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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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gescholten, welchen er nach dem Frankfurter Putsch entfesselte,
aber auch für diesen selbst tragen in letzter Linie nur die
Metternich und Consorten die Verantwortung. Denn wer
die Geschichte Deutschlands im Beginn der dreißiger Jahre
kurz characterisiren wollte, könnte kein drastischeres Gleichniß
ersinnen, als das bekannte vom armen Wurm: er krümmt
sich, weil er getreten wird und wird getreten, weil er gewagt
hat, sich zu krümmen.

Dies gilt auch von der engeren Heimath Georg Büchners,
nur daß hier der Wurm unter dem Druck beinahe zur
Schlange wurde. Doch war im Anfang auch in Hessen
die Bewegung der Gemüther eine völlig ungefährliche: sie
richtete sich gegen Mißbräuche der Verwaltung, gegen Ueber-
griffe der Regierung, keineswegs gegen Fürst und Staat.
Am 6. April 1830 war der greise Ludwig I. verschieden,
ihm folgte sein Sohn, Ludwig II., bei Antritt der Regie-
rung bereits dreiundfünzigjährig und schon als Erbprinz
unter mannigfachen Conflicten mit den Ständen alt geworden,
welche sich nun natürlich verschärften und acut wurden.
Während das Großherzogthum, wie erwähnt, unter dem
Druck unerhörter Armuth verschmachtete, während der Pariser
Barricadenkampf dem Fürsten eine nicht leicht überhörbare
Mahnung in die Ohren donnerte, forderte Ludwig II. als
erste Regierungshandlung von den Ständen die Zahlung
seiner, schier durch vier Jahrzehnte aufgesammelten Privat-
schulden. Man wird wohl bei ruhiger Betrachtung das
Urtheil, welches Georg Büchner 1834 über diese Hand-
lungsweise gefällt (S. 272 ff.) zu hart finden, zugeben wird
man, daß sie geeignet war, die Opposition im Lande wach
zu rufen und zu verbittern -- dies Letztere um so mehr,

G. Büchners Werke. f

geſcholten, welchen er nach dem Frankfurter Putſch entfeſſelte,
aber auch für dieſen ſelbſt tragen in letzter Linie nur die
Metternich und Conſorten die Verantwortung. Denn wer
die Geſchichte Deutſchlands im Beginn der dreißiger Jahre
kurz characteriſiren wollte, könnte kein draſtiſcheres Gleichniß
erſinnen, als das bekannte vom armen Wurm: er krümmt
ſich, weil er getreten wird und wird getreten, weil er gewagt
hat, ſich zu krümmen.

Dies gilt auch von der engeren Heimath Georg Büchners,
nur daß hier der Wurm unter dem Druck beinahe zur
Schlange wurde. Doch war im Anfang auch in Heſſen
die Bewegung der Gemüther eine völlig ungefährliche: ſie
richtete ſich gegen Mißbräuche der Verwaltung, gegen Ueber-
griffe der Regierung, keineswegs gegen Fürſt und Staat.
Am 6. April 1830 war der greiſe Ludwig I. verſchieden,
ihm folgte ſein Sohn, Ludwig II., bei Antritt der Regie-
rung bereits dreiundfünzigjährig und ſchon als Erbprinz
unter mannigfachen Conflicten mit den Ständen alt geworden,
welche ſich nun natürlich verſchärften und acut wurden.
Während das Großherzogthum, wie erwähnt, unter dem
Druck unerhörter Armuth verſchmachtete, während der Pariſer
Barricadenkampf dem Fürſten eine nicht leicht überhörbare
Mahnung in die Ohren donnerte, forderte Ludwig II. als
erſte Regierungshandlung von den Ständen die Zahlung
ſeiner, ſchier durch vier Jahrzehnte aufgeſammelten Privat-
ſchulden. Man wird wohl bei ruhiger Betrachtung das
Urtheil, welches Georg Büchner 1834 über dieſe Hand-
lungsweiſe gefällt (S. 272 ff.) zu hart finden, zugeben wird
man, daß ſie geeignet war, die Oppoſition im Lande wach
zu rufen und zu verbittern — dies Letztere um ſo mehr,

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[LXXXI/0097] geſcholten, welchen er nach dem Frankfurter Putſch entfeſſelte, aber auch für dieſen ſelbſt tragen in letzter Linie nur die Metternich und Conſorten die Verantwortung. Denn wer die Geſchichte Deutſchlands im Beginn der dreißiger Jahre kurz characteriſiren wollte, könnte kein draſtiſcheres Gleichniß erſinnen, als das bekannte vom armen Wurm: er krümmt ſich, weil er getreten wird und wird getreten, weil er gewagt hat, ſich zu krümmen. Dies gilt auch von der engeren Heimath Georg Büchners, nur daß hier der Wurm unter dem Druck beinahe zur Schlange wurde. Doch war im Anfang auch in Heſſen die Bewegung der Gemüther eine völlig ungefährliche: ſie richtete ſich gegen Mißbräuche der Verwaltung, gegen Ueber- griffe der Regierung, keineswegs gegen Fürſt und Staat. Am 6. April 1830 war der greiſe Ludwig I. verſchieden, ihm folgte ſein Sohn, Ludwig II., bei Antritt der Regie- rung bereits dreiundfünzigjährig und ſchon als Erbprinz unter mannigfachen Conflicten mit den Ständen alt geworden, welche ſich nun natürlich verſchärften und acut wurden. Während das Großherzogthum, wie erwähnt, unter dem Druck unerhörter Armuth verſchmachtete, während der Pariſer Barricadenkampf dem Fürſten eine nicht leicht überhörbare Mahnung in die Ohren donnerte, forderte Ludwig II. als erſte Regierungshandlung von den Ständen die Zahlung ſeiner, ſchier durch vier Jahrzehnte aufgeſammelten Privat- ſchulden. Man wird wohl bei ruhiger Betrachtung das Urtheil, welches Georg Büchner 1834 über dieſe Hand- lungsweiſe gefällt (S. 272 ff.) zu hart finden, zugeben wird man, daß ſie geeignet war, die Oppoſition im Lande wach zu rufen und zu verbittern — dies Letztere um ſo mehr, G. Büchners Werke. f

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/97>, abgerufen am 30.04.2024.