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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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worden, ich kann und mag es nicht glauben. A. Becker
wird wohl von Gott und der Welt verlassen sein; seine
Mutter starb, während er in Gießen im Gefängniß saß,
vierzehn Tage darnach eröffnete man es ihm!!! Klemm *
ist ein Verräther, das ist gewiß, aber es ist mir doch immer,
als ob ich träumte, wenn ich daran denke. Wißt Ihr denn,
daß seine Schwester und seine Schwägerin ebenfalls verhaftet
und nach Darmstadt gebracht worden sind, und zwar höchst
wahrscheinlich auf seine eigne Aussage hin? Uebrigens gräbt
er sich sein eignes Grab; seinen Zweck, die Heirath mit
Fräulein v. ..... in Gießen, wird er doch nicht erreichen,
und die öffentliche Verachtung, die ihn unfehlbar trifft, wird
ihn tödten. Ich fürchte nur sehr, daß die bisherigen Ver-
haftungen nur das Vorspiel sind; es wird noch bunt her-
gehen. Die Regierung weiß sich nicht zu mäßigen; die
Vortheile, welche ihr die Zeitumstände in die Hand geben,
wird sie auf's Aeußerste mißbrauchen, und das ist sehr un-
klug und für uns sehr vortheilhaft. Auch der junge

* Stud. Gustav Klemm aus Lich, schon in das Frankfurter
Attentat verwickelt und deßwegen längere Zeit in Haft, aber am
20. Mai 1834 wieder freigegeben, nahm an der nun folgenden
Thätigkeit der geheimen Gesellschaften zur Verbreitung revolutionärer
Flugschriften lebhaften Antheil und legte bei seiner am 8. Mai 1835
erfolgten zweiten Verhaftung so umfassende und absichtliche Ge-
ständnisse über seine Mitschuldigen vor dem Untersuchungsrichter ab,
daß er in Berücksichtigung dieser Verdienste sowohl, als einer ge-
schwächten Gesundheit, schon am 23. August desselben Jahres wieder
freigelassen wurde (was damals bei keinem der sonstigen Ange-
schuldigten geschah) und von da an in fortwährender Relation mit
seinem Untersuchungsrichter blieb. -- Er lebte später, überall zurück-
gestoßen, an verschiedenen Orten. L. B.

worden, ich kann und mag es nicht glauben. A. Becker
wird wohl von Gott und der Welt verlaſſen ſein; ſeine
Mutter ſtarb, während er in Gießen im Gefängniß ſaß,
vierzehn Tage darnach eröffnete man es ihm!!! Klemm *
iſt ein Verräther, das iſt gewiß, aber es iſt mir doch immer,
als ob ich träumte, wenn ich daran denke. Wißt Ihr denn,
daß ſeine Schweſter und ſeine Schwägerin ebenfalls verhaftet
und nach Darmſtadt gebracht worden ſind, und zwar höchſt
wahrſcheinlich auf ſeine eigne Ausſage hin? Uebrigens gräbt
er ſich ſein eignes Grab; ſeinen Zweck, die Heirath mit
Fräulein v. ..... in Gießen, wird er doch nicht erreichen,
und die öffentliche Verachtung, die ihn unfehlbar trifft, wird
ihn tödten. Ich fürchte nur ſehr, daß die bisherigen Ver-
haftungen nur das Vorſpiel ſind; es wird noch bunt her-
gehen. Die Regierung weiß ſich nicht zu mäßigen; die
Vortheile, welche ihr die Zeitumſtände in die Hand geben,
wird ſie auf's Aeußerſte mißbrauchen, und das iſt ſehr un-
klug und für uns ſehr vortheilhaft. Auch der junge

* Stud. Guſtav Klemm aus Lich, ſchon in das Frankfurter
Attentat verwickelt und deßwegen längere Zeit in Haft, aber am
20. Mai 1834 wieder freigegeben, nahm an der nun folgenden
Thätigkeit der geheimen Geſellſchaften zur Verbreitung revolutionärer
Flugſchriften lebhaften Antheil und legte bei ſeiner am 8. Mai 1835
erfolgten zweiten Verhaftung ſo umfaſſende und abſichtliche Ge-
ſtändniſſe über ſeine Mitſchuldigen vor dem Unterſuchungsrichter ab,
daß er in Berückſichtigung dieſer Verdienſte ſowohl, als einer ge-
ſchwächten Geſundheit, ſchon am 23. Auguſt deſſelben Jahres wieder
freigelaſſen wurde (was damals bei keinem der ſonſtigen Ange-
ſchuldigten geſchah) und von da an in fortwährender Relation mit
ſeinem Unterſuchungsrichter blieb. — Er lebte ſpäter, überall zurück-
geſtoßen, an verſchiedenen Orten. L. B.
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[351/0547] worden, ich kann und mag es nicht glauben. A. Becker wird wohl von Gott und der Welt verlaſſen ſein; ſeine Mutter ſtarb, während er in Gießen im Gefängniß ſaß, vierzehn Tage darnach eröffnete man es ihm!!! Klemm * iſt ein Verräther, das iſt gewiß, aber es iſt mir doch immer, als ob ich träumte, wenn ich daran denke. Wißt Ihr denn, daß ſeine Schweſter und ſeine Schwägerin ebenfalls verhaftet und nach Darmſtadt gebracht worden ſind, und zwar höchſt wahrſcheinlich auf ſeine eigne Ausſage hin? Uebrigens gräbt er ſich ſein eignes Grab; ſeinen Zweck, die Heirath mit Fräulein v. ..... in Gießen, wird er doch nicht erreichen, und die öffentliche Verachtung, die ihn unfehlbar trifft, wird ihn tödten. Ich fürchte nur ſehr, daß die bisherigen Ver- haftungen nur das Vorſpiel ſind; es wird noch bunt her- gehen. Die Regierung weiß ſich nicht zu mäßigen; die Vortheile, welche ihr die Zeitumſtände in die Hand geben, wird ſie auf's Aeußerſte mißbrauchen, und das iſt ſehr un- klug und für uns ſehr vortheilhaft. Auch der junge * Stud. Guſtav Klemm aus Lich, ſchon in das Frankfurter Attentat verwickelt und deßwegen längere Zeit in Haft, aber am 20. Mai 1834 wieder freigegeben, nahm an der nun folgenden Thätigkeit der geheimen Geſellſchaften zur Verbreitung revolutionärer Flugſchriften lebhaften Antheil und legte bei ſeiner am 8. Mai 1835 erfolgten zweiten Verhaftung ſo umfaſſende und abſichtliche Ge- ſtändniſſe über ſeine Mitſchuldigen vor dem Unterſuchungsrichter ab, daß er in Berückſichtigung dieſer Verdienſte ſowohl, als einer ge- ſchwächten Geſundheit, ſchon am 23. Auguſt deſſelben Jahres wieder freigelaſſen wurde (was damals bei keinem der ſonſtigen Ange- ſchuldigten geſchah) und von da an in fortwährender Relation mit ſeinem Unterſuchungsrichter blieb. — Er lebte ſpäter, überall zurück- geſtoßen, an verſchiedenen Orten. L. B.

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/547>, abgerufen am 28.04.2024.