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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die völkerrechtliche Haftung der Staaten.
Rechtsordnung (gewissenhaft) ausführen, macht man ihn für diese
Rechtsordnung selbst verantwortlich, mit Inbegriff der Zuständig-
keitsordnung, kraft der der Beamte handelte. Zur Schaffung der
Zuständigkeitsordnung selbst kann aber niemand zuständig ge-
wesen sein (vgl. oben S. 213 ff.). Es kommt also grundsätzlich
immer darauf hinaus, ob der Staat für das persönliche Verhalten
seiner Angehörigen hafte, ohne Rücksicht auf ihre amtliche Zu-
ständigkeit1.

Aber die ganze Kontroverse führt zu keinem Ziel. Denn die
Frage, ob ein Staat für das völkerrechtswidrige Verhalten seiner
beamteten oder nichtbeamteten Angehörigen hafte oder nicht
hafte, kann logischerweise gar nicht gestellt werden; sie ist wider-
spruchsvoll. Was völkerrechtsmäßig ist, darf der Staat sicher
seinen Beamten wie auch den Privaten anbefehlen oder gestatten;
und was völkerrechtswidrig ist, wird es nicht erst dadurch, daß
der Staat seine Beamten beauftragt oder seinen privaten Ange-
hörigen befiehlt oder erlaubt, es zu tun, sondern es ist (wie wir
voraussetzen) völkerrechtswidrig, und das heißt nichts anderes,
als daß der Staat dafür haftet, daß es nicht geschehe. Das ist im
folgenden noch auszuführen.

Das Ergebnis ist also bis jetzt: daß die Pflichten des Staates,
wie die Pflichten aller Verbände, in nichts anderem bestehen als
in einem Haften für das Verhalten der Einzelnen; daß die Verbands-
personen begrifflich notwendig haften müssen für ihre rechts-
geschäftlichen Verpflichtungen, aber begrifflich nicht notwendig
ex delictis; daß aber diese letztere Haftung auch nicht begrifflich
notwendig beschränkt ist auf das rechtswidrige Verhalten der
Organspersonen.

2. Für welches Verhalten aber der Staat hafte, das ist dem-
gemäß nichts anderes als die Frage nach dem Inhalt der völker-
rechtlichen Pflichten der Staaten überhaupt.

Der Staat ist zu dem verpflichtet, für dessen Verwirklichung

1 Vgl. Kelsen in der Festgabe für Fleiner (1927) 149, 157. Wir haben
hier immer angenommen, es sei gegen eine bestehende völkerrechtliche
Pflicht des Staates gehandelt worden; eine andere, oben S. 399 berührte
Frage ist, ob die völkerrechtlichen Pflichten des Staates (mangels Vertrages)
richtigerweise zu bemessen seien mit Rücksicht auf seine Verfassung und
Rechtsordnung oder ohne Rücksicht darauf.

Die völkerrechtliche Haftung der Staaten.
Rechtsordnung (gewissenhaft) ausführen, macht man ihn für diese
Rechtsordnung selbst verantwortlich, mit Inbegriff der Zuständig-
keitsordnung, kraft der der Beamte handelte. Zur Schaffung der
Zuständigkeitsordnung selbst kann aber niemand zuständig ge-
wesen sein (vgl. oben S. 213 ff.). Es kommt also grundsätzlich
immer darauf hinaus, ob der Staat für das persönliche Verhalten
seiner Angehörigen hafte, ohne Rücksicht auf ihre amtliche Zu-
ständigkeit1.

Aber die ganze Kontroverse führt zu keinem Ziel. Denn die
Frage, ob ein Staat für das völkerrechtswidrige Verhalten seiner
beamteten oder nichtbeamteten Angehörigen hafte oder nicht
hafte, kann logischerweise gar nicht gestellt werden; sie ist wider-
spruchsvoll. Was völkerrechtsmäßig ist, darf der Staat sicher
seinen Beamten wie auch den Privaten anbefehlen oder gestatten;
und was völkerrechtswidrig ist, wird es nicht erst dadurch, daß
der Staat seine Beamten beauftragt oder seinen privaten Ange-
hörigen befiehlt oder erlaubt, es zu tun, sondern es ist (wie wir
voraussetzen) völkerrechtswidrig, und das heißt nichts anderes,
als daß der Staat dafür haftet, daß es nicht geschehe. Das ist im
folgenden noch auszuführen.

Das Ergebnis ist also bis jetzt: daß die Pflichten des Staates,
wie die Pflichten aller Verbände, in nichts anderem bestehen als
in einem Haften für das Verhalten der Einzelnen; daß die Verbands-
personen begrifflich notwendig haften müssen für ihre rechts-
geschäftlichen Verpflichtungen, aber begrifflich nicht notwendig
ex delictis; daß aber diese letztere Haftung auch nicht begrifflich
notwendig beschränkt ist auf das rechtswidrige Verhalten der
Organspersonen.

2. Für welches Verhalten aber der Staat hafte, das ist dem-
gemäß nichts anderes als die Frage nach dem Inhalt der völker-
rechtlichen Pflichten der Staaten überhaupt.

Der Staat ist zu dem verpflichtet, für dessen Verwirklichung

1 Vgl. Kelsen in der Festgabe für Fleiner (1927) 149, 157. Wir haben
hier immer angenommen, es sei gegen eine bestehende völkerrechtliche
Pflicht des Staates gehandelt worden; eine andere, oben S. 399 berührte
Frage ist, ob die völkerrechtlichen Pflichten des Staates (mangels Vertrages)
richtigerweise zu bemessen seien mit Rücksicht auf seine Verfassung und
Rechtsordnung oder ohne Rücksicht darauf.
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[439/0454] Die völkerrechtliche Haftung der Staaten. Rechtsordnung (gewissenhaft) ausführen, macht man ihn für diese Rechtsordnung selbst verantwortlich, mit Inbegriff der Zuständig- keitsordnung, kraft der der Beamte handelte. Zur Schaffung der Zuständigkeitsordnung selbst kann aber niemand zuständig ge- wesen sein (vgl. oben S. 213 ff.). Es kommt also grundsätzlich immer darauf hinaus, ob der Staat für das persönliche Verhalten seiner Angehörigen hafte, ohne Rücksicht auf ihre amtliche Zu- ständigkeit 1. Aber die ganze Kontroverse führt zu keinem Ziel. Denn die Frage, ob ein Staat für das völkerrechtswidrige Verhalten seiner beamteten oder nichtbeamteten Angehörigen hafte oder nicht hafte, kann logischerweise gar nicht gestellt werden; sie ist wider- spruchsvoll. Was völkerrechtsmäßig ist, darf der Staat sicher seinen Beamten wie auch den Privaten anbefehlen oder gestatten; und was völkerrechtswidrig ist, wird es nicht erst dadurch, daß der Staat seine Beamten beauftragt oder seinen privaten Ange- hörigen befiehlt oder erlaubt, es zu tun, sondern es ist (wie wir voraussetzen) völkerrechtswidrig, und das heißt nichts anderes, als daß der Staat dafür haftet, daß es nicht geschehe. Das ist im folgenden noch auszuführen. Das Ergebnis ist also bis jetzt: daß die Pflichten des Staates, wie die Pflichten aller Verbände, in nichts anderem bestehen als in einem Haften für das Verhalten der Einzelnen; daß die Verbands- personen begrifflich notwendig haften müssen für ihre rechts- geschäftlichen Verpflichtungen, aber begrifflich nicht notwendig ex delictis; daß aber diese letztere Haftung auch nicht begrifflich notwendig beschränkt ist auf das rechtswidrige Verhalten der Organspersonen. 2. Für welches Verhalten aber der Staat hafte, das ist dem- gemäß nichts anderes als die Frage nach dem Inhalt der völker- rechtlichen Pflichten der Staaten überhaupt. Der Staat ist zu dem verpflichtet, für dessen Verwirklichung 1 Vgl. Kelsen in der Festgabe für Fleiner (1927) 149, 157. Wir haben hier immer angenommen, es sei gegen eine bestehende völkerrechtliche Pflicht des Staates gehandelt worden; eine andere, oben S. 399 berührte Frage ist, ob die völkerrechtlichen Pflichten des Staates (mangels Vertrages) richtigerweise zu bemessen seien mit Rücksicht auf seine Verfassung und Rechtsordnung oder ohne Rücksicht darauf.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/454>, abgerufen am 29.04.2024.