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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Werth derselben.

Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es
ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter
Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an
irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere
auszudenken; gewiss eine der edelsten Thätigkeiten, zu welchen der
Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann.


Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig
sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare
desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem
Beinamen des "Berühmten" (periboetos), der sich in allen Sammlun-
gen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für
Manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die
Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt,
die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzel-
bildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich
Jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen.

Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und
Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend
einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss
nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe
der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen
von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren
vermehrt worden.

Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto
gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be-
handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft
und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den
heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler,
z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung waren oft
nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch
mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden,
welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte.
Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen,
sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden,

Werth derselben.

Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es
ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter
Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an
irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere
auszudenken; gewiss eine der edelsten Thätigkeiten, zu welchen der
Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann.


Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig
sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare
desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem
Beinamen des „Berühmten“ (periboetos), der sich in allen Sammlun-
gen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für
Manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die
Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt,
die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzel-
bildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich
Jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen.

Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und
Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend
einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss
nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe
der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen
von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren
vermehrt worden.

Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto
gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be-
handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft
und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den
heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler,
z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung waren oft
nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch
mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden,
welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte.
Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen,
sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden,

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[413/0435] Werth derselben. Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere auszudenken; gewiss eine der edelsten Thätigkeiten, zu welchen der Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann. Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem Beinamen des „Berühmten“ (periboetos), der sich in allen Sammlun- gen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für Manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt, die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzel- bildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich Jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen. Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren vermehrt worden. Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be- handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler, z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung waren oft nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden, welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte. Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen, sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/435>, abgerufen am 15.06.2024.