Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Völkerrecht.
einander abzugrenzen, ohne selbst gewissermaßen internationale
materielle Normen aufzustellen; es will nur entscheiden, wann
das eine und wann das andere der koexistierenden Rechte anwend-
bar ist. Aber diese Abgrenzungsnormen selbst, die als inter-
nationale zu denken sind (auch wenn sie nur durch einen Staat
aufgestellt werden), müssen doch selbst wieder Rechtsbegriffe
verwenden und sie müßten, um von allen Beteiligten gleich ver-
standen zu werden, auch einheitliche Begriffe verwenden. Diese
Begriffe können daher nicht denjenigen entsprechen, deren sich
die abzugrenzenden nationalen Gesetzgebungen bedienen. Um
gegeneinander abgrenzbar zu sein, müßten diese nationalen Rechte
auf ein und demselben System aufgebaut und aus denselben
Begriffen gebildet sein, also sich nur quantitativ, nicht qualitativ
unterscheiden, z. B. durch die Zahl der Jahre der Mehrjährigkeit
oder die Quoten der Pflichtteile, aber nicht durch den Begriff
der Mehrjährigkeit oder des Pflichtteils. Dann wären sie auch in
begrifflicher Weise gegeneinander abgrenzbar, z. B. durch den
Satz, daß die Handlungsfähigkeit nach dem Heimatgesetz und der
Pflichtteil nach dem Gesetz des letzten Wohnsitzes zu beurteilen
sind; denn die Begriffe der Handlungsfähigkeit, des Pflichtteiles,
wie auch der Heimatzugehörigkeit und des Wohnsitzes wären
dann auch überall dieselben. Sind aber, wie nicht anders zu er-
warten, die privatrechtlichen Begriffe der verschiedenen Gesetz-
gebungen und die ganzen Institute verschieden, so lassen sie sich
auch nicht gegeneinander abgrenzen. Das internationale Privat-
recht wird stets im Widerspruch stecken bleiben, daß zwei ab-
weichende Rechtssysteme, die nicht mit den gleichen Begriffen
arbeiten, eine gemeinsame begriffliche Grenze haben sollen.

Der Doktrin ist diese Schwierigkeit bekannt; sie hat sie nur
nicht immer in ihrer grundsätzlichen Bedeutung erfaßt1.

Ein Beispiel mag den Gedanken erläutern: Wenn ein Satz

1 Vgl. meinen Aufsatz über die Allgemeingültigkeit des internatio-
nalen Privatrechts in der Festgabe für Eugen Huber (Bern 1919) 263;
ferner: Donnedieu des Vabres, De l'impossibilite d'une solution ration-
nelle et definitive des conflits de loi, Journal de droit international (Clunet)
1905, 1242; ebd. 1923, 281; Streit, Zur Frage über die Natur der zwischen-
privatrechtlichen Anwendungsnormen, in der Festgabe für F. Fleiner
(1927) 318 ff.

Das Völkerrecht.
einander abzugrenzen, ohne selbst gewissermaßen internationale
materielle Normen aufzustellen; es will nur entscheiden, wann
das eine und wann das andere der koexistierenden Rechte anwend-
bar ist. Aber diese Abgrenzungsnormen selbst, die als inter-
nationale zu denken sind (auch wenn sie nur durch einen Staat
aufgestellt werden), müssen doch selbst wieder Rechtsbegriffe
verwenden und sie müßten, um von allen Beteiligten gleich ver-
standen zu werden, auch einheitliche Begriffe verwenden. Diese
Begriffe können daher nicht denjenigen entsprechen, deren sich
die abzugrenzenden nationalen Gesetzgebungen bedienen. Um
gegeneinander abgrenzbar zu sein, müßten diese nationalen Rechte
auf ein und demselben System aufgebaut und aus denselben
Begriffen gebildet sein, also sich nur quantitativ, nicht qualitativ
unterscheiden, z. B. durch die Zahl der Jahre der Mehrjährigkeit
oder die Quoten der Pflichtteile, aber nicht durch den Begriff
der Mehrjährigkeit oder des Pflichtteils. Dann wären sie auch in
begrifflicher Weise gegeneinander abgrenzbar, z. B. durch den
Satz, daß die Handlungsfähigkeit nach dem Heimatgesetz und der
Pflichtteil nach dem Gesetz des letzten Wohnsitzes zu beurteilen
sind; denn die Begriffe der Handlungsfähigkeit, des Pflichtteiles,
wie auch der Heimatzugehörigkeit und des Wohnsitzes wären
dann auch überall dieselben. Sind aber, wie nicht anders zu er-
warten, die privatrechtlichen Begriffe der verschiedenen Gesetz-
gebungen und die ganzen Institute verschieden, so lassen sie sich
auch nicht gegeneinander abgrenzen. Das internationale Privat-
recht wird stets im Widerspruch stecken bleiben, daß zwei ab-
weichende Rechtssysteme, die nicht mit den gleichen Begriffen
arbeiten, eine gemeinsame begriffliche Grenze haben sollen.

Der Doktrin ist diese Schwierigkeit bekannt; sie hat sie nur
nicht immer in ihrer grundsätzlichen Bedeutung erfaßt1.

Ein Beispiel mag den Gedanken erläutern: Wenn ein Satz

1 Vgl. meinen Aufsatz über die Allgemeingültigkeit des internatio-
nalen Privatrechts in der Festgabe für Eugen Huber (Bern 1919) 263;
ferner: Donnedieu des Vabres, De l'impossibilité d'une solution ration-
nelle et définitive des conflits de loi, Journal de droit international (Clunet)
1905, 1242; ebd. 1923, 281; Streit, Zur Frage über die Natur der zwischen-
privatrechtlichen Anwendungsnormen, in der Festgabe für F. Fleiner
(1927) 318 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0426" n="411"/><fw place="top" type="header">Das Völkerrecht.</fw><lb/>
einander abzugrenzen, ohne selbst gewissermaßen internationale<lb/>
materielle Normen aufzustellen; es will nur entscheiden, wann<lb/>
das eine und wann das andere der koexistierenden Rechte anwend-<lb/>
bar ist. Aber diese Abgrenzungsnormen selbst, die als inter-<lb/>
nationale zu denken sind (auch wenn sie nur durch einen Staat<lb/>
aufgestellt werden), müssen doch selbst wieder Rechtsbegriffe<lb/>
verwenden und sie müßten, um von allen Beteiligten gleich ver-<lb/>
standen zu werden, auch einheitliche Begriffe verwenden. Diese<lb/>
Begriffe können daher nicht denjenigen entsprechen, deren sich<lb/>
die abzugrenzenden nationalen Gesetzgebungen bedienen. Um<lb/>
gegeneinander abgrenzbar zu sein, müßten diese nationalen Rechte<lb/>
auf ein und demselben System aufgebaut und aus denselben<lb/>
Begriffen gebildet sein, also sich nur quantitativ, nicht qualitativ<lb/>
unterscheiden, z. B. durch die Zahl der Jahre der Mehrjährigkeit<lb/>
oder die Quoten der Pflichtteile, aber nicht durch den Begriff<lb/>
der Mehrjährigkeit oder des Pflichtteils. Dann wären sie auch in<lb/>
begrifflicher Weise gegeneinander abgrenzbar, z. B. durch den<lb/>
Satz, daß die Handlungsfähigkeit nach dem Heimatgesetz und der<lb/>
Pflichtteil nach dem Gesetz des letzten Wohnsitzes zu beurteilen<lb/>
sind; denn die Begriffe der Handlungsfähigkeit, des Pflichtteiles,<lb/>
wie auch der Heimatzugehörigkeit und des Wohnsitzes wären<lb/>
dann auch überall dieselben. Sind aber, wie nicht anders zu er-<lb/>
warten, die privatrechtlichen Begriffe der verschiedenen Gesetz-<lb/>
gebungen und die ganzen Institute verschieden, so lassen sie sich<lb/>
auch nicht gegeneinander abgrenzen. Das internationale Privat-<lb/>
recht wird stets im Widerspruch stecken bleiben, daß zwei ab-<lb/>
weichende Rechtssysteme, die nicht mit den gleichen Begriffen<lb/>
arbeiten, eine gemeinsame begriffliche Grenze haben sollen.</p><lb/>
            <p>Der Doktrin ist diese Schwierigkeit bekannt; sie hat sie nur<lb/>
nicht immer in ihrer grundsätzlichen Bedeutung erfaßt<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#g">meinen</hi> Aufsatz über die Allgemeingültigkeit des internatio-<lb/>
nalen Privatrechts in der Festgabe für <hi rendition="#g">Eugen Huber</hi> (Bern 1919) 263;<lb/>
ferner: <hi rendition="#g">Donnedieu des Vabres,</hi> De l'impossibilité d'une solution ration-<lb/>
nelle et définitive des conflits de loi, Journal de droit international (<hi rendition="#g">Clunet</hi>)<lb/>
1905, 1242; ebd. 1923, 281; <hi rendition="#g">Streit,</hi> Zur Frage über die Natur der zwischen-<lb/>
privatrechtlichen Anwendungsnormen, in der Festgabe für F. <hi rendition="#g">Fleiner</hi><lb/>
(1927) 318 ff.</note>.</p><lb/>
            <p>Ein Beispiel mag den Gedanken erläutern: Wenn ein Satz<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0426] Das Völkerrecht. einander abzugrenzen, ohne selbst gewissermaßen internationale materielle Normen aufzustellen; es will nur entscheiden, wann das eine und wann das andere der koexistierenden Rechte anwend- bar ist. Aber diese Abgrenzungsnormen selbst, die als inter- nationale zu denken sind (auch wenn sie nur durch einen Staat aufgestellt werden), müssen doch selbst wieder Rechtsbegriffe verwenden und sie müßten, um von allen Beteiligten gleich ver- standen zu werden, auch einheitliche Begriffe verwenden. Diese Begriffe können daher nicht denjenigen entsprechen, deren sich die abzugrenzenden nationalen Gesetzgebungen bedienen. Um gegeneinander abgrenzbar zu sein, müßten diese nationalen Rechte auf ein und demselben System aufgebaut und aus denselben Begriffen gebildet sein, also sich nur quantitativ, nicht qualitativ unterscheiden, z. B. durch die Zahl der Jahre der Mehrjährigkeit oder die Quoten der Pflichtteile, aber nicht durch den Begriff der Mehrjährigkeit oder des Pflichtteils. Dann wären sie auch in begrifflicher Weise gegeneinander abgrenzbar, z. B. durch den Satz, daß die Handlungsfähigkeit nach dem Heimatgesetz und der Pflichtteil nach dem Gesetz des letzten Wohnsitzes zu beurteilen sind; denn die Begriffe der Handlungsfähigkeit, des Pflichtteiles, wie auch der Heimatzugehörigkeit und des Wohnsitzes wären dann auch überall dieselben. Sind aber, wie nicht anders zu er- warten, die privatrechtlichen Begriffe der verschiedenen Gesetz- gebungen und die ganzen Institute verschieden, so lassen sie sich auch nicht gegeneinander abgrenzen. Das internationale Privat- recht wird stets im Widerspruch stecken bleiben, daß zwei ab- weichende Rechtssysteme, die nicht mit den gleichen Begriffen arbeiten, eine gemeinsame begriffliche Grenze haben sollen. Der Doktrin ist diese Schwierigkeit bekannt; sie hat sie nur nicht immer in ihrer grundsätzlichen Bedeutung erfaßt 1. Ein Beispiel mag den Gedanken erläutern: Wenn ein Satz 1 Vgl. meinen Aufsatz über die Allgemeingültigkeit des internatio- nalen Privatrechts in der Festgabe für Eugen Huber (Bern 1919) 263; ferner: Donnedieu des Vabres, De l'impossibilité d'une solution ration- nelle et définitive des conflits de loi, Journal de droit international (Clunet) 1905, 1242; ebd. 1923, 281; Streit, Zur Frage über die Natur der zwischen- privatrechtlichen Anwendungsnormen, in der Festgabe für F. Fleiner (1927) 318 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/426
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/426>, abgerufen am 14.05.2024.