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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
unterscheiden zwischen Delikten, welche die Staatsorgane als
solche
begehen, und Delikten, welche sie als Private begehen.
Als Staatsorgane können die Organspersonen aber nur handeln,
sofern sie innerhalb ihrer Zuständigkeit handeln, und zu Delikten
kann niemand von Rechts wegen zuständig sein.

Die Unterscheidung führt auch, eben deshalb, weil sie grund-
sätzlich falsch ist, zu unerträglichen Spitzfindigkeiten: wenn die
Beamten des Ministeriums des Äußern ein Attentat auf einen
Gesandten vorbereitet oder angestiftet haben, soll dann unter-
sucht werden, ob sie die Besprechungen in oder außer der Amts-
stunden, in oder außer der Amtsstube abgehalten, ob sie auf Amts-
papier geschrieben oder mit dem Amtstitel unterschrieben, ob sie
sich im Amtsstil oder im Privatstil ausgedrückt haben? Wenn
Postangestellte ihre Dienstkenntnisse dazu benutzen, um, außer
Dienst und verkleidet, einen Eisenbahnzug auf offener Strecke
zum Stehen zu bringen und den diplomatischen Kurier aus dem
(wie sie wissen) momentan unbewachten Postwagen zu entwenden,
soll das ein "amtliches" oder "privates" Verbrechen sein? Die
Unterscheidung ist schlechthin undurchführbar.

Der Satz, daß alle rechtswidrigen Handlungen private Hand-
lungen sind, der im Landesrecht zweifellos zutrifft, scheint aller-
dings vom völkerrechtlichen Standpunkt aus zweifelhaft: wenn
es richtig ist, daß der Staat der Verband ist, der letztinstanzlich
für die ihm angehörenden Einzelnen entscheidet, was rechtens ist,
ist dann nicht die Möglichkeit gegeben, daß er eine generelle oder
spezielle Anordnung treffe, die, weil von ihm getroffen, für seine
Angehörigen und seine Organspersonen verbindlich, aber doch im
Verhältnis zu anderen Staaten rechtswidrig ist? Wir haben es
selbst (oben S. 151) angenommen1. Trifft es aber nicht wenigstens

1 Kelsen, Souveränität 146, verneint die Gültigkeit solcher Be-
stimmungen, aber offenbar zu Unrecht. -- Verdroß, Einheit des rechtlichen
Weltbildes 163, sucht den Widerspruch zu erklären, indem er auf die Ver-
fassungen hinweist, welche auch Gesetze gelten lassen, die verfassungswidrig,
Verordnungen und Urteile, die gesetzwidrig sind; ebenso lasse auch die
"Verfassung" der Völkerrechtsgemeinschaft das völkerrechtswidrige Landes-
recht gelten. Allein gerade mit seiner Lehre ist diese Möglichkeit unverein-
bar; denn, wenn das Völkerrecht die oberste Verfassung ist, trotzdem
aber alles, was die Staaten beschließen, gültig ist, auch wenn es dieser Ver-
fassung widerspricht, was hat dann die Verfassung für eine Bedeutung? Die

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
unterscheiden zwischen Delikten, welche die Staatsorgane als
solche
begehen, und Delikten, welche sie als Private begehen.
Als Staatsorgane können die Organspersonen aber nur handeln,
sofern sie innerhalb ihrer Zuständigkeit handeln, und zu Delikten
kann niemand von Rechts wegen zuständig sein.

Die Unterscheidung führt auch, eben deshalb, weil sie grund-
sätzlich falsch ist, zu unerträglichen Spitzfindigkeiten: wenn die
Beamten des Ministeriums des Äußern ein Attentat auf einen
Gesandten vorbereitet oder angestiftet haben, soll dann unter-
sucht werden, ob sie die Besprechungen in oder außer der Amts-
stunden, in oder außer der Amtsstube abgehalten, ob sie auf Amts-
papier geschrieben oder mit dem Amtstitel unterschrieben, ob sie
sich im Amtsstil oder im Privatstil ausgedrückt haben? Wenn
Postangestellte ihre Dienstkenntnisse dazu benutzen, um, außer
Dienst und verkleidet, einen Eisenbahnzug auf offener Strecke
zum Stehen zu bringen und den diplomatischen Kurier aus dem
(wie sie wissen) momentan unbewachten Postwagen zu entwenden,
soll das ein „amtliches“ oder „privates“ Verbrechen sein? Die
Unterscheidung ist schlechthin undurchführbar.

Der Satz, daß alle rechtswidrigen Handlungen private Hand-
lungen sind, der im Landesrecht zweifellos zutrifft, scheint aller-
dings vom völkerrechtlichen Standpunkt aus zweifelhaft: wenn
es richtig ist, daß der Staat der Verband ist, der letztinstanzlich
für die ihm angehörenden Einzelnen entscheidet, was rechtens ist,
ist dann nicht die Möglichkeit gegeben, daß er eine generelle oder
spezielle Anordnung treffe, die, weil von ihm getroffen, für seine
Angehörigen und seine Organspersonen verbindlich, aber doch im
Verhältnis zu anderen Staaten rechtswidrig ist? Wir haben es
selbst (oben S. 151) angenommen1. Trifft es aber nicht wenigstens

1 Kelsen, Souveränität 146, verneint die Gültigkeit solcher Be-
stimmungen, aber offenbar zu Unrecht. — Verdroß, Einheit des rechtlichen
Weltbildes 163, sucht den Widerspruch zu erklären, indem er auf die Ver-
fassungen hinweist, welche auch Gesetze gelten lassen, die verfassungswidrig,
Verordnungen und Urteile, die gesetzwidrig sind; ebenso lasse auch die
„Verfassung“ der Völkerrechtsgemeinschaft das völkerrechtswidrige Landes-
recht gelten. Allein gerade mit seiner Lehre ist diese Möglichkeit unverein-
bar; denn, wenn das Völkerrecht die oberste Verfassung ist, trotzdem
aber alles, was die Staaten beschließen, gültig ist, auch wenn es dieser Ver-
fassung widerspricht, was hat dann die Verfassung für eine Bedeutung? Die
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[436/0451] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. unterscheiden zwischen Delikten, welche die Staatsorgane als solche begehen, und Delikten, welche sie als Private begehen. Als Staatsorgane können die Organspersonen aber nur handeln, sofern sie innerhalb ihrer Zuständigkeit handeln, und zu Delikten kann niemand von Rechts wegen zuständig sein. Die Unterscheidung führt auch, eben deshalb, weil sie grund- sätzlich falsch ist, zu unerträglichen Spitzfindigkeiten: wenn die Beamten des Ministeriums des Äußern ein Attentat auf einen Gesandten vorbereitet oder angestiftet haben, soll dann unter- sucht werden, ob sie die Besprechungen in oder außer der Amts- stunden, in oder außer der Amtsstube abgehalten, ob sie auf Amts- papier geschrieben oder mit dem Amtstitel unterschrieben, ob sie sich im Amtsstil oder im Privatstil ausgedrückt haben? Wenn Postangestellte ihre Dienstkenntnisse dazu benutzen, um, außer Dienst und verkleidet, einen Eisenbahnzug auf offener Strecke zum Stehen zu bringen und den diplomatischen Kurier aus dem (wie sie wissen) momentan unbewachten Postwagen zu entwenden, soll das ein „amtliches“ oder „privates“ Verbrechen sein? Die Unterscheidung ist schlechthin undurchführbar. Der Satz, daß alle rechtswidrigen Handlungen private Hand- lungen sind, der im Landesrecht zweifellos zutrifft, scheint aller- dings vom völkerrechtlichen Standpunkt aus zweifelhaft: wenn es richtig ist, daß der Staat der Verband ist, der letztinstanzlich für die ihm angehörenden Einzelnen entscheidet, was rechtens ist, ist dann nicht die Möglichkeit gegeben, daß er eine generelle oder spezielle Anordnung treffe, die, weil von ihm getroffen, für seine Angehörigen und seine Organspersonen verbindlich, aber doch im Verhältnis zu anderen Staaten rechtswidrig ist? Wir haben es selbst (oben S. 151) angenommen 1. Trifft es aber nicht wenigstens 1 Kelsen, Souveränität 146, verneint die Gültigkeit solcher Be- stimmungen, aber offenbar zu Unrecht. — Verdroß, Einheit des rechtlichen Weltbildes 163, sucht den Widerspruch zu erklären, indem er auf die Ver- fassungen hinweist, welche auch Gesetze gelten lassen, die verfassungswidrig, Verordnungen und Urteile, die gesetzwidrig sind; ebenso lasse auch die „Verfassung“ der Völkerrechtsgemeinschaft das völkerrechtswidrige Landes- recht gelten. Allein gerade mit seiner Lehre ist diese Möglichkeit unverein- bar; denn, wenn das Völkerrecht die oberste Verfassung ist, trotzdem aber alles, was die Staaten beschließen, gültig ist, auch wenn es dieser Ver- fassung widerspricht, was hat dann die Verfassung für eine Bedeutung? Die

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/451>, abgerufen am 28.04.2024.