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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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dieselbe Bewegung, die er schon aus der Ferne so richtig
taxirt und obwohl ihn die Nähe nur handgreiflich gelehrt,
was er in der Ferne blos geahnt. Es ist eine Wandlung,
die auf den ersten Blick verblüffend wirkt ...

Psychologische Prozesse lassen sich nicht klar und unan-
fechtbar darstellen, wie arithmetische Operationen. Man muß
sich begnügen, wenn man sie nur glaubhaft und begreiflich
zu machen vermag. So viel kann uns auch hier gelingen,
wenn wir die äußeren Verhältnisse in's Auge fassen.

Was Büchner in Gießen bedrückte, was ihm zumeist den
frischen Lebensmuth benahm, war der Wechsel in seinen
wissenschaftlichen Studien. Widrig und verfehlt erschien ihm
der Beruf, den er nun verfolgen mußte. Aeußerlich war
freilich kein Wechsel eingetreten: er war in Straßburg Stu-
dent der Medizin gewesen und setzte nun in der Heimath
dasselbe Studium fort. Um so greller war der innere Ab-
stand. Wir wissen, daß ihn sein Drang nur zu den Natur-
wissenschaften gezogen, keineswegs zur praktischen Medizin,
daß er sich mit Einwilligung seines Vaters dem Studium
der Zoologie und Anatomie widmete. Wenn er sich gleich-
wohl in Straßburg an der medizinischen Facultät inscribirte,
so geschah es einerseits deßhalb, weil die Naturwissenschaften
hauptsächlich an dieser Facultät tractirt wurden, andrerseits,
weil sich der Jüngling nebenbei vorsichtshalber nach dem
Wunsche des Vaters für den praktischen ärztlichen Beruf
ausbilden sollte. In den vier ersten Semestern ließen sich
beide Rücksichten leicht vereinigen, anders nun, wo die rein
medizinischen Fächer in den Vordergrund traten. Georg hatte
den Vater bei seiner Heimkehr aus Straßburg für seine Pläne
umzustimmen versucht; Dr. Büchner bestand auf seinem

dieſelbe Bewegung, die er ſchon aus der Ferne ſo richtig
taxirt und obwohl ihn die Nähe nur handgreiflich gelehrt,
was er in der Ferne blos geahnt. Es iſt eine Wandlung,
die auf den erſten Blick verblüffend wirkt ...

Pſychologiſche Prozeſſe laſſen ſich nicht klar und unan-
fechtbar darſtellen, wie arithmetiſche Operationen. Man muß
ſich begnügen, wenn man ſie nur glaubhaft und begreiflich
zu machen vermag. So viel kann uns auch hier gelingen,
wenn wir die äußeren Verhältniſſe in's Auge faſſen.

Was Büchner in Gießen bedrückte, was ihm zumeiſt den
friſchen Lebensmuth benahm, war der Wechſel in ſeinen
wiſſenſchaftlichen Studien. Widrig und verfehlt erſchien ihm
der Beruf, den er nun verfolgen mußte. Aeußerlich war
freilich kein Wechſel eingetreten: er war in Straßburg Stu-
dent der Medizin geweſen und ſetzte nun in der Heimath
daſſelbe Studium fort. Um ſo greller war der innere Ab-
ſtand. Wir wiſſen, daß ihn ſein Drang nur zu den Natur-
wiſſenſchaften gezogen, keineswegs zur praktiſchen Medizin,
daß er ſich mit Einwilligung ſeines Vaters dem Studium
der Zoologie und Anatomie widmete. Wenn er ſich gleich-
wohl in Straßburg an der mediziniſchen Facultät inſcribirte,
ſo geſchah es einerſeits deßhalb, weil die Naturwiſſenſchaften
hauptſächlich an dieſer Facultät tractirt wurden, andrerſeits,
weil ſich der Jüngling nebenbei vorſichtshalber nach dem
Wunſche des Vaters für den praktiſchen ärztlichen Beruf
ausbilden ſollte. In den vier erſten Semeſtern ließen ſich
beide Rückſichten leicht vereinigen, anders nun, wo die rein
mediziniſchen Fächer in den Vordergrund traten. Georg hatte
den Vater bei ſeiner Heimkehr aus Straßburg für ſeine Pläne
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[LXII/0078] dieſelbe Bewegung, die er ſchon aus der Ferne ſo richtig taxirt und obwohl ihn die Nähe nur handgreiflich gelehrt, was er in der Ferne blos geahnt. Es iſt eine Wandlung, die auf den erſten Blick verblüffend wirkt ... Pſychologiſche Prozeſſe laſſen ſich nicht klar und unan- fechtbar darſtellen, wie arithmetiſche Operationen. Man muß ſich begnügen, wenn man ſie nur glaubhaft und begreiflich zu machen vermag. So viel kann uns auch hier gelingen, wenn wir die äußeren Verhältniſſe in's Auge faſſen. Was Büchner in Gießen bedrückte, was ihm zumeiſt den friſchen Lebensmuth benahm, war der Wechſel in ſeinen wiſſenſchaftlichen Studien. Widrig und verfehlt erſchien ihm der Beruf, den er nun verfolgen mußte. Aeußerlich war freilich kein Wechſel eingetreten: er war in Straßburg Stu- dent der Medizin geweſen und ſetzte nun in der Heimath daſſelbe Studium fort. Um ſo greller war der innere Ab- ſtand. Wir wiſſen, daß ihn ſein Drang nur zu den Natur- wiſſenſchaften gezogen, keineswegs zur praktiſchen Medizin, daß er ſich mit Einwilligung ſeines Vaters dem Studium der Zoologie und Anatomie widmete. Wenn er ſich gleich- wohl in Straßburg an der mediziniſchen Facultät inſcribirte, ſo geſchah es einerſeits deßhalb, weil die Naturwiſſenſchaften hauptſächlich an dieſer Facultät tractirt wurden, andrerſeits, weil ſich der Jüngling nebenbei vorſichtshalber nach dem Wunſche des Vaters für den praktiſchen ärztlichen Beruf ausbilden ſollte. In den vier erſten Semeſtern ließen ſich beide Rückſichten leicht vereinigen, anders nun, wo die rein mediziniſchen Fächer in den Vordergrund traten. Georg hatte den Vater bei ſeiner Heimkehr aus Straßburg für ſeine Pläne umzuſtimmen verſucht; Dr. Büchner beſtand auf ſeinem

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/78>, abgerufen am 30.04.2024.