Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite
Die privaten Verbände.

Davon ist aber wohl zu unterscheiden der Gegensatz von ob-
jektiv-notwendigem und subjektiv-zufälligem Rechtszustand.
Was von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist und unbedingt ge-
schehen soll, kann in genereller Abstraktheit und individueller
Konkretheit angeordnet sein (als rechtssetzende und als rechts-
anwendende Anordnung). Und was durch die zufällige Ent-
schließung Privater, durch Rechtsgeschäft entsteht, kann eben-
falls in abstrakten Regeln bestehen, die gelten wollen und für ge-
nerell bestimmte Fälle unter den vorgesehenen Voraussetzungen
zur Anwendung kommen und dann konkrete Pflichten ergeben.
Ein Genossenschaftsstatut, eine Fabrikordnung, eine Benutzungs-
ordnung unter Miteigentümern stellt solche Regeln auf. Aber auch
jeder Vertrag kann es tun, sofern er für Fälle bestimmt, die ab-
strakt umschrieben werden: zwischen einem Vermieter und einem
Mieter besteht die Abmachung, daß alle kleineren Schäden vom
Vermieter, alle größeren vom Vermieter auf Anzeige hin auszu-
bessern sind, eine abstrakte und, wenn man will, eine rechtssetzende
Anordnung, insofern als diese vertragliche Lex zur Grundlage für
die Entscheidung der konkreten Schadensfälle genommen werden
muß. Im Verhältnis zu dieser vertraglichen Vorschrift ist die
Entscheidung des konkreten Anspruches auf Ausbesserung Rechts-
anwendung. Aber daß jene Regel, aus welcher der konkrete An-
spruch abzuleiten ist, (von den Vertragsparteien) überhaupt ge-
setzt worden ist, ist vom Standpunkt des objektiven Rechtes aus
ein Zufall, ebenso wie die Anwendung der Regel ein Zufall ist; denn
kein (von Staats wegen geltender) Rechtssatz fordert, daß ein
solcher Mietvertrag abgeschlossen und daß er ausgeführt werde;
die Beteiligten (bzw. der Berechtigte) entscheiden darüber nach
Willkür. Was aber das Gesetz vorschreibt, gilt unbedingt (soweit
es nicht selbst vom Gesetzgeber Bedingungen unterworfen worden
ist) und es muß unbedingt angewendet werden: der Rechtssatz
und seine Anwendung gelten unbedingt und müssen so sein, wie
sie sind; sie gehören beide dem objektiven Recht an, in dem Sinn,
daß sie notwendig gelten, im Gegensatz zu den von Privaten ge-
troffenen Anordnungen (in abstrakter oder konkreter Form), die,
per definitionem, nur bedingt gelten, sofern nämlich die Privaten
bzw. der "Berechtigte" es so haben wollen. Eben diese Bedingt-
heit, diese Bezogenheit oder Verhältnismäßigkeit bezeichnet man

Die privaten Verbände.

Davon ist aber wohl zu unterscheiden der Gegensatz von ob-
jektiv-notwendigem und subjektiv-zufälligem Rechtszustand.
Was von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist und unbedingt ge-
schehen soll, kann in genereller Abstraktheit und individueller
Konkretheit angeordnet sein (als rechtssetzende und als rechts-
anwendende Anordnung). Und was durch die zufällige Ent-
schließung Privater, durch Rechtsgeschäft entsteht, kann eben-
falls in abstrakten Regeln bestehen, die gelten wollen und für ge-
nerell bestimmte Fälle unter den vorgesehenen Voraussetzungen
zur Anwendung kommen und dann konkrete Pflichten ergeben.
Ein Genossenschaftsstatut, eine Fabrikordnung, eine Benutzungs-
ordnung unter Miteigentümern stellt solche Regeln auf. Aber auch
jeder Vertrag kann es tun, sofern er für Fälle bestimmt, die ab-
strakt umschrieben werden: zwischen einem Vermieter und einem
Mieter besteht die Abmachung, daß alle kleineren Schäden vom
Vermieter, alle größeren vom Vermieter auf Anzeige hin auszu-
bessern sind, eine abstrakte und, wenn man will, eine rechtssetzende
Anordnung, insofern als diese vertragliche Lex zur Grundlage für
die Entscheidung der konkreten Schadensfälle genommen werden
muß. Im Verhältnis zu dieser vertraglichen Vorschrift ist die
Entscheidung des konkreten Anspruches auf Ausbesserung Rechts-
anwendung. Aber daß jene Regel, aus welcher der konkrete An-
spruch abzuleiten ist, (von den Vertragsparteien) überhaupt ge-
setzt worden ist, ist vom Standpunkt des objektiven Rechtes aus
ein Zufall, ebenso wie die Anwendung der Regel ein Zufall ist; denn
kein (von Staats wegen geltender) Rechtssatz fordert, daß ein
solcher Mietvertrag abgeschlossen und daß er ausgeführt werde;
die Beteiligten (bzw. der Berechtigte) entscheiden darüber nach
Willkür. Was aber das Gesetz vorschreibt, gilt unbedingt (soweit
es nicht selbst vom Gesetzgeber Bedingungen unterworfen worden
ist) und es muß unbedingt angewendet werden: der Rechtssatz
und seine Anwendung gelten unbedingt und müssen so sein, wie
sie sind; sie gehören beide dem objektiven Recht an, in dem Sinn,
daß sie notwendig gelten, im Gegensatz zu den von Privaten ge-
troffenen Anordnungen (in abstrakter oder konkreter Form), die,
per definitionem, nur bedingt gelten, sofern nämlich die Privaten
bzw. der „Berechtigte“ es so haben wollen. Eben diese Bedingt-
heit, diese Bezogenheit oder Verhältnismäßigkeit bezeichnet man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0324" n="309"/>
            <fw place="top" type="header">Die privaten Verbände.</fw><lb/>
            <p>Davon ist aber wohl zu unterscheiden der Gegensatz von ob-<lb/>
jektiv-<hi rendition="#g">notwendigem</hi> und subjektiv-<hi rendition="#g">zufälligem</hi> Rechtszustand.<lb/>
Was von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist und unbedingt ge-<lb/>
schehen soll, kann in genereller Abstraktheit und individueller<lb/>
Konkretheit angeordnet sein (als rechtssetzende und als rechts-<lb/>
anwendende Anordnung). Und was durch die zufällige Ent-<lb/>
schließung Privater, durch Rechtsgeschäft entsteht, kann eben-<lb/>
falls in abstrakten Regeln bestehen, die gelten wollen und für ge-<lb/>
nerell bestimmte Fälle unter den vorgesehenen Voraussetzungen<lb/>
zur Anwendung kommen und dann konkrete Pflichten ergeben.<lb/>
Ein Genossenschaftsstatut, eine Fabrikordnung, eine Benutzungs-<lb/>
ordnung unter Miteigentümern stellt solche Regeln auf. Aber auch<lb/>
jeder Vertrag kann es tun, sofern er für Fälle bestimmt, die ab-<lb/>
strakt umschrieben werden: zwischen einem Vermieter und einem<lb/>
Mieter besteht die Abmachung, daß alle kleineren Schäden vom<lb/>
Vermieter, alle größeren vom Vermieter auf Anzeige hin auszu-<lb/>
bessern sind, eine abstrakte und, wenn man will, eine rechtssetzende<lb/>
Anordnung, insofern als diese vertragliche Lex zur Grundlage für<lb/>
die Entscheidung der konkreten Schadensfälle genommen werden<lb/>
muß. Im Verhältnis zu dieser vertraglichen Vorschrift ist die<lb/>
Entscheidung des konkreten Anspruches auf Ausbesserung Rechts-<lb/>
anwendung. Aber daß jene Regel, aus welcher der konkrete An-<lb/>
spruch abzuleiten ist, (von den Vertragsparteien) überhaupt ge-<lb/>
setzt worden ist, ist vom Standpunkt des objektiven Rechtes aus<lb/>
ein Zufall, ebenso wie die Anwendung der Regel ein Zufall ist; denn<lb/>
kein (von Staats wegen geltender) Rechtssatz fordert, daß ein<lb/>
solcher Mietvertrag abgeschlossen und daß er ausgeführt werde;<lb/>
die Beteiligten (bzw. der Berechtigte) entscheiden darüber nach<lb/>
Willkür. Was aber das <hi rendition="#g">Gesetz</hi> vorschreibt, gilt unbedingt (soweit<lb/>
es nicht selbst vom Gesetzgeber Bedingungen unterworfen worden<lb/>
ist) und es muß unbedingt angewendet werden: der Rechtssatz<lb/>
und seine Anwendung gelten unbedingt und müssen so sein, wie<lb/>
sie sind; sie gehören beide dem objektiven Recht an, in dem Sinn,<lb/>
daß sie notwendig gelten, im Gegensatz zu den von Privaten ge-<lb/>
troffenen Anordnungen (in abstrakter oder konkreter Form), die,<lb/>
per definitionem, nur bedingt gelten, sofern nämlich die Privaten<lb/>
bzw. der &#x201E;Berechtigte&#x201C; es so haben wollen. Eben diese Bedingt-<lb/>
heit, diese Bezogenheit oder Verhältnismäßigkeit bezeichnet man<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0324] Die privaten Verbände. Davon ist aber wohl zu unterscheiden der Gegensatz von ob- jektiv-notwendigem und subjektiv-zufälligem Rechtszustand. Was von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist und unbedingt ge- schehen soll, kann in genereller Abstraktheit und individueller Konkretheit angeordnet sein (als rechtssetzende und als rechts- anwendende Anordnung). Und was durch die zufällige Ent- schließung Privater, durch Rechtsgeschäft entsteht, kann eben- falls in abstrakten Regeln bestehen, die gelten wollen und für ge- nerell bestimmte Fälle unter den vorgesehenen Voraussetzungen zur Anwendung kommen und dann konkrete Pflichten ergeben. Ein Genossenschaftsstatut, eine Fabrikordnung, eine Benutzungs- ordnung unter Miteigentümern stellt solche Regeln auf. Aber auch jeder Vertrag kann es tun, sofern er für Fälle bestimmt, die ab- strakt umschrieben werden: zwischen einem Vermieter und einem Mieter besteht die Abmachung, daß alle kleineren Schäden vom Vermieter, alle größeren vom Vermieter auf Anzeige hin auszu- bessern sind, eine abstrakte und, wenn man will, eine rechtssetzende Anordnung, insofern als diese vertragliche Lex zur Grundlage für die Entscheidung der konkreten Schadensfälle genommen werden muß. Im Verhältnis zu dieser vertraglichen Vorschrift ist die Entscheidung des konkreten Anspruches auf Ausbesserung Rechts- anwendung. Aber daß jene Regel, aus welcher der konkrete An- spruch abzuleiten ist, (von den Vertragsparteien) überhaupt ge- setzt worden ist, ist vom Standpunkt des objektiven Rechtes aus ein Zufall, ebenso wie die Anwendung der Regel ein Zufall ist; denn kein (von Staats wegen geltender) Rechtssatz fordert, daß ein solcher Mietvertrag abgeschlossen und daß er ausgeführt werde; die Beteiligten (bzw. der Berechtigte) entscheiden darüber nach Willkür. Was aber das Gesetz vorschreibt, gilt unbedingt (soweit es nicht selbst vom Gesetzgeber Bedingungen unterworfen worden ist) und es muß unbedingt angewendet werden: der Rechtssatz und seine Anwendung gelten unbedingt und müssen so sein, wie sie sind; sie gehören beide dem objektiven Recht an, in dem Sinn, daß sie notwendig gelten, im Gegensatz zu den von Privaten ge- troffenen Anordnungen (in abstrakter oder konkreter Form), die, per definitionem, nur bedingt gelten, sofern nämlich die Privaten bzw. der „Berechtigte“ es so haben wollen. Eben diese Bedingt- heit, diese Bezogenheit oder Verhältnismäßigkeit bezeichnet man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/324
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/324>, abgerufen am 16.05.2024.