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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Geltung des Rechts.
gabtesten Völker, die Römer und die Engländer, zähe an der
einmal geltenden Verfassung festgehalten, mit Hilfe der Fiktion,
daß sie trotz aller Umbildung nicht geändert werde, um nicht
die Verfassung und ihre Begründung von vorne anfangen zu
müssen, während andere Völker immer über die beste Verfassung
räsonieren.
Mit der grundlegenden Bedeutung des organisatorischen
Rahmens, im Verhältnis zu dem materiellen Recht, zu dessen
Bildung und Verwirklichung er dient, hängt auch zusammen die
Lehre von der Staatsräson (Machiavelli) und des Staatsnotrechtes;
es ist die Rechtfertigung des rechtswidrigen Gebrauches der ein-
mal gegebenen Staatsmacht. Dieser, der eigenen Rechtsordnung
widerstrebende Gebrauch der Macht soll nämlich gerechtfertigt
werden aus dem Bestreben, den einmal machthabenden Personen
diese für die Erhaltung der staatlichen Ordnung unentbehrliche
Macht sicherzustellen, um sie nachher wieder dem geltenden
Rechte dienstbar zu machen. Juristisch ist die Rechtfertigung
unmöglich; aber politisch kann sie unter Umständen wohl be-
gründet sein1. Denn es können Umstände eintreten, wo der
verantwortliche Staatsmann sich sagen muß: welchen Sinn hat
es, die Staatsordnung im einzelnen, z. B. in der Gewähr-
leistung der persönlichen Freiheit, einzuhalten, wenn der Staat,
und damit auch die ganze Rechtsordnung, in Trümmer geht?
Andere Ansichten. Wenn das oben Ausgeführte richtig ist,
ist die Geltung eine Tatsache, die zwar der Begründung bedarf,
aber nicht begründet werden kann. Dieser Ansicht stehen andere
gegenüber, welche versuchen, die Geltung des gerade geltenden
Rechts zu begründen. Es ist nicht möglich, sie hier im einzelnen
darzustellen; es ist auch nicht nötig. Es genügt, den Grundsatz
der verschiedenen Begründungsarten in schematischer Gegenüber-
stellung zu betrachten, um einzusehen, daß keine dieser Auffas-
sungen stichhält.

1 Vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 90; Levy, Archiv für
öffentliches Recht (1924) 180; über die Geschichte dieser Lehre: Meinecke,
Die Idee der Staatsräson, 2. A. (1925). -- Die Staatsräson wird auch dem
Völkerrecht gegenüber angerufen und ist hier anders zu beurteilen; vgl.
unten S. 354 ff.
Burckhardt, Organisation. 13

Die Geltung des Rechts.
gabtesten Völker, die Römer und die Engländer, zähe an der
einmal geltenden Verfassung festgehalten, mit Hilfe der Fiktion,
daß sie trotz aller Umbildung nicht geändert werde, um nicht
die Verfassung und ihre Begründung von vorne anfangen zu
müssen, während andere Völker immer über die beste Verfassung
räsonieren.
Mit der grundlegenden Bedeutung des organisatorischen
Rahmens, im Verhältnis zu dem materiellen Recht, zu dessen
Bildung und Verwirklichung er dient, hängt auch zusammen die
Lehre von der Staatsräson (Machiavelli) und des Staatsnotrechtes;
es ist die Rechtfertigung des rechtswidrigen Gebrauches der ein-
mal gegebenen Staatsmacht. Dieser, der eigenen Rechtsordnung
widerstrebende Gebrauch der Macht soll nämlich gerechtfertigt
werden aus dem Bestreben, den einmal machthabenden Personen
diese für die Erhaltung der staatlichen Ordnung unentbehrliche
Macht sicherzustellen, um sie nachher wieder dem geltenden
Rechte dienstbar zu machen. Juristisch ist die Rechtfertigung
unmöglich; aber politisch kann sie unter Umständen wohl be-
gründet sein1. Denn es können Umstände eintreten, wo der
verantwortliche Staatsmann sich sagen muß: welchen Sinn hat
es, die Staatsordnung im einzelnen, z. B. in der Gewähr-
leistung der persönlichen Freiheit, einzuhalten, wenn der Staat,
und damit auch die ganze Rechtsordnung, in Trümmer geht?
Andere Ansichten. Wenn das oben Ausgeführte richtig ist,
ist die Geltung eine Tatsache, die zwar der Begründung bedarf,
aber nicht begründet werden kann. Dieser Ansicht stehen andere
gegenüber, welche versuchen, die Geltung des gerade geltenden
Rechts zu begründen. Es ist nicht möglich, sie hier im einzelnen
darzustellen; es ist auch nicht nötig. Es genügt, den Grundsatz
der verschiedenen Begründungsarten in schematischer Gegenüber-
stellung zu betrachten, um einzusehen, daß keine dieser Auffas-
sungen stichhält.

1 Vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 90; Levy, Archiv für
öffentliches Recht (1924) 180; über die Geschichte dieser Lehre: Meinecke,
Die Idee der Staatsräson, 2. A. (1925). — Die Staatsräson wird auch dem
Völkerrecht gegenüber angerufen und ist hier anders zu beurteilen; vgl.
unten S. 354 ff.
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[193/0208] Die Geltung des Rechts. gabtesten Völker, die Römer und die Engländer, zähe an der einmal geltenden Verfassung festgehalten, mit Hilfe der Fiktion, daß sie trotz aller Umbildung nicht geändert werde, um nicht die Verfassung und ihre Begründung von vorne anfangen zu müssen, während andere Völker immer über die beste Verfassung räsonieren. Mit der grundlegenden Bedeutung des organisatorischen Rahmens, im Verhältnis zu dem materiellen Recht, zu dessen Bildung und Verwirklichung er dient, hängt auch zusammen die Lehre von der Staatsräson (Machiavelli) und des Staatsnotrechtes; es ist die Rechtfertigung des rechtswidrigen Gebrauches der ein- mal gegebenen Staatsmacht. Dieser, der eigenen Rechtsordnung widerstrebende Gebrauch der Macht soll nämlich gerechtfertigt werden aus dem Bestreben, den einmal machthabenden Personen diese für die Erhaltung der staatlichen Ordnung unentbehrliche Macht sicherzustellen, um sie nachher wieder dem geltenden Rechte dienstbar zu machen. Juristisch ist die Rechtfertigung unmöglich; aber politisch kann sie unter Umständen wohl be- gründet sein 1. Denn es können Umstände eintreten, wo der verantwortliche Staatsmann sich sagen muß: welchen Sinn hat es, die Staatsordnung im einzelnen, z. B. in der Gewähr- leistung der persönlichen Freiheit, einzuhalten, wenn der Staat, und damit auch die ganze Rechtsordnung, in Trümmer geht? Andere Ansichten. Wenn das oben Ausgeführte richtig ist, ist die Geltung eine Tatsache, die zwar der Begründung bedarf, aber nicht begründet werden kann. Dieser Ansicht stehen andere gegenüber, welche versuchen, die Geltung des gerade geltenden Rechts zu begründen. Es ist nicht möglich, sie hier im einzelnen darzustellen; es ist auch nicht nötig. Es genügt, den Grundsatz der verschiedenen Begründungsarten in schematischer Gegenüber- stellung zu betrachten, um einzusehen, daß keine dieser Auffas- sungen stichhält. 1 Vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 90; Levy, Archiv für öffentliches Recht (1924) 180; über die Geschichte dieser Lehre: Meinecke, Die Idee der Staatsräson, 2. A. (1925). — Die Staatsräson wird auch dem Völkerrecht gegenüber angerufen und ist hier anders zu beurteilen; vgl. unten S. 354 ff. Burckhardt, Organisation. 13

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/208>, abgerufen am 29.04.2024.