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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Faust, "weil sich nirgends das Naturgefühl so innig ausspreche,
als hier". Demselben Freunde, der uns jene Begegnung am
Jägerthor überliefert und der damals hart mit sich kämpfte,
ob er Theologe werden sollte, sagte Büchner: "Wie fühle
ich mich glücklich! Ich darf werden, wozu ich einzig tauge.
Ich bin nie, auch nur eine Sekunde lang im Zweifel über
meinen Beruf gewesen!" ...

Auch die Eltern billigten diese Berufswahl. Als Georg
im September 1831 das Gymnasium verließ (ohne Matu-
ritätszeugniß, welches damals nur in Ausnahmsfällen erfor-
derlich war), wurde beschlossen, daß er sich hauptsächlich dem
Studium der Zoologie und Anatomie widmen sollte. Nur machte
ihm der Vater zur Bedingung, daß er sich an der medizinischen
Facultät inscribire und die rein medizinischen Fächer nicht ver-
nachlässige -- ein Gebot verzeihlicher Vorsicht -- dem der
Sohn nicht widersprach. Wenige Tage darauf verließ er
Darmstadt und das Elternhaus. Große Hoffnungen seiner
Familie und eigene stolze Zuversicht geleiteten ihn. Beides
war wohlbegründet. Selten hat ein Jüngling so ernst und
tüchtig, mit so scharf geprägten Ueberzeugungen, mit solcher
Zielbewußtheit bezüglich seines Berufes die Schule verlassen.

Er wandte sich nach Straßburg. An der medizinischen
Facultät der dortigen "Academie" sollte er nach dem Wunsche
des Vaters jene Studien beginnen. Es war dies eine sonder-
bare und auffällige Bestimmung, da der Zuzug von deutschen
Studenten an die längst völlig gallisirte Anstalt seit Jahrzehnten
aufgehört hatte, und da deutsche Hochschulen, welche dieselbe an
wissenschaftlichem Ruf weit übertrafen, auch räumlich näher
lagen. Aber die Vorliebe, welche Ernst Büchner für franzö-
sisches Wesen hegte, und der Wunsch, daß Georg das Franzö-

Fauſt, "weil ſich nirgends das Naturgefühl ſo innig ausſpreche,
als hier". Demſelben Freunde, der uns jene Begegnung am
Jägerthor überliefert und der damals hart mit ſich kämpfte,
ob er Theologe werden ſollte, ſagte Büchner: "Wie fühle
ich mich glücklich! Ich darf werden, wozu ich einzig tauge.
Ich bin nie, auch nur eine Sekunde lang im Zweifel über
meinen Beruf geweſen!" ...

Auch die Eltern billigten dieſe Berufswahl. Als Georg
im September 1831 das Gymnaſium verließ (ohne Matu-
ritätszeugniß, welches damals nur in Ausnahmsfällen erfor-
derlich war), wurde beſchloſſen, daß er ſich hauptſächlich dem
Studium der Zoologie und Anatomie widmen ſollte. Nur machte
ihm der Vater zur Bedingung, daß er ſich an der mediziniſchen
Facultät inſcribire und die rein mediziniſchen Fächer nicht ver-
nachläſſige — ein Gebot verzeihlicher Vorſicht — dem der
Sohn nicht widerſprach. Wenige Tage darauf verließ er
Darmſtadt und das Elternhaus. Große Hoffnungen ſeiner
Familie und eigene ſtolze Zuverſicht geleiteten ihn. Beides
war wohlbegründet. Selten hat ein Jüngling ſo ernſt und
tüchtig, mit ſo ſcharf geprägten Ueberzeugungen, mit ſolcher
Zielbewußtheit bezüglich ſeines Berufes die Schule verlaſſen.

Er wandte ſich nach Straßburg. An der mediziniſchen
Facultät der dortigen "Academie" ſollte er nach dem Wunſche
des Vaters jene Studien beginnen. Es war dies eine ſonder-
bare und auffällige Beſtimmung, da der Zuzug von deutſchen
Studenten an die längſt völlig galliſirte Anſtalt ſeit Jahrzehnten
aufgehört hatte, und da deutſche Hochſchulen, welche dieſelbe an
wiſſenſchaftlichem Ruf weit übertrafen, auch räumlich näher
lagen. Aber die Vorliebe, welche Ernſt Büchner für franzö-
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[XXXVI/0052] Fauſt, "weil ſich nirgends das Naturgefühl ſo innig ausſpreche, als hier". Demſelben Freunde, der uns jene Begegnung am Jägerthor überliefert und der damals hart mit ſich kämpfte, ob er Theologe werden ſollte, ſagte Büchner: "Wie fühle ich mich glücklich! Ich darf werden, wozu ich einzig tauge. Ich bin nie, auch nur eine Sekunde lang im Zweifel über meinen Beruf geweſen!" ... Auch die Eltern billigten dieſe Berufswahl. Als Georg im September 1831 das Gymnaſium verließ (ohne Matu- ritätszeugniß, welches damals nur in Ausnahmsfällen erfor- derlich war), wurde beſchloſſen, daß er ſich hauptſächlich dem Studium der Zoologie und Anatomie widmen ſollte. Nur machte ihm der Vater zur Bedingung, daß er ſich an der mediziniſchen Facultät inſcribire und die rein mediziniſchen Fächer nicht ver- nachläſſige — ein Gebot verzeihlicher Vorſicht — dem der Sohn nicht widerſprach. Wenige Tage darauf verließ er Darmſtadt und das Elternhaus. Große Hoffnungen ſeiner Familie und eigene ſtolze Zuverſicht geleiteten ihn. Beides war wohlbegründet. Selten hat ein Jüngling ſo ernſt und tüchtig, mit ſo ſcharf geprägten Ueberzeugungen, mit ſolcher Zielbewußtheit bezüglich ſeines Berufes die Schule verlaſſen. Er wandte ſich nach Straßburg. An der mediziniſchen Facultät der dortigen "Academie" ſollte er nach dem Wunſche des Vaters jene Studien beginnen. Es war dies eine ſonder- bare und auffällige Beſtimmung, da der Zuzug von deutſchen Studenten an die längſt völlig galliſirte Anſtalt ſeit Jahrzehnten aufgehört hatte, und da deutſche Hochſchulen, welche dieſelbe an wiſſenſchaftlichem Ruf weit übertrafen, auch räumlich näher lagen. Aber die Vorliebe, welche Ernſt Büchner für franzö- ſiſches Weſen hegte, und der Wunſch, daß Georg das Franzö-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXXVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/52>, abgerufen am 30.04.2024.