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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Doppelspurigkeit widerspricht dem Zweck einheitlichen Handelns,
welcher der der Organisation ist, und sie ist deshalb bei größeren
Verbänden praktisch nicht möglich. Aber sie ist bei privaten
Verbänden nicht begrifflich unmöglich: auch die Kollektivgesell-
schaft ist organisiert und sie kann, im Zweifel, durch jeden Gesell-
schafter vertreten werden, was in diesem kleinen, von gegen-
seitigem persönlichem Vertrauen getragenen Verbande ohne Nach-
teil sein mag. Eine solche Doppelspurigkeit ist im Privatrecht
begrifflich möglich, weil im privatrechtlichen Verkehr auch wider-
sprechende Entschließungen möglich sind: der Vertrag kann vom
Standpunkt des objektiven Rechtes aus ebensogut geschlossen
wie nicht geschlossen werden, und wenn der eine geschäftsführende
Sozius der Kollektivgesellschaft den Vertrag ablehnt und der andere
ihn schließt, ist er geschlossen, sofern nur feststeht, daß jeder die
Gesamtheit verpflichten kann und gültig verpflichten kann; denn
auch der eine Geschäftsführer, als allein zuständiger, könnte heute
ablehnen und morgen zusagen. Aber eben deshalb, weil die Ent-
schließung willkürlich ist, ist sie unabänderlich, wenn sie einmal
getroffen ist: hat der eine Vertreter einmal ja gesagt, so ist der
Verband gebunden, und hat von zweien (zuständigen) Organen
eines ja gesagt, so ist der Verband ebenfalls gebunden, wenn-
gleich der andere, der ebenfalls zuständig gewesen wäre, nein gesagt,
d. h. den Vertrag nicht geschlossen hätte. Eine Privatperson kann
beliebig viel Verpflichtungen eingehen und beliebig von ihren
Rechten Gebrauch machen. Wenn ein zuständiges Organ die
verbindende Erklärung abgibt oder die Rechtshandlung vornimmt,
ist sie wirksam, unabänderlich zwar, aber gültig, gleichviel, was
dieser Vertreter vorher oder was ein anderer Vertreter geäußert
haben mag. Auch der gewöhnliche individuelle Vertreter kann
sich in seinen Entschließungen mit denjenigen des Vertretenen
widersprechen; daraus entsteht, im Verhältnis zu Dritten, nach
außen keine widerspruchsvolle Rechtslage. Es ist nur einem plan-
mäßigen Handeln, der teleologischen Folgerichtigkeit aller dieser
Entschließungen nicht förderlich; über die Folgen der einzelnen
Entschließung entsteht keine Unklarheit1. Solche Äußerungen

1 Wenn z. B. der Gläubiger den Schuldner betreibt und sein Anwalt
gleichzeitig auf die Forderung verzichtet, geht die Forderung unter.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Doppelspurigkeit widerspricht dem Zweck einheitlichen Handelns,
welcher der der Organisation ist, und sie ist deshalb bei größeren
Verbänden praktisch nicht möglich. Aber sie ist bei privaten
Verbänden nicht begrifflich unmöglich: auch die Kollektivgesell-
schaft ist organisiert und sie kann, im Zweifel, durch jeden Gesell-
schafter vertreten werden, was in diesem kleinen, von gegen-
seitigem persönlichem Vertrauen getragenen Verbande ohne Nach-
teil sein mag. Eine solche Doppelspurigkeit ist im Privatrecht
begrifflich möglich, weil im privatrechtlichen Verkehr auch wider-
sprechende Entschließungen möglich sind: der Vertrag kann vom
Standpunkt des objektiven Rechtes aus ebensogut geschlossen
wie nicht geschlossen werden, und wenn der eine geschäftsführende
Sozius der Kollektivgesellschaft den Vertrag ablehnt und der andere
ihn schließt, ist er geschlossen, sofern nur feststeht, daß jeder die
Gesamtheit verpflichten kann und gültig verpflichten kann; denn
auch der eine Geschäftsführer, als allein zuständiger, könnte heute
ablehnen und morgen zusagen. Aber eben deshalb, weil die Ent-
schließung willkürlich ist, ist sie unabänderlich, wenn sie einmal
getroffen ist: hat der eine Vertreter einmal ja gesagt, so ist der
Verband gebunden, und hat von zweien (zuständigen) Organen
eines ja gesagt, so ist der Verband ebenfalls gebunden, wenn-
gleich der andere, der ebenfalls zuständig gewesen wäre, nein gesagt,
d. h. den Vertrag nicht geschlossen hätte. Eine Privatperson kann
beliebig viel Verpflichtungen eingehen und beliebig von ihren
Rechten Gebrauch machen. Wenn ein zuständiges Organ die
verbindende Erklärung abgibt oder die Rechtshandlung vornimmt,
ist sie wirksam, unabänderlich zwar, aber gültig, gleichviel, was
dieser Vertreter vorher oder was ein anderer Vertreter geäußert
haben mag. Auch der gewöhnliche individuelle Vertreter kann
sich in seinen Entschließungen mit denjenigen des Vertretenen
widersprechen; daraus entsteht, im Verhältnis zu Dritten, nach
außen keine widerspruchsvolle Rechtslage. Es ist nur einem plan-
mäßigen Handeln, der teleologischen Folgerichtigkeit aller dieser
Entschließungen nicht förderlich; über die Folgen der einzelnen
Entschließung entsteht keine Unklarheit1. Solche Äußerungen

1 Wenn z. B. der Gläubiger den Schuldner betreibt und sein Anwalt
gleichzeitig auf die Forderung verzichtet, geht die Forderung unter.
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[314/0329] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Doppelspurigkeit widerspricht dem Zweck einheitlichen Handelns, welcher der der Organisation ist, und sie ist deshalb bei größeren Verbänden praktisch nicht möglich. Aber sie ist bei privaten Verbänden nicht begrifflich unmöglich: auch die Kollektivgesell- schaft ist organisiert und sie kann, im Zweifel, durch jeden Gesell- schafter vertreten werden, was in diesem kleinen, von gegen- seitigem persönlichem Vertrauen getragenen Verbande ohne Nach- teil sein mag. Eine solche Doppelspurigkeit ist im Privatrecht begrifflich möglich, weil im privatrechtlichen Verkehr auch wider- sprechende Entschließungen möglich sind: der Vertrag kann vom Standpunkt des objektiven Rechtes aus ebensogut geschlossen wie nicht geschlossen werden, und wenn der eine geschäftsführende Sozius der Kollektivgesellschaft den Vertrag ablehnt und der andere ihn schließt, ist er geschlossen, sofern nur feststeht, daß jeder die Gesamtheit verpflichten kann und gültig verpflichten kann; denn auch der eine Geschäftsführer, als allein zuständiger, könnte heute ablehnen und morgen zusagen. Aber eben deshalb, weil die Ent- schließung willkürlich ist, ist sie unabänderlich, wenn sie einmal getroffen ist: hat der eine Vertreter einmal ja gesagt, so ist der Verband gebunden, und hat von zweien (zuständigen) Organen eines ja gesagt, so ist der Verband ebenfalls gebunden, wenn- gleich der andere, der ebenfalls zuständig gewesen wäre, nein gesagt, d. h. den Vertrag nicht geschlossen hätte. Eine Privatperson kann beliebig viel Verpflichtungen eingehen und beliebig von ihren Rechten Gebrauch machen. Wenn ein zuständiges Organ die verbindende Erklärung abgibt oder die Rechtshandlung vornimmt, ist sie wirksam, unabänderlich zwar, aber gültig, gleichviel, was dieser Vertreter vorher oder was ein anderer Vertreter geäußert haben mag. Auch der gewöhnliche individuelle Vertreter kann sich in seinen Entschließungen mit denjenigen des Vertretenen widersprechen; daraus entsteht, im Verhältnis zu Dritten, nach außen keine widerspruchsvolle Rechtslage. Es ist nur einem plan- mäßigen Handeln, der teleologischen Folgerichtigkeit aller dieser Entschließungen nicht förderlich; über die Folgen der einzelnen Entschließung entsteht keine Unklarheit 1. Solche Äußerungen 1 Wenn z. B. der Gläubiger den Schuldner betreibt und sein Anwalt gleichzeitig auf die Forderung verzichtet, geht die Forderung unter.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/329>, abgerufen am 15.05.2024.