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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Völkerrecht nichts zu antworten1. Wie die Staaten sich jetzt in
die Erde teilen sollten oder, mit anderen Worten: welche Staaten
aus der Erdoberfläche zu bilden seien, weiß das Völkerrecht nicht.
Es überläßt es der Geschichte, d. h. dem Zufall der Macht und der
diplomatischen Verhandlungen, welche Gebiete die Staaten sich
zumessen, welche Gebiete "sich" bilden, und merkt die vollendete
Tatsache im Gothaer Kalender an. Aber Normen gibt es dafür
keine2.

Es kann auch keine geben. Man stelle sich vor, das Völkerrecht
stelle Regeln darüber auf, wie die Staaten organisiert sein sollen,
wieviel Staaten es geben und welchen Teil der Menschheit und der
Erdoberfläche jeder umfassen solle. Es soll hier nicht geprüft
werden, ob solche Normen in juristische Form gekleidet wer-
den könnten, d. h. in eine Fassung, in der sie ohne weiteres
Werturteil angewendet werden könnten (vgl. oben S. 243). Wir
wollen annehmen, es beständen Rechtssätze darüber, wie die
Staaten organisiert sein sollen, wieviel Staaten es geben und
welchen Teil der Menschheit und der Erdoberfläche jeder von
ihnen umfassen solle. Allein, an wen müßten sich diese Rechtssätze
wenden? Offenbar nicht an die Staaten, wie sie organisiert und
umschrieben sind. Denn sie könnten sich nicht auf Befehl um-
wandeln; sie sind, was ihre gegenwärtige Verfassung aus ihnen
gemacht hat. Sie können nicht die völkerrechtliche Pflicht haben,
etwas anderes aus sich zu machen, weil sie dazu andere Befug-
nisse gegenüber den einzelnen Menschen haben müßten, als sie nach
ihrer gegenwärtigen Verfassung haben. Sollen sie andere Befug-
nisse nach anderer Verfassung, über andere Menschen und auf
anderem räumlichen Bereiche erhalten, also selbst andere werden,

1 Die Darstellungen des Völkerrechts enthalten auch nichts darüber.
2 Es gilt das Postulat vernünftiger Einteilung der Erde (sonst be-
stünde hier keine Frage); aber völkerrechtliche Normen, Rechtssätze, gibt
es keine. -- Da die Gebietsveränderungen außerhalb des Völkerrechts liegen,
kann auch kein internationales Gericht (es sei denn auf Grund eines Ver-
trages) einer Partei eine Gebietsänderung auferlegen zum Ausgleich von
anderen Leistungen der Gegenpartei. Und die Entstehung neuer Staaten,
so wenig wie ihre Veränderung, kann aus dem Völkerrecht abgeleitet, als
völkerrechtlicher Vorgang konstruiert werden, wie es für den Bundesstaat
häufig versucht worden ist. Vgl. Anschütz in der Enzyklopädie der Rechts-
wissenschaft, 6. A., 506; oben S. 145 ff.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Völkerrecht nichts zu antworten1. Wie die Staaten sich jetzt in
die Erde teilen sollten oder, mit anderen Worten: welche Staaten
aus der Erdoberfläche zu bilden seien, weiß das Völkerrecht nicht.
Es überläßt es der Geschichte, d. h. dem Zufall der Macht und der
diplomatischen Verhandlungen, welche Gebiete die Staaten sich
zumessen, welche Gebiete „sich“ bilden, und merkt die vollendete
Tatsache im Gothaer Kalender an. Aber Normen gibt es dafür
keine2.

Es kann auch keine geben. Man stelle sich vor, das Völkerrecht
stelle Regeln darüber auf, wie die Staaten organisiert sein sollen,
wieviel Staaten es geben und welchen Teil der Menschheit und der
Erdoberfläche jeder umfassen solle. Es soll hier nicht geprüft
werden, ob solche Normen in juristische Form gekleidet wer-
den könnten, d. h. in eine Fassung, in der sie ohne weiteres
Werturteil angewendet werden könnten (vgl. oben S. 243). Wir
wollen annehmen, es beständen Rechtssätze darüber, wie die
Staaten organisiert sein sollen, wieviel Staaten es geben und
welchen Teil der Menschheit und der Erdoberfläche jeder von
ihnen umfassen solle. Allein, an wen müßten sich diese Rechtssätze
wenden? Offenbar nicht an die Staaten, wie sie organisiert und
umschrieben sind. Denn sie könnten sich nicht auf Befehl um-
wandeln; sie sind, was ihre gegenwärtige Verfassung aus ihnen
gemacht hat. Sie können nicht die völkerrechtliche Pflicht haben,
etwas anderes aus sich zu machen, weil sie dazu andere Befug-
nisse gegenüber den einzelnen Menschen haben müßten, als sie nach
ihrer gegenwärtigen Verfassung haben. Sollen sie andere Befug-
nisse nach anderer Verfassung, über andere Menschen und auf
anderem räumlichen Bereiche erhalten, also selbst andere werden,

1 Die Darstellungen des Völkerrechts enthalten auch nichts darüber.
2 Es gilt das Postulat vernünftiger Einteilung der Erde (sonst be-
stünde hier keine Frage); aber völkerrechtliche Normen, Rechtssätze, gibt
es keine. — Da die Gebietsveränderungen außerhalb des Völkerrechts liegen,
kann auch kein internationales Gericht (es sei denn auf Grund eines Ver-
trages) einer Partei eine Gebietsänderung auferlegen zum Ausgleich von
anderen Leistungen der Gegenpartei. Und die Entstehung neuer Staaten,
so wenig wie ihre Veränderung, kann aus dem Völkerrecht abgeleitet, als
völkerrechtlicher Vorgang konstruiert werden, wie es für den Bundesstaat
häufig versucht worden ist. Vgl. Anschütz in der Enzyklopädie der Rechts-
wissenschaft, 6. A., 506; oben S. 145 ff.
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[356/0371] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Völkerrecht nichts zu antworten 1. Wie die Staaten sich jetzt in die Erde teilen sollten oder, mit anderen Worten: welche Staaten aus der Erdoberfläche zu bilden seien, weiß das Völkerrecht nicht. Es überläßt es der Geschichte, d. h. dem Zufall der Macht und der diplomatischen Verhandlungen, welche Gebiete die Staaten sich zumessen, welche Gebiete „sich“ bilden, und merkt die vollendete Tatsache im Gothaer Kalender an. Aber Normen gibt es dafür keine 2. Es kann auch keine geben. Man stelle sich vor, das Völkerrecht stelle Regeln darüber auf, wie die Staaten organisiert sein sollen, wieviel Staaten es geben und welchen Teil der Menschheit und der Erdoberfläche jeder umfassen solle. Es soll hier nicht geprüft werden, ob solche Normen in juristische Form gekleidet wer- den könnten, d. h. in eine Fassung, in der sie ohne weiteres Werturteil angewendet werden könnten (vgl. oben S. 243). Wir wollen annehmen, es beständen Rechtssätze darüber, wie die Staaten organisiert sein sollen, wieviel Staaten es geben und welchen Teil der Menschheit und der Erdoberfläche jeder von ihnen umfassen solle. Allein, an wen müßten sich diese Rechtssätze wenden? Offenbar nicht an die Staaten, wie sie organisiert und umschrieben sind. Denn sie könnten sich nicht auf Befehl um- wandeln; sie sind, was ihre gegenwärtige Verfassung aus ihnen gemacht hat. Sie können nicht die völkerrechtliche Pflicht haben, etwas anderes aus sich zu machen, weil sie dazu andere Befug- nisse gegenüber den einzelnen Menschen haben müßten, als sie nach ihrer gegenwärtigen Verfassung haben. Sollen sie andere Befug- nisse nach anderer Verfassung, über andere Menschen und auf anderem räumlichen Bereiche erhalten, also selbst andere werden, 1 Die Darstellungen des Völkerrechts enthalten auch nichts darüber. 2 Es gilt das Postulat vernünftiger Einteilung der Erde (sonst be- stünde hier keine Frage); aber völkerrechtliche Normen, Rechtssätze, gibt es keine. — Da die Gebietsveränderungen außerhalb des Völkerrechts liegen, kann auch kein internationales Gericht (es sei denn auf Grund eines Ver- trages) einer Partei eine Gebietsänderung auferlegen zum Ausgleich von anderen Leistungen der Gegenpartei. Und die Entstehung neuer Staaten, so wenig wie ihre Veränderung, kann aus dem Völkerrecht abgeleitet, als völkerrechtlicher Vorgang konstruiert werden, wie es für den Bundesstaat häufig versucht worden ist. Vgl. Anschütz in der Enzyklopädie der Rechts- wissenschaft, 6. A., 506; oben S. 145 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/371>, abgerufen am 15.05.2024.