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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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dagegen kämpfen", aber vorläufig sei jede Erhebung aus-
sichtlos. Er theile eben nicht "die Verblendung Derer, welche
in den Deutschen ein zum Kampf für das Recht bereites
Volk sehen", das sei "eine tolle Meinung". Derselbe herbe
Radicalismus, gepaart mit klarer Erkenntniß der thatsäch-
lichen Verhältnisse und bitterstem Hohne gegen die Lächerlich-
keiten der eigenen Gesinnungsgenossen, spricht auch aus den
folgenden Briefen. An einen Ruf dumpfen Grolls über
die Soldateska (S. 329) schließt sich das satyrische, mit
derbem, aber treffendem Witz ausstaffirte Portrait eines St.
Simonisten (S. 330) und die bittere Bemerkung über den
monarchisch gesinnten Deputirten von Straßburg, Herrn
Saglio: "Es kümmerte sich Niemand um ihn. Eine banke-
rotte Ehrlichkeit ist heutzutage etwas zu Gemeines, als daß
ein Volksvertreter, der seinen Frack, wie ein Schandpfahl
auf dem Rücken trägt, noch Jemand interessiren könnte"
(S. 333). Wohl versichert er die Eltern wiederholt, (S.
331-32), daß er an keiner Versammlung theilnehmen und
sich in die "Gießener Winkelpolitik und die revolutionären
Kinderstreiche" nicht einlassen werde, aber auch den Grund
hiefür bleibt er nicht schuldig, und diese präcisen Sätze
können als das politische Programm seiner Straßburger
Jahre gelten: nur das nothwendige Bedürfniß der großen
Massen könne Umänderungen herbeiführen, alles Bewegen
und Schreien der Einzelnen sei vergebliches Thorenwerk.
(S. 331.)

Mitten zwischen solchen scharfen politischen Betrachtungen
finden sich auch friedliche und reizvolle Schilderungen, welche
ein so weiches, tiefes Empfinden verrathen, daß man sie
kaum demselben Geiste entsprossen glaubt. Der grimmige

dagegen kämpfen", aber vorläufig ſei jede Erhebung aus-
ſichtlos. Er theile eben nicht "die Verblendung Derer, welche
in den Deutſchen ein zum Kampf für das Recht bereites
Volk ſehen", das ſei "eine tolle Meinung". Derſelbe herbe
Radicalismus, gepaart mit klarer Erkenntniß der thatſäch-
lichen Verhältniſſe und bitterſtem Hohne gegen die Lächerlich-
keiten der eigenen Geſinnungsgenoſſen, ſpricht auch aus den
folgenden Briefen. An einen Ruf dumpfen Grolls über
die Soldateska (S. 329) ſchließt ſich das ſatyriſche, mit
derbem, aber treffendem Witz ausſtaffirte Portrait eines St.
Simoniſten (S. 330) und die bittere Bemerkung über den
monarchiſch geſinnten Deputirten von Straßburg, Herrn
Saglio: "Es kümmerte ſich Niemand um ihn. Eine banke-
rotte Ehrlichkeit iſt heutzutage etwas zu Gemeines, als daß
ein Volksvertreter, der ſeinen Frack, wie ein Schandpfahl
auf dem Rücken trägt, noch Jemand intereſſiren könnte"
(S. 333). Wohl verſichert er die Eltern wiederholt, (S.
331-32), daß er an keiner Verſammlung theilnehmen und
ſich in die "Gießener Winkelpolitik und die revolutionären
Kinderſtreiche" nicht einlaſſen werde, aber auch den Grund
hiefür bleibt er nicht ſchuldig, und dieſe präciſen Sätze
können als das politiſche Programm ſeiner Straßburger
Jahre gelten: nur das nothwendige Bedürfniß der großen
Maſſen könne Umänderungen herbeiführen, alles Bewegen
und Schreien der Einzelnen ſei vergebliches Thorenwerk.
(S. 331.)

Mitten zwiſchen ſolchen ſcharfen politiſchen Betrachtungen
finden ſich auch friedliche und reizvolle Schilderungen, welche
ein ſo weiches, tiefes Empfinden verrathen, daß man ſie
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[LVII/0073] dagegen kämpfen", aber vorläufig ſei jede Erhebung aus- ſichtlos. Er theile eben nicht "die Verblendung Derer, welche in den Deutſchen ein zum Kampf für das Recht bereites Volk ſehen", das ſei "eine tolle Meinung". Derſelbe herbe Radicalismus, gepaart mit klarer Erkenntniß der thatſäch- lichen Verhältniſſe und bitterſtem Hohne gegen die Lächerlich- keiten der eigenen Geſinnungsgenoſſen, ſpricht auch aus den folgenden Briefen. An einen Ruf dumpfen Grolls über die Soldateska (S. 329) ſchließt ſich das ſatyriſche, mit derbem, aber treffendem Witz ausſtaffirte Portrait eines St. Simoniſten (S. 330) und die bittere Bemerkung über den monarchiſch geſinnten Deputirten von Straßburg, Herrn Saglio: "Es kümmerte ſich Niemand um ihn. Eine banke- rotte Ehrlichkeit iſt heutzutage etwas zu Gemeines, als daß ein Volksvertreter, der ſeinen Frack, wie ein Schandpfahl auf dem Rücken trägt, noch Jemand intereſſiren könnte" (S. 333). Wohl verſichert er die Eltern wiederholt, (S. 331-32), daß er an keiner Verſammlung theilnehmen und ſich in die "Gießener Winkelpolitik und die revolutionären Kinderſtreiche" nicht einlaſſen werde, aber auch den Grund hiefür bleibt er nicht ſchuldig, und dieſe präciſen Sätze können als das politiſche Programm ſeiner Straßburger Jahre gelten: nur das nothwendige Bedürfniß der großen Maſſen könne Umänderungen herbeiführen, alles Bewegen und Schreien der Einzelnen ſei vergebliches Thorenwerk. (S. 331.) Mitten zwiſchen ſolchen ſcharfen politiſchen Betrachtungen finden ſich auch friedliche und reizvolle Schilderungen, welche ein ſo weiches, tiefes Empfinden verrathen, daß man ſie kaum demſelben Geiſte entſproſſen glaubt. Der grimmige

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/73>, abgerufen am 30.04.2024.