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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
auch die Art der Verbindung damit noch nicht genügend abgeklärt
ist, namentlich die Frage, ob ein solcher Staatenbund im Verhältnis
zu anderen Staaten, wie im Verhältnis zu seinen Gliedern, als juri-
stische Person, als Einheit der gesamten Hand, als schlichtes Vertrags-
verhältnis oder als Gebilde sui generis zu betrachten ist (S. 386).
Die Charakterisierung des Gegenstückes aber, des Bundesstaates,
als eine verfassungsrechtliche, staatsrechtliche Verbindung mehrerer
Staaten zu einem Gesamtstaat hebt wohl mit derselben Klarheit
den Gegensatz zum Staatenbund hervor: die staatsrechtliche, nicht
völkerrechtliche Natur des Gebildes, den verfassungsrechtlichen
Charakter des Bandes, welches die Gliedstaaten umschlingt; aber
sie läßt das staatsrechtliche Problem ungelöst, wie es möglich ist,
daß das Ganze ein Staat sei und auch die Teile dieses Ganzen;
oder, nach einer anderen Zergliederung, daß ein staatliches Ge-
bilde zusammengesetzt sei aus zwei Staaten, dem Zentral- oder
Gesamtstaat und den Gliedstaaten, derart daß auf ein und dem-
selben Gebiete, für ein und dasselbe Volk, je zwei staatliche
Organisationen bestehen, die zentrale und die gliedstaatliche.

Es sollen hier nicht alle Versuche dargestellt werden, die ge-
macht worden sind, um dieses Problem zu lösen1. Eine schematische
Übersicht der Gegensätze genügt, um zu zeigen, daß keine Lösung
gelingt, welche für den einzelnen Angehörigen des Bundesstaates
mehr als einen staatlichen Organismus gelten läßt; welche also
gerade das wahren will, was die charakteristische Eigenart des
Bundesstaates ausmachen soll: die Zusammensetzung eines Staates
aus mehreren anderen Staaten.

Die Erörterung dreht sich um den Begriff der Souveränität:
Ist die Souveränität teilbar, und, wenn sie nicht teilbar ist, wem
steht sie zu, dem Zentralorganismus oder den territorialen Orga-
nismen, den Gliedern oder dem Ganzen? Und wenn sie nur einem,
dem Zentralstaat oder dem Gliedstaat zusteht, ist der andere
dennoch ein Staat; mit anderen Worten: ist die Souveränität
ein wesentliches Merkmal des Staates oder kann es auch nicht-

1 Es sei verwiesen auf die Arbeiten von Brie, Der Bundesstaat,
I. Abt. (1874); Theorie der Staatenverbindungen (1886); Laband, Staats-
recht des Deutschen Reichs, 5. A., I 62 ff.; Burckhardt, Kommentar der
Schweizer. Bundesverfassung, 2. A., 11; Carre de Malberg, Contribution
a la theorie generale de l'Etat I (1920) 95 ff.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
auch die Art der Verbindung damit noch nicht genügend abgeklärt
ist, namentlich die Frage, ob ein solcher Staatenbund im Verhältnis
zu anderen Staaten, wie im Verhältnis zu seinen Gliedern, als juri-
stische Person, als Einheit der gesamten Hand, als schlichtes Vertrags-
verhältnis oder als Gebilde sui generis zu betrachten ist (S. 386).
Die Charakterisierung des Gegenstückes aber, des Bundesstaates,
als eine verfassungsrechtliche, staatsrechtliche Verbindung mehrerer
Staaten zu einem Gesamtstaat hebt wohl mit derselben Klarheit
den Gegensatz zum Staatenbund hervor: die staatsrechtliche, nicht
völkerrechtliche Natur des Gebildes, den verfassungsrechtlichen
Charakter des Bandes, welches die Gliedstaaten umschlingt; aber
sie läßt das staatsrechtliche Problem ungelöst, wie es möglich ist,
daß das Ganze ein Staat sei und auch die Teile dieses Ganzen;
oder, nach einer anderen Zergliederung, daß ein staatliches Ge-
bilde zusammengesetzt sei aus zwei Staaten, dem Zentral- oder
Gesamtstaat und den Gliedstaaten, derart daß auf ein und dem-
selben Gebiete, für ein und dasselbe Volk, je zwei staatliche
Organisationen bestehen, die zentrale und die gliedstaatliche.

Es sollen hier nicht alle Versuche dargestellt werden, die ge-
macht worden sind, um dieses Problem zu lösen1. Eine schematische
Übersicht der Gegensätze genügt, um zu zeigen, daß keine Lösung
gelingt, welche für den einzelnen Angehörigen des Bundesstaates
mehr als einen staatlichen Organismus gelten läßt; welche also
gerade das wahren will, was die charakteristische Eigenart des
Bundesstaates ausmachen soll: die Zusammensetzung eines Staates
aus mehreren anderen Staaten.

Die Erörterung dreht sich um den Begriff der Souveränität:
Ist die Souveränität teilbar, und, wenn sie nicht teilbar ist, wem
steht sie zu, dem Zentralorganismus oder den territorialen Orga-
nismen, den Gliedern oder dem Ganzen? Und wenn sie nur einem,
dem Zentralstaat oder dem Gliedstaat zusteht, ist der andere
dennoch ein Staat; mit anderen Worten: ist die Souveränität
ein wesentliches Merkmal des Staates oder kann es auch nicht-

1 Es sei verwiesen auf die Arbeiten von Brie, Der Bundesstaat,
I. Abt. (1874); Theorie der Staatenverbindungen (1886); Laband, Staats-
recht des Deutschen Reichs, 5. A., I 62 ff.; Burckhardt, Kommentar der
Schweizer. Bundesverfassung, 2. A., 11; Carré de Malberg, Contribution
à la théorie générale de l'Etat I (1920) 95 ff.
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[154/0169] II. Teil. Die staatliche Verfassung. auch die Art der Verbindung damit noch nicht genügend abgeklärt ist, namentlich die Frage, ob ein solcher Staatenbund im Verhältnis zu anderen Staaten, wie im Verhältnis zu seinen Gliedern, als juri- stische Person, als Einheit der gesamten Hand, als schlichtes Vertrags- verhältnis oder als Gebilde sui generis zu betrachten ist (S. 386). Die Charakterisierung des Gegenstückes aber, des Bundesstaates, als eine verfassungsrechtliche, staatsrechtliche Verbindung mehrerer Staaten zu einem Gesamtstaat hebt wohl mit derselben Klarheit den Gegensatz zum Staatenbund hervor: die staatsrechtliche, nicht völkerrechtliche Natur des Gebildes, den verfassungsrechtlichen Charakter des Bandes, welches die Gliedstaaten umschlingt; aber sie läßt das staatsrechtliche Problem ungelöst, wie es möglich ist, daß das Ganze ein Staat sei und auch die Teile dieses Ganzen; oder, nach einer anderen Zergliederung, daß ein staatliches Ge- bilde zusammengesetzt sei aus zwei Staaten, dem Zentral- oder Gesamtstaat und den Gliedstaaten, derart daß auf ein und dem- selben Gebiete, für ein und dasselbe Volk, je zwei staatliche Organisationen bestehen, die zentrale und die gliedstaatliche. Es sollen hier nicht alle Versuche dargestellt werden, die ge- macht worden sind, um dieses Problem zu lösen 1. Eine schematische Übersicht der Gegensätze genügt, um zu zeigen, daß keine Lösung gelingt, welche für den einzelnen Angehörigen des Bundesstaates mehr als einen staatlichen Organismus gelten läßt; welche also gerade das wahren will, was die charakteristische Eigenart des Bundesstaates ausmachen soll: die Zusammensetzung eines Staates aus mehreren anderen Staaten. Die Erörterung dreht sich um den Begriff der Souveränität: Ist die Souveränität teilbar, und, wenn sie nicht teilbar ist, wem steht sie zu, dem Zentralorganismus oder den territorialen Orga- nismen, den Gliedern oder dem Ganzen? Und wenn sie nur einem, dem Zentralstaat oder dem Gliedstaat zusteht, ist der andere dennoch ein Staat; mit anderen Worten: ist die Souveränität ein wesentliches Merkmal des Staates oder kann es auch nicht- 1 Es sei verwiesen auf die Arbeiten von Brie, Der Bundesstaat, I. Abt. (1874); Theorie der Staatenverbindungen (1886); Laband, Staats- recht des Deutschen Reichs, 5. A., I 62 ff.; Burckhardt, Kommentar der Schweizer. Bundesverfassung, 2. A., 11; Carré de Malberg, Contribution à la théorie générale de l'Etat I (1920) 95 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/169>, abgerufen am 26.04.2024.