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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Römische Basiliken des IV. bis VII. Jahrhunderts.

S. Paul (IV. Jahrhundert) wird mit seinen jetzigen Säulen von Sim-a
plongranit und mit seinen höchst colossalen Verhältnissen das Wesent-
liche des Eindruckes einer Basilica ersten Ranges immer am getreu-
sten wiedergeben, leider getrübt durch die höchst willkürliche moderne
Decoration des Querschiffes (und, wir fürchten, auch des Langbaues,
wenn derselbe vollendet sein wird). Man halte sich an die Räumlich-
keit und die Hauptformen.

S. Maria maggiore (V. Jahrhundert) mit wahrscheinlichb
eigens gearbeiteten, nicht entlehnten ionischen Säulen und geradem
Gebälk. Die Pilaster der Oberwand sind in ihrer jetzigen Gestalt und
vielleicht überhaupt modern, die Apsis im XIII. Jahrhundert umge-
baut. Die schöne, feierliche Wirkung beruht wesentlich auf dem aus-
schliesslichen Oberlicht. Die (beste vorhandene) Renaissancedecke vom
Ende des XV. Jahrhunderts.

S. Sabina (V. Jahrhundert) ebenfalls von schönem, ursprüngli-c
chem Eindruck, der nur wenig gestört wird. Die Vorhalle gegen das
Kloster hin im XII. Jahrhundert so gestaltet, wie sie jetzt ist.

S. Pietro in vincoli (V. Jahrhundert) hat durch den Umbaud
der Obermauer des Mittelschiffes seine alte Herrlichkeit eingebüsst,
von der noch die mächtige Apsis und die Anordnung des Querschiffes
Zeugniss geben. -- S. Prisca (V. Jahrhundert?) zeigt wenigstens noche
die alte Disposition.

San Lorenzo fuori le mura gewährt in seinem ältern Theilf
(VI. Jahrhundert) zunächst eine reiche Sammlung antiker Baufragmente,
selbst aus der besten Zeit. Diese ältere Kirche, zweistöckig, unten mit ge-
radem Gebälk, oben mit Bogen, hatte ihre Nische da, wo im XIII. Jahr-
hundert die neuere Kirche, welcher sie jetzt als Chor dient, angebaut
wurde. Bei diesem Anlass wurde ihr ursprünglicher Boden, der sonst
tiefer als die neue Kirche gelegen hätte, beträchtlich erhöht und mit
Balustraden im sog. Cosmatenstyl (s. unten) versehen. Der Werth ist
wesentlich ein malerisch-phantastischer.

S. Agnese, eine Miglie vor Porta Pia (VII. Jahrhundert) giebtg
den Eindruck einer Basilica mit Obergeschoss am schönsten und rein-
sten; die Halle ist hier wie in S. Lorenzo als nothwendiger Verbin-
dungsgang für das obere Stockwerk auch vorn herumgeführt. Unter
den antiken Säulen sind zwei mit vielfach profilirter Cannelirung auf-

B. Cicerone. 6
Römische Basiliken des IV. bis VII. Jahrhunderts.

S. Paul (IV. Jahrhundert) wird mit seinen jetzigen Säulen von Sim-a
plongranit und mit seinen höchst colossalen Verhältnissen das Wesent-
liche des Eindruckes einer Basilica ersten Ranges immer am getreu-
sten wiedergeben, leider getrübt durch die höchst willkürliche moderne
Decoration des Querschiffes (und, wir fürchten, auch des Langbaues,
wenn derselbe vollendet sein wird). Man halte sich an die Räumlich-
keit und die Hauptformen.

S. Maria maggiore (V. Jahrhundert) mit wahrscheinlichb
eigens gearbeiteten, nicht entlehnten ionischen Säulen und geradem
Gebälk. Die Pilaster der Oberwand sind in ihrer jetzigen Gestalt und
vielleicht überhaupt modern, die Apsis im XIII. Jahrhundert umge-
baut. Die schöne, feierliche Wirkung beruht wesentlich auf dem aus-
schliesslichen Oberlicht. Die (beste vorhandene) Renaissancedecke vom
Ende des XV. Jahrhunderts.

S. Sabina (V. Jahrhundert) ebenfalls von schönem, ursprüngli-c
chem Eindruck, der nur wenig gestört wird. Die Vorhalle gegen das
Kloster hin im XII. Jahrhundert so gestaltet, wie sie jetzt ist.

S. Pietro in vincoli (V. Jahrhundert) hat durch den Umbaud
der Obermauer des Mittelschiffes seine alte Herrlichkeit eingebüsst,
von der noch die mächtige Apsis und die Anordnung des Querschiffes
Zeugniss geben. — S. Prisca (V. Jahrhundert?) zeigt wenigstens noche
die alte Disposition.

San Lorenzo fuori le mura gewährt in seinem ältern Theilf
(VI. Jahrhundert) zunächst eine reiche Sammlung antiker Baufragmente,
selbst aus der besten Zeit. Diese ältere Kirche, zweistöckig, unten mit ge-
radem Gebälk, oben mit Bogen, hatte ihre Nische da, wo im XIII. Jahr-
hundert die neuere Kirche, welcher sie jetzt als Chor dient, angebaut
wurde. Bei diesem Anlass wurde ihr ursprünglicher Boden, der sonst
tiefer als die neue Kirche gelegen hätte, beträchtlich erhöht und mit
Balustraden im sog. Cosmatenstyl (s. unten) versehen. Der Werth ist
wesentlich ein malerisch-phantastischer.

S. Agnese, eine Miglie vor Porta Pia (VII. Jahrhundert) giebtg
den Eindruck einer Basilica mit Obergeschoss am schönsten und rein-
sten; die Halle ist hier wie in S. Lorenzo als nothwendiger Verbin-
dungsgang für das obere Stockwerk auch vorn herumgeführt. Unter
den antiken Säulen sind zwei mit vielfach profilirter Cannelirung auf-

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[81/0103] Römische Basiliken des IV. bis VII. Jahrhunderts. S. Paul (IV. Jahrhundert) wird mit seinen jetzigen Säulen von Sim- plongranit und mit seinen höchst colossalen Verhältnissen das Wesent- liche des Eindruckes einer Basilica ersten Ranges immer am getreu- sten wiedergeben, leider getrübt durch die höchst willkürliche moderne Decoration des Querschiffes (und, wir fürchten, auch des Langbaues, wenn derselbe vollendet sein wird). Man halte sich an die Räumlich- keit und die Hauptformen. a S. Maria maggiore (V. Jahrhundert) mit wahrscheinlich eigens gearbeiteten, nicht entlehnten ionischen Säulen und geradem Gebälk. Die Pilaster der Oberwand sind in ihrer jetzigen Gestalt und vielleicht überhaupt modern, die Apsis im XIII. Jahrhundert umge- baut. Die schöne, feierliche Wirkung beruht wesentlich auf dem aus- schliesslichen Oberlicht. Die (beste vorhandene) Renaissancedecke vom Ende des XV. Jahrhunderts. b S. Sabina (V. Jahrhundert) ebenfalls von schönem, ursprüngli- chem Eindruck, der nur wenig gestört wird. Die Vorhalle gegen das Kloster hin im XII. Jahrhundert so gestaltet, wie sie jetzt ist. c S. Pietro in vincoli (V. Jahrhundert) hat durch den Umbau der Obermauer des Mittelschiffes seine alte Herrlichkeit eingebüsst, von der noch die mächtige Apsis und die Anordnung des Querschiffes Zeugniss geben. — S. Prisca (V. Jahrhundert?) zeigt wenigstens noch die alte Disposition. d e San Lorenzo fuori le mura gewährt in seinem ältern Theil (VI. Jahrhundert) zunächst eine reiche Sammlung antiker Baufragmente, selbst aus der besten Zeit. Diese ältere Kirche, zweistöckig, unten mit ge- radem Gebälk, oben mit Bogen, hatte ihre Nische da, wo im XIII. Jahr- hundert die neuere Kirche, welcher sie jetzt als Chor dient, angebaut wurde. Bei diesem Anlass wurde ihr ursprünglicher Boden, der sonst tiefer als die neue Kirche gelegen hätte, beträchtlich erhöht und mit Balustraden im sog. Cosmatenstyl (s. unten) versehen. Der Werth ist wesentlich ein malerisch-phantastischer. f S. Agnese, eine Miglie vor Porta Pia (VII. Jahrhundert) giebt den Eindruck einer Basilica mit Obergeschoss am schönsten und rein- sten; die Halle ist hier wie in S. Lorenzo als nothwendiger Verbin- dungsgang für das obere Stockwerk auch vorn herumgeführt. Unter den antiken Säulen sind zwei mit vielfach profilirter Cannelirung auf- g B. Cicerone. 6

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/103>, abgerufen am 04.05.2024.