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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
keine rechtsgeschäftliche, statutarische. Der Staat kann sich
auch der Verfügung über seine subjektiven Rechte und der Ent-
scheidung über seine Pflichten nicht zu Handen einer mit anderen
Staaten vereinbarten statutarischen Instanz entäußern. Eine
solche rechtsgeschäftliche Entäußerung hat nur Sinn, wenn die
Entschließung des Organs nicht durch den Einspruch jedes Mit-
gliedes unwirksam gemacht werden kann (oben S. 341); aber für
den Einzelnen ist sie nur annehmbar, wenn er gegen statutenwidrige
Entschließungen der Organe gegebenenfalls den Schutz des Staates
anrufen kann. Dieses letztere ist nun im Völkerrecht mangels
rechtssatzmäßiger allgemeinverbindlicher Organisation nicht mög-
lich. Wenn die Staaten eine eigentliche Organisation gründeten,
würden sie die Entscheidung über die ihr unterstellten subjektiven
Rechtsverhältnisse einer von ihnen selbst geschaffenen Maschine
überlassen; sie würden sich endgültig ihrem eigenen Geschöpf
unterwerfen. Die Mitglieder des Völkerbundes z. B. müßten sich
durch seine Organe sagen lassen, zu was sie sich durch diesen
Bund verpflichtet haben und zu welchem Zwecke sie sich zusammen-
getan haben; die Mitglieder des Staatenbundes müßten von der
Bundesversammlung hören, wie der Bundesvertrag auszulegen
und anzuwenden sei; die einzelnen Staaten, auch alle zusammen,
könnten nichts dagegen ausrichten, noch weniger als die einzelnen
Aktionäre gegen die Beschlüsse einer Generalversammlung, da
sie nicht von Rechts wegen klagen könnten (sondern nur kraft
einer statutarischen schiedsrichterlichen Vereinbarung zwischen
ihnen und dem Verbande, die wieder bestritten werden könnte
und gegenwärtig beim Völkerbund auch nicht vorgesehen ist).
Staaten, die solche Verbände gründen, wollen sich aber offenbar
nicht (auch wenn sie es könnten) in diese unwiderrufliche Ab-
hängigkeit von einer Einrichtung begeben, die sie als Mittel zu
ihren subjektiven Zwecken schaffen; und deshalb sind solche
Vereinbarungen nicht Statuten einer Körperschaft mit eigener
Persönlichkeit, auch nicht Gesamthandverhältnisse, sondern
schlichte Verträge mit oder ohne Vertretungsvollmacht1; was man

1 G. Jellinek, Die Staatenverbindungen (1882) 178 ff.; Allgemeine
Staatslehre, 3. A., 762. Anders Hänel, Vertragsmäßige Elemente der Deut-
schen Reichsverfassung (1873) 60 ff.; Ebers, Die Lehre vom Staatenbunde
(1920) 300. Bezüglich des Völkerbundes vgl. Schücking und Wehberg,

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
keine rechtsgeschäftliche, statutarische. Der Staat kann sich
auch der Verfügung über seine subjektiven Rechte und der Ent-
scheidung über seine Pflichten nicht zu Handen einer mit anderen
Staaten vereinbarten statutarischen Instanz entäußern. Eine
solche rechtsgeschäftliche Entäußerung hat nur Sinn, wenn die
Entschließung des Organs nicht durch den Einspruch jedes Mit-
gliedes unwirksam gemacht werden kann (oben S. 341); aber für
den Einzelnen ist sie nur annehmbar, wenn er gegen statutenwidrige
Entschließungen der Organe gegebenenfalls den Schutz des Staates
anrufen kann. Dieses letztere ist nun im Völkerrecht mangels
rechtssatzmäßiger allgemeinverbindlicher Organisation nicht mög-
lich. Wenn die Staaten eine eigentliche Organisation gründeten,
würden sie die Entscheidung über die ihr unterstellten subjektiven
Rechtsverhältnisse einer von ihnen selbst geschaffenen Maschine
überlassen; sie würden sich endgültig ihrem eigenen Geschöpf
unterwerfen. Die Mitglieder des Völkerbundes z. B. müßten sich
durch seine Organe sagen lassen, zu was sie sich durch diesen
Bund verpflichtet haben und zu welchem Zwecke sie sich zusammen-
getan haben; die Mitglieder des Staatenbundes müßten von der
Bundesversammlung hören, wie der Bundesvertrag auszulegen
und anzuwenden sei; die einzelnen Staaten, auch alle zusammen,
könnten nichts dagegen ausrichten, noch weniger als die einzelnen
Aktionäre gegen die Beschlüsse einer Generalversammlung, da
sie nicht von Rechts wegen klagen könnten (sondern nur kraft
einer statutarischen schiedsrichterlichen Vereinbarung zwischen
ihnen und dem Verbande, die wieder bestritten werden könnte
und gegenwärtig beim Völkerbund auch nicht vorgesehen ist).
Staaten, die solche Verbände gründen, wollen sich aber offenbar
nicht (auch wenn sie es könnten) in diese unwiderrufliche Ab-
hängigkeit von einer Einrichtung begeben, die sie als Mittel zu
ihren subjektiven Zwecken schaffen; und deshalb sind solche
Vereinbarungen nicht Statuten einer Körperschaft mit eigener
Persönlichkeit, auch nicht Gesamthandverhältnisse, sondern
schlichte Verträge mit oder ohne Vertretungsvollmacht1; was man

1 G. Jellinek, Die Staatenverbindungen (1882) 178 ff.; Allgemeine
Staatslehre, 3. A., 762. Anders Hänel, Vertragsmäßige Elemente der Deut-
schen Reichsverfassung (1873) 60 ff.; Ebers, Die Lehre vom Staatenbunde
(1920) 300. Bezüglich des Völkerbundes vgl. Schücking und Wehberg,
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[386/0401] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. keine rechtsgeschäftliche, statutarische. Der Staat kann sich auch der Verfügung über seine subjektiven Rechte und der Ent- scheidung über seine Pflichten nicht zu Handen einer mit anderen Staaten vereinbarten statutarischen Instanz entäußern. Eine solche rechtsgeschäftliche Entäußerung hat nur Sinn, wenn die Entschließung des Organs nicht durch den Einspruch jedes Mit- gliedes unwirksam gemacht werden kann (oben S. 341); aber für den Einzelnen ist sie nur annehmbar, wenn er gegen statutenwidrige Entschließungen der Organe gegebenenfalls den Schutz des Staates anrufen kann. Dieses letztere ist nun im Völkerrecht mangels rechtssatzmäßiger allgemeinverbindlicher Organisation nicht mög- lich. Wenn die Staaten eine eigentliche Organisation gründeten, würden sie die Entscheidung über die ihr unterstellten subjektiven Rechtsverhältnisse einer von ihnen selbst geschaffenen Maschine überlassen; sie würden sich endgültig ihrem eigenen Geschöpf unterwerfen. Die Mitglieder des Völkerbundes z. B. müßten sich durch seine Organe sagen lassen, zu was sie sich durch diesen Bund verpflichtet haben und zu welchem Zwecke sie sich zusammen- getan haben; die Mitglieder des Staatenbundes müßten von der Bundesversammlung hören, wie der Bundesvertrag auszulegen und anzuwenden sei; die einzelnen Staaten, auch alle zusammen, könnten nichts dagegen ausrichten, noch weniger als die einzelnen Aktionäre gegen die Beschlüsse einer Generalversammlung, da sie nicht von Rechts wegen klagen könnten (sondern nur kraft einer statutarischen schiedsrichterlichen Vereinbarung zwischen ihnen und dem Verbande, die wieder bestritten werden könnte und gegenwärtig beim Völkerbund auch nicht vorgesehen ist). Staaten, die solche Verbände gründen, wollen sich aber offenbar nicht (auch wenn sie es könnten) in diese unwiderrufliche Ab- hängigkeit von einer Einrichtung begeben, die sie als Mittel zu ihren subjektiven Zwecken schaffen; und deshalb sind solche Vereinbarungen nicht Statuten einer Körperschaft mit eigener Persönlichkeit, auch nicht Gesamthandverhältnisse, sondern schlichte Verträge mit oder ohne Vertretungsvollmacht 1; was man 1 G. Jellinek, Die Staatenverbindungen (1882) 178 ff.; Allgemeine Staatslehre, 3. A., 762. Anders Hänel, Vertragsmäßige Elemente der Deut- schen Reichsverfassung (1873) 60 ff.; Ebers, Die Lehre vom Staatenbunde (1920) 300. Bezüglich des Völkerbundes vgl. Schücking und Wehberg,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/401>, abgerufen am 13.05.2024.