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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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daß die Beziehung sich während einer Krankheit Büchners
entspann und den Eltern verborgen blieb, aber über die
innere Natur des Verhältnisses geben die Briefe klaren Auf-
schluß. Es muß eine echte, tiefe Leidenschaft gewesen sein,
welche während der Trennung dem Liebenden so rührend
innige Worte auf die Lippen legte: "Du frägst mich: sehnst
Du Dich nach mir? Nennst du's Sehnen, wenn man nur
in einem Punkte leben kann, und wenn man davongerissen
ist und dann nur noch das Gefühl seines Elends hat!"
oder "Dein Schatten schwebt immer vor mir, wie das Licht-
zittern, wenn man in die Sonne gesehen!" Daß von dem
Mädchen die Leidenschaft mit gleicher Gluth erwidert wurde,
das beweist wohl am Schlagendsten der Umstand, daß sie
selbst dem Todten die Treue nicht gebrochen und unver-
mählt geblieben ist. Es war keine sentimentale Liebelei, und
Minna mit ihrer "inneren Glückseligkeit, göttlichen Unbe-
fangenheit und dem lieben Leichtsinn" war kein sentimentales
Mädchen, -- es war beiderseits eine rückhaltslose Hingabe
starker Herzen und darum mächtiger, als der Tod. Daß
der Beziehung bei aller gesunden Gluth der Jugend auch die
Weihe geistiger Verständigung nicht fehlte, daß Minna alle
Strebungen ihres Verlobten mit bewußter Klarheit verfolgte,
wird vielfach bestätigt; auch der Ton, in welchem Büchner
an sie schreibt, ist ein Beweis hiefür. Daß die Verlobten
damals noch ihr Geheimniß vor aller Welt, auch vor ihren
Eltern wahrten, erklärt sich nicht etwa aus der Furcht, ernst-
lichen Hindernissen zu begegnen: sie waren einander in jeder
Beziehung würdig und haben auch in der Folge keinen Wider-
stand zu beseitigen gehabt. Aber ihre Liebe mochte ihnen
als Geheimniß doppelt köstlich erscheinen, auch waren sie

daß die Beziehung ſich während einer Krankheit Büchners
entſpann und den Eltern verborgen blieb, aber über die
innere Natur des Verhältniſſes geben die Briefe klaren Auf-
ſchluß. Es muß eine echte, tiefe Leidenſchaft geweſen ſein,
welche während der Trennung dem Liebenden ſo rührend
innige Worte auf die Lippen legte: "Du frägſt mich: ſehnſt
Du Dich nach mir? Nennſt du's Sehnen, wenn man nur
in einem Punkte leben kann, und wenn man davongeriſſen
iſt und dann nur noch das Gefühl ſeines Elends hat!"
oder "Dein Schatten ſchwebt immer vor mir, wie das Licht-
zittern, wenn man in die Sonne geſehen!" Daß von dem
Mädchen die Leidenſchaft mit gleicher Gluth erwidert wurde,
das beweiſt wohl am Schlagendſten der Umſtand, daß ſie
ſelbſt dem Todten die Treue nicht gebrochen und unver-
mählt geblieben iſt. Es war keine ſentimentale Liebelei, und
Minna mit ihrer "inneren Glückſeligkeit, göttlichen Unbe-
fangenheit und dem lieben Leichtſinn" war kein ſentimentales
Mädchen, — es war beiderſeits eine rückhaltsloſe Hingabe
ſtarker Herzen und darum mächtiger, als der Tod. Daß
der Beziehung bei aller geſunden Gluth der Jugend auch die
Weihe geiſtiger Verſtändigung nicht fehlte, daß Minna alle
Strebungen ihres Verlobten mit bewußter Klarheit verfolgte,
wird vielfach beſtätigt; auch der Ton, in welchem Büchner
an ſie ſchreibt, iſt ein Beweis hiefür. Daß die Verlobten
damals noch ihr Geheimniß vor aller Welt, auch vor ihren
Eltern wahrten, erklärt ſich nicht etwa aus der Furcht, ernſt-
lichen Hinderniſſen zu begegnen: ſie waren einander in jeder
Beziehung würdig und haben auch in der Folge keinen Wider-
ſtand zu beſeitigen gehabt. Aber ihre Liebe mochte ihnen
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[LX/0076] daß die Beziehung ſich während einer Krankheit Büchners entſpann und den Eltern verborgen blieb, aber über die innere Natur des Verhältniſſes geben die Briefe klaren Auf- ſchluß. Es muß eine echte, tiefe Leidenſchaft geweſen ſein, welche während der Trennung dem Liebenden ſo rührend innige Worte auf die Lippen legte: "Du frägſt mich: ſehnſt Du Dich nach mir? Nennſt du's Sehnen, wenn man nur in einem Punkte leben kann, und wenn man davongeriſſen iſt und dann nur noch das Gefühl ſeines Elends hat!" oder "Dein Schatten ſchwebt immer vor mir, wie das Licht- zittern, wenn man in die Sonne geſehen!" Daß von dem Mädchen die Leidenſchaft mit gleicher Gluth erwidert wurde, das beweiſt wohl am Schlagendſten der Umſtand, daß ſie ſelbſt dem Todten die Treue nicht gebrochen und unver- mählt geblieben iſt. Es war keine ſentimentale Liebelei, und Minna mit ihrer "inneren Glückſeligkeit, göttlichen Unbe- fangenheit und dem lieben Leichtſinn" war kein ſentimentales Mädchen, — es war beiderſeits eine rückhaltsloſe Hingabe ſtarker Herzen und darum mächtiger, als der Tod. Daß der Beziehung bei aller geſunden Gluth der Jugend auch die Weihe geiſtiger Verſtändigung nicht fehlte, daß Minna alle Strebungen ihres Verlobten mit bewußter Klarheit verfolgte, wird vielfach beſtätigt; auch der Ton, in welchem Büchner an ſie ſchreibt, iſt ein Beweis hiefür. Daß die Verlobten damals noch ihr Geheimniß vor aller Welt, auch vor ihren Eltern wahrten, erklärt ſich nicht etwa aus der Furcht, ernſt- lichen Hinderniſſen zu begegnen: ſie waren einander in jeder Beziehung würdig und haben auch in der Folge keinen Wider- ſtand zu beſeitigen gehabt. Aber ihre Liebe mochte ihnen als Geheimniß doppelt köſtlich erſcheinen, auch waren ſie

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/76>, abgerufen am 30.04.2024.