Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Völkerrecht.
Industriestaat A den Überschuß der bäuerlichen Bevölkerung des
Staates B aufnehme und B von A den Überschuß der Intellektuellen
und Arbeiter (und daß jeder dem anderen diese seine Überschüsse
überlasse), so kann dieser Austausch nicht wirksam und sachgemäß
geordnet werden, wenn man nicht weiß, unter welchen rechtlichen
Bedingungen die Einwandernden leben können, z. B. welche Be-
rufe den Intellektuellen offenstehen und ob die Landwirte eigenen
Boden erwerben können (auch die abstrakte Formel, daß die Aus-
länder gleich wie die Inländer behandelt werden sollen, kann des-
halb nicht Anspruch auf allgemeine Richtigkeit machen).

Die Pflichten der Neutralen in bezug auf Versorgung der
Kriegführenden mit Waffen und Munition werden anders geordnet
werden müssen, je nachdem die Waffen- und Munitionsfabrikation
und der Handel damit verstaatlicht ist oder nicht; im ersten Fall
wird man den Staat selbst verpflichten, dafür zu sorgen, daß den
Kriegführenden kein Kriegsmaterial, auch nicht durch die Ver-
mittlung von Privaten, geliefert werde; im zweiten Fall wird man
ihnen vielleicht diese Haftung nicht auferlegen.

Oder endlich: wenn entschieden werden soll, ob die Staaten
verpflichtet seien, sich gegenseitig Rechtshilfe durch Vollstreckung
von Zivilurteilen oder Auslieferung zu gewähren, so liegt es auf
der Hand, daß eine solche Verpflichtung nur statuiert werden kann
in der Voraussetzung, daß die Zivil- und Strafrechtspflege in den
beiden Staaten einander ähnlich, mit einander vergleichbar sind;
man wird die Entscheidung nur treffen können im Hinblick auf
bekannte, bestimmte Justizeinrichtungen der Staaten. Denn man
kann einem Staate die Auslieferung eines Verbrechers nicht zu-
muten, wenn die Justiz des anderen Staates keinerlei Gewähr für
Unparteilichkeit bietet; will man aber den Zufluchtsstaat ver-
pflichten, den Verbrecher selbst zu bestrafen, damit das Ver-
brechen nicht ungesühnt bleibe, so wird sich der andere Staat,
dessen Rechtsordnung verletzt worden ist, damit auch nicht zu-
frieden geben, wenn die dortige Justiz zu lax oder von der eigenen
zu verschieden ist.

Was ergibt sich aus dem Gesagten?

Es ergibt sich zunächst, daß, wenn die internationale Regelung
die rechtliche und tatsächliche Beschaffenheit jedes Landes be-
rücksichtigen muß, eine einheitliche, für alle Staaten gültige Rege-

Burckhardt, Organisation. 26

Das Völkerrecht.
Industriestaat A den Überschuß der bäuerlichen Bevölkerung des
Staates B aufnehme und B von A den Überschuß der Intellektuellen
und Arbeiter (und daß jeder dem anderen diese seine Überschüsse
überlasse), so kann dieser Austausch nicht wirksam und sachgemäß
geordnet werden, wenn man nicht weiß, unter welchen rechtlichen
Bedingungen die Einwandernden leben können, z. B. welche Be-
rufe den Intellektuellen offenstehen und ob die Landwirte eigenen
Boden erwerben können (auch die abstrakte Formel, daß die Aus-
länder gleich wie die Inländer behandelt werden sollen, kann des-
halb nicht Anspruch auf allgemeine Richtigkeit machen).

Die Pflichten der Neutralen in bezug auf Versorgung der
Kriegführenden mit Waffen und Munition werden anders geordnet
werden müssen, je nachdem die Waffen- und Munitionsfabrikation
und der Handel damit verstaatlicht ist oder nicht; im ersten Fall
wird man den Staat selbst verpflichten, dafür zu sorgen, daß den
Kriegführenden kein Kriegsmaterial, auch nicht durch die Ver-
mittlung von Privaten, geliefert werde; im zweiten Fall wird man
ihnen vielleicht diese Haftung nicht auferlegen.

Oder endlich: wenn entschieden werden soll, ob die Staaten
verpflichtet seien, sich gegenseitig Rechtshilfe durch Vollstreckung
von Zivilurteilen oder Auslieferung zu gewähren, so liegt es auf
der Hand, daß eine solche Verpflichtung nur statuiert werden kann
in der Voraussetzung, daß die Zivil- und Strafrechtspflege in den
beiden Staaten einander ähnlich, mit einander vergleichbar sind;
man wird die Entscheidung nur treffen können im Hinblick auf
bekannte, bestimmte Justizeinrichtungen der Staaten. Denn man
kann einem Staate die Auslieferung eines Verbrechers nicht zu-
muten, wenn die Justiz des anderen Staates keinerlei Gewähr für
Unparteilichkeit bietet; will man aber den Zufluchtsstaat ver-
pflichten, den Verbrecher selbst zu bestrafen, damit das Ver-
brechen nicht ungesühnt bleibe, so wird sich der andere Staat,
dessen Rechtsordnung verletzt worden ist, damit auch nicht zu-
frieden geben, wenn die dortige Justiz zu lax oder von der eigenen
zu verschieden ist.

Was ergibt sich aus dem Gesagten?

Es ergibt sich zunächst, daß, wenn die internationale Regelung
die rechtliche und tatsächliche Beschaffenheit jedes Landes be-
rücksichtigen muß, eine einheitliche, für alle Staaten gültige Rege-

Burckhardt, Organisation. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0416" n="401"/><fw place="top" type="header">Das Völkerrecht.</fw><lb/>
Industriestaat A den Überschuß der bäuerlichen Bevölkerung des<lb/>
Staates B aufnehme und B von A den Überschuß der Intellektuellen<lb/>
und Arbeiter (und daß jeder dem anderen diese seine Überschüsse<lb/>
überlasse), so kann dieser Austausch nicht wirksam und sachgemäß<lb/>
geordnet werden, wenn man nicht weiß, unter welchen rechtlichen<lb/>
Bedingungen die Einwandernden leben können, z. B. welche Be-<lb/>
rufe den Intellektuellen offenstehen und ob die Landwirte eigenen<lb/>
Boden erwerben können (auch die abstrakte Formel, daß die Aus-<lb/>
länder gleich wie die Inländer behandelt werden sollen, kann des-<lb/>
halb nicht Anspruch auf allgemeine Richtigkeit machen).</p><lb/>
            <p>Die Pflichten der Neutralen in bezug auf Versorgung der<lb/>
Kriegführenden mit Waffen und Munition werden anders geordnet<lb/>
werden müssen, je nachdem die Waffen- und Munitionsfabrikation<lb/>
und der Handel damit verstaatlicht ist oder nicht; im ersten Fall<lb/>
wird man den Staat selbst verpflichten, dafür zu sorgen, daß den<lb/>
Kriegführenden kein Kriegsmaterial, auch nicht durch die Ver-<lb/>
mittlung von Privaten, geliefert werde; im zweiten Fall wird man<lb/>
ihnen vielleicht diese Haftung nicht auferlegen.</p><lb/>
            <p>Oder endlich: wenn entschieden werden soll, ob die Staaten<lb/>
verpflichtet seien, sich gegenseitig Rechtshilfe durch Vollstreckung<lb/>
von Zivilurteilen oder Auslieferung zu gewähren, so liegt es auf<lb/>
der Hand, daß eine solche Verpflichtung nur statuiert werden kann<lb/>
in der Voraussetzung, daß die Zivil- und Strafrechtspflege in den<lb/>
beiden Staaten einander ähnlich, mit einander vergleichbar sind;<lb/>
man wird die Entscheidung nur treffen können im Hinblick auf<lb/>
bekannte, bestimmte Justizeinrichtungen der Staaten. Denn man<lb/>
kann einem Staate die Auslieferung eines Verbrechers nicht zu-<lb/>
muten, wenn die Justiz des anderen Staates keinerlei Gewähr für<lb/>
Unparteilichkeit bietet; will man aber den Zufluchtsstaat ver-<lb/>
pflichten, den Verbrecher selbst zu bestrafen, damit das Ver-<lb/>
brechen nicht ungesühnt bleibe, so wird sich der andere Staat,<lb/>
dessen Rechtsordnung verletzt worden ist, damit auch nicht zu-<lb/>
frieden geben, wenn die dortige Justiz zu lax oder von der eigenen<lb/>
zu verschieden ist.</p><lb/>
            <p>Was ergibt sich aus dem Gesagten?</p><lb/>
            <p>Es ergibt sich zunächst, daß, wenn die internationale Regelung<lb/>
die rechtliche und tatsächliche Beschaffenheit jedes Landes be-<lb/>
rücksichtigen muß, eine einheitliche, für <hi rendition="#g">alle</hi> Staaten gültige Rege-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Burckhardt,</hi> Organisation. 26</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0416] Das Völkerrecht. Industriestaat A den Überschuß der bäuerlichen Bevölkerung des Staates B aufnehme und B von A den Überschuß der Intellektuellen und Arbeiter (und daß jeder dem anderen diese seine Überschüsse überlasse), so kann dieser Austausch nicht wirksam und sachgemäß geordnet werden, wenn man nicht weiß, unter welchen rechtlichen Bedingungen die Einwandernden leben können, z. B. welche Be- rufe den Intellektuellen offenstehen und ob die Landwirte eigenen Boden erwerben können (auch die abstrakte Formel, daß die Aus- länder gleich wie die Inländer behandelt werden sollen, kann des- halb nicht Anspruch auf allgemeine Richtigkeit machen). Die Pflichten der Neutralen in bezug auf Versorgung der Kriegführenden mit Waffen und Munition werden anders geordnet werden müssen, je nachdem die Waffen- und Munitionsfabrikation und der Handel damit verstaatlicht ist oder nicht; im ersten Fall wird man den Staat selbst verpflichten, dafür zu sorgen, daß den Kriegführenden kein Kriegsmaterial, auch nicht durch die Ver- mittlung von Privaten, geliefert werde; im zweiten Fall wird man ihnen vielleicht diese Haftung nicht auferlegen. Oder endlich: wenn entschieden werden soll, ob die Staaten verpflichtet seien, sich gegenseitig Rechtshilfe durch Vollstreckung von Zivilurteilen oder Auslieferung zu gewähren, so liegt es auf der Hand, daß eine solche Verpflichtung nur statuiert werden kann in der Voraussetzung, daß die Zivil- und Strafrechtspflege in den beiden Staaten einander ähnlich, mit einander vergleichbar sind; man wird die Entscheidung nur treffen können im Hinblick auf bekannte, bestimmte Justizeinrichtungen der Staaten. Denn man kann einem Staate die Auslieferung eines Verbrechers nicht zu- muten, wenn die Justiz des anderen Staates keinerlei Gewähr für Unparteilichkeit bietet; will man aber den Zufluchtsstaat ver- pflichten, den Verbrecher selbst zu bestrafen, damit das Ver- brechen nicht ungesühnt bleibe, so wird sich der andere Staat, dessen Rechtsordnung verletzt worden ist, damit auch nicht zu- frieden geben, wenn die dortige Justiz zu lax oder von der eigenen zu verschieden ist. Was ergibt sich aus dem Gesagten? Es ergibt sich zunächst, daß, wenn die internationale Regelung die rechtliche und tatsächliche Beschaffenheit jedes Landes be- rücksichtigen muß, eine einheitliche, für alle Staaten gültige Rege- Burckhardt, Organisation. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/416
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/416>, abgerufen am 14.05.2024.