gegenſtandlos ge-
worden: was ſie bekämpft hat, iſt längſt dahin. Selbſt die bös-
willigſte Abſicht wird dieſe Waffe nicht mehr gegen die Zuſtände
der Gegenwart ſchwingen können. Heute hat dieſe merkwürdige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0480" n="284"/>
weitere Zu&#x017F;ätze und Aenderungen vorgenommen. Denn Büchner<lb/>
war ja bereits über die Aenderungen, welche Weidig an &#x017F;einem<lb/>
Manu&#x017F;cript für die er&#x017F;te Auflage vorgenommen, &#x017F;o erzürnt, daß er<lb/>
&#x017F;ich, wie man im Anhang nachle&#x017F;en mag, auf das heftig&#x017F;te darüber<lb/>
äußerte, ja die Arbeit nicht mehr als die &#x017F;einige anerkennen wollte.<lb/>
Es i&#x017F;t al&#x017F;o nicht anzunehmen, daß er &#x017F;ich an einer ferneren Umge-<lb/>
&#x017F;taltung betheiligt.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">dritte</hi> Abdruck &#x017F;teht in den "Nachgela&#x017F;&#x017F;enen Schriften,<lb/>
(Frankfurt, Sauerländer 1850.)" Der Herausgeber der&#x017F;elben, be-<lb/>
kanntlich <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Ludwig Büchner, &#x017F;ah &#x017F;ich jedoch nicht in der Lage das<lb/>
in &#x017F;einem Be&#x017F;itze befindliche Exemplar der er&#x017F;ten Auflage einfach<lb/>
vollinhaltlich der Ausgabe einzufügen. Das verhinderten die traurigen,<lb/>
politi&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;e des Jahres, in dem &#x017F;eine Ausgabe er&#x017F;chien.<lb/>
"Von dem Landboten" bemerkt er in der Einleitung die&#x017F;er Ausgabe<lb/>
(<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">N. S.</hi></hi> S. 50) "konnten wir nur den klein&#x017F;ten Theil wiedergeben.<lb/>
Vieles darin bezog &#x017F;ich auf ehemalige &#x017F;pecielle Landesverhältni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
Anderes würde noch heutzutage Staatsverbrechen involviren. Die<lb/>
gegebenen Stellen mögen zur Beurtheilung des Ganzen hinwei&#x017F;en,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Hauptwerth ein hi&#x017F;tori&#x017F;cher i&#x017F;t." Freilich rettete <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Büchner<lb/>
ehrlich, was nur immer zu retten war, ohne den damals gewaltig<lb/>
langen Arm des Strafgerichts gegen das Buch in Bewegung zu<lb/>
&#x017F;etzen, aber der Auszug war gleichwohl nur &#x017F;ehr dürftig und konnte<lb/>
von dem eigentlichen Charakter der Schrift kaum ein richtiges Bild<lb/>
auch nur errathen la&#x017F;&#x017F;en. Die kräftig&#x017F;ten Stellen mußten wegbleiben,<lb/>
eben&#x017F;o alle Orts- und Per&#x017F;onennamen, &#x017F;elb&#x017F;t der Titel der Schrift<lb/>
heißt da: "Der ...... &#x017F;che Landbote".</p><lb/>
            <p>Jene Rück&#x017F;ichten, welchen damals <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Büchner "dem Zwang<lb/>
gehorchend, nicht dem eigenen Triebe" leider &#x017F;o ausgiebig Rechnung<lb/>
tragen mußte, &#x017F;ind heute nicht mehr wirk&#x017F;am. Der Staat "von<lb/>
Gottes Gnaden" exi&#x017F;tirt heute nicht mehr, der deut&#x017F;che Bundestag<lb/>
i&#x017F;t todt, der deut&#x017F;che Einheits&#x017F;taat i&#x017F;t er&#x017F;tanden. Die Streit&#x017F;chrift,<lb/>
welche &#x017F;o grimmig, mit dem glühenden Ethos einer Freiheit lieben-<lb/>
den Seele, den Ab&#x017F;olutismus befehdet, i&#x017F;t völlig gegen&#x017F;tandlos ge-<lb/>
worden: was &#x017F;ie bekämpft hat, i&#x017F;t läng&#x017F;t dahin. Selb&#x017F;t die bös-<lb/>
willig&#x017F;te Ab&#x017F;icht wird die&#x017F;e Waffe nicht mehr gegen die Zu&#x017F;tände<lb/>
der Gegenwart &#x017F;chwingen können. Heute hat die&#x017F;e merkwürdige<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0480] weitere Zuſätze und Aenderungen vorgenommen. Denn Büchner war ja bereits über die Aenderungen, welche Weidig an ſeinem Manuſcript für die erſte Auflage vorgenommen, ſo erzürnt, daß er ſich, wie man im Anhang nachleſen mag, auf das heftigſte darüber äußerte, ja die Arbeit nicht mehr als die ſeinige anerkennen wollte. Es iſt alſo nicht anzunehmen, daß er ſich an einer ferneren Umge- ſtaltung betheiligt. Der dritte Abdruck ſteht in den "Nachgelaſſenen Schriften, (Frankfurt, Sauerländer 1850.)" Der Herausgeber derſelben, be- kanntlich Dr. Ludwig Büchner, ſah ſich jedoch nicht in der Lage das in ſeinem Beſitze befindliche Exemplar der erſten Auflage einfach vollinhaltlich der Ausgabe einzufügen. Das verhinderten die traurigen, politiſchen Verhältniſſe des Jahres, in dem ſeine Ausgabe erſchien. "Von dem Landboten" bemerkt er in der Einleitung dieſer Ausgabe (N. S. S. 50) "konnten wir nur den kleinſten Theil wiedergeben. Vieles darin bezog ſich auf ehemalige ſpecielle Landesverhältniſſe, Anderes würde noch heutzutage Staatsverbrechen involviren. Die gegebenen Stellen mögen zur Beurtheilung des Ganzen hinweiſen, deſſen Hauptwerth ein hiſtoriſcher iſt." Freilich rettete Dr. Büchner ehrlich, was nur immer zu retten war, ohne den damals gewaltig langen Arm des Strafgerichts gegen das Buch in Bewegung zu ſetzen, aber der Auszug war gleichwohl nur ſehr dürftig und konnte von dem eigentlichen Charakter der Schrift kaum ein richtiges Bild auch nur errathen laſſen. Die kräftigſten Stellen mußten wegbleiben, ebenſo alle Orts- und Perſonennamen, ſelbſt der Titel der Schrift heißt da: "Der ...... ſche Landbote". Jene Rückſichten, welchen damals Dr. Büchner "dem Zwang gehorchend, nicht dem eigenen Triebe" leider ſo ausgiebig Rechnung tragen mußte, ſind heute nicht mehr wirkſam. Der Staat "von Gottes Gnaden" exiſtirt heute nicht mehr, der deutſche Bundestag iſt todt, der deutſche Einheitsſtaat iſt erſtanden. Die Streitſchrift, welche ſo grimmig, mit dem glühenden Ethos einer Freiheit lieben- den Seele, den Abſolutismus befehdet, iſt völlig gegenſtandlos ge- worden: was ſie bekämpft hat, iſt längſt dahin. Selbſt die bös- willigſte Abſicht wird dieſe Waffe nicht mehr gegen die Zuſtände der Gegenwart ſchwingen können. Heute hat dieſe merkwürdige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/480
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/480>, abgerufen am 29.04.2024.