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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Die erste Eigenschaft Gottes, welche nach Cartesius
nothwendig aus seiner Definition sich ergibt, ist die, daß er
höchst wahrhaft und der Geber alles Lichtes ist. Daraus
folgt, daß das Licht der Natur oder das uns von Gott ge-
gebene Erkenntnißvermögen nie einen Gegenstand ergreifen
kann, der nicht wahr ist, insofern er nämlich wirklich von
ihm ergriffen, d. h. klar und deutlich erkannt wird, denn
mit Recht müßte Gott ein Betrüger genannt werden, hätte
er uns ein verkehrtes Erkenntnißvermögen gegeben, welches
das Falsche für das Wahre nähme. Es ist, fährt Cartesius
ferner fort, unmöglich, eine andere Thatsache, welche alle
Zweifel aufheben könnte, aufzufinden, als eben das Dasein
Gottes, denn ob ich gleich von der Art bin, daß ich, sobald
ich etwas klar und deutlich erkenne, auch an die Wahrheit
desselben glauben muß, so könnte ich doch, wenn ich nichts
von Gott wüßte, auf Gründe stoßen, welche mir diese Ueber-
zeugung leicht nehmen könnte, so daß ich nie eine wahre
und bestimmte Erkenntniß, sondern nur unbestimmte und
veränderliche Meinungen hätte; daher könne auch ein Atheist
nicht so gut als ein Theist von der Wahrheit eines mathe-
matischen Satzes überzeugt sein, denn der Atheist könne ja
nicht wissen, ob er nicht von Natur zum Irren bestimmt
sei, während der Theist aus der Vollkommenheit Gottes das
Gegentheil beweisen könne. Nach der Auffassung des Cartesius
ist es also Gott, der den Abgrund zwischen Denken und
Erkennen, zwischen Subject und Object ausfüllt; Gott ist
ihm die Brücke zwischen dem "cogito ergo sum," zwischen
dem einsamen inneren Denken einerseits und der Außenwelt
andererseits. Der Versuch ist etwas naiv ausgefallen, aber
man sieht doch, wie schon Cartesius mit instinctartiger Schärfe

Die erſte Eigenſchaft Gottes, welche nach Carteſius
nothwendig aus ſeiner Definition ſich ergibt, iſt die, daß er
höchſt wahrhaft und der Geber alles Lichtes iſt. Daraus
folgt, daß das Licht der Natur oder das uns von Gott ge-
gebene Erkenntnißvermögen nie einen Gegenſtand ergreifen
kann, der nicht wahr iſt, inſofern er nämlich wirklich von
ihm ergriffen, d. h. klar und deutlich erkannt wird, denn
mit Recht müßte Gott ein Betrüger genannt werden, hätte
er uns ein verkehrtes Erkenntnißvermögen gegeben, welches
das Falſche für das Wahre nähme. Es iſt, fährt Carteſius
ferner fort, unmöglich, eine andere Thatſache, welche alle
Zweifel aufheben könnte, aufzufinden, als eben das Daſein
Gottes, denn ob ich gleich von der Art bin, daß ich, ſobald
ich etwas klar und deutlich erkenne, auch an die Wahrheit
deſſelben glauben muß, ſo könnte ich doch, wenn ich nichts
von Gott wüßte, auf Gründe ſtoßen, welche mir dieſe Ueber-
zeugung leicht nehmen könnte, ſo daß ich nie eine wahre
und beſtimmte Erkenntniß, ſondern nur unbeſtimmte und
veränderliche Meinungen hätte; daher könne auch ein Atheiſt
nicht ſo gut als ein Theiſt von der Wahrheit eines mathe-
matiſchen Satzes überzeugt ſein, denn der Atheiſt könne ja
nicht wiſſen, ob er nicht von Natur zum Irren beſtimmt
ſei, während der Theiſt aus der Vollkommenheit Gottes das
Gegentheil beweiſen könne. Nach der Auffaſſung des Carteſius
iſt es alſo Gott, der den Abgrund zwiſchen Denken und
Erkennen, zwiſchen Subject und Object ausfüllt; Gott iſt
ihm die Brücke zwiſchen dem "cogito ergo sum," zwiſchen
dem einſamen inneren Denken einerſeits und der Außenwelt
andererſeits. Der Verſuch iſt etwas naiv ausgefallen, aber
man ſieht doch, wie ſchon Carteſius mit inſtinctartiger Schärfe

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[313/0509] Die erſte Eigenſchaft Gottes, welche nach Carteſius nothwendig aus ſeiner Definition ſich ergibt, iſt die, daß er höchſt wahrhaft und der Geber alles Lichtes iſt. Daraus folgt, daß das Licht der Natur oder das uns von Gott ge- gebene Erkenntnißvermögen nie einen Gegenſtand ergreifen kann, der nicht wahr iſt, inſofern er nämlich wirklich von ihm ergriffen, d. h. klar und deutlich erkannt wird, denn mit Recht müßte Gott ein Betrüger genannt werden, hätte er uns ein verkehrtes Erkenntnißvermögen gegeben, welches das Falſche für das Wahre nähme. Es iſt, fährt Carteſius ferner fort, unmöglich, eine andere Thatſache, welche alle Zweifel aufheben könnte, aufzufinden, als eben das Daſein Gottes, denn ob ich gleich von der Art bin, daß ich, ſobald ich etwas klar und deutlich erkenne, auch an die Wahrheit deſſelben glauben muß, ſo könnte ich doch, wenn ich nichts von Gott wüßte, auf Gründe ſtoßen, welche mir dieſe Ueber- zeugung leicht nehmen könnte, ſo daß ich nie eine wahre und beſtimmte Erkenntniß, ſondern nur unbeſtimmte und veränderliche Meinungen hätte; daher könne auch ein Atheiſt nicht ſo gut als ein Theiſt von der Wahrheit eines mathe- matiſchen Satzes überzeugt ſein, denn der Atheiſt könne ja nicht wiſſen, ob er nicht von Natur zum Irren beſtimmt ſei, während der Theiſt aus der Vollkommenheit Gottes das Gegentheil beweiſen könne. Nach der Auffaſſung des Carteſius iſt es alſo Gott, der den Abgrund zwiſchen Denken und Erkennen, zwiſchen Subject und Object ausfüllt; Gott iſt ihm die Brücke zwiſchen dem "cogito ergo sum," zwiſchen dem einſamen inneren Denken einerſeits und der Außenwelt andererſeits. Der Verſuch iſt etwas naiv ausgefallen, aber man ſieht doch, wie ſchon Carteſius mit inſtinctartiger Schärfe

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/509>, abgerufen am 28.04.2024.