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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
(Privat-) Recht die Person und die Ware jeweilen stehe. Darüber
einigen sich allerdings die Staaten selten im einzelnen; darüber
fahren sie (ihre Gesetzgeber oder Gerichte) fort zu streiten, nach-
dem der Verkehr schon lange im Gange ist. Aber man kann
doch über die Grenze des räumlichen Anwendungsgebietes der
Gesetze nur streiten, wenn man ein fremdes Rechtsgebiet über-
haupt anerkennt; man kann über die Kollisionsnorm nur streiten,
wenn man anerkennt, daß die eigene privatrechtliche Ordnung
auf eine im Grundsatz ebenfalls berechtigte fremde Ordnung
stößt. Das internationale Privatrecht sucht diese Grenze zu be-
stimmen; aber indem es die Notwendigkeit einer Abgrenzung zu-
gibt, anerkennt es die fremde Rechtsordnung im Grundsatz als
eine gleichberechtigte an; es erkennt an, daß die Abgrenzung eine
internationale Frage ist. Deshalb wird auch der Staat, der mit
anderen in Verkehr steht, nicht anstehen, diplomatische Vor-
stellungen zu erheben, wenn einem seiner Angehörigen grundsätzlich
die Rechtsfähigkeit aberkannt wird, welche die Voraussetzung
eines rechtlich geordneten Verkehrs überhaupt bildet. Die Ge-
richte mögen über die nähere Abgrenzung der Anwendungsgebiete
entscheiden, aber irgendwie, und zwar nach Grundsätzen
müssen sie entscheiden1. Der Heimatstaat kann sich mit Recht
beklagen, wenn seine Angehörigen im Ausland, sei es im materiellen,
sei es im formellen Recht, grundsatzlos, d. h. im Grundsatz also
rechtlos behandelt werden (denn rechtlos ist derjenige, dem-
gegenüber man sich an keine Grundsätze bindet).

Die Vertragsverletzung des Schweizers gegenüber dem Ameri-
kaner war also für das Verhältnis der Schweiz zu Amerika doch
nicht ganz unerheblich; es sind der Schweiz daraus gewisse Pflichten
erwachsen, wenn auch nur die, dem Amerikaner den gleichen
Schutz wie einem Schweizer angedeihen zu lassen. In diesem
Sinne haftet die Schweiz auch für die Folgen jener privaten Ver-
tragsverletzung: der Verkehr, auf den sie sich (vermöge Ver-
trages oder ohne ausdrückliche Abmachung) mit Amerika einge-

1 Und folgerichtigerweise müßten sie die Grundsätze, die sie gegen-
über dem Ausland anwenden, auch gegen sich gelten lassen, z. B. in der
Behandlung der im Inland gelegenen Grundstücke von Ausländern und der
im Ausland gelegenen Grundstücke von Inländern, was aber nicht all-
gemein geschieht.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
(Privat-) Recht die Person und die Ware jeweilen stehe. Darüber
einigen sich allerdings die Staaten selten im einzelnen; darüber
fahren sie (ihre Gesetzgeber oder Gerichte) fort zu streiten, nach-
dem der Verkehr schon lange im Gange ist. Aber man kann
doch über die Grenze des räumlichen Anwendungsgebietes der
Gesetze nur streiten, wenn man ein fremdes Rechtsgebiet über-
haupt anerkennt; man kann über die Kollisionsnorm nur streiten,
wenn man anerkennt, daß die eigene privatrechtliche Ordnung
auf eine im Grundsatz ebenfalls berechtigte fremde Ordnung
stößt. Das internationale Privatrecht sucht diese Grenze zu be-
stimmen; aber indem es die Notwendigkeit einer Abgrenzung zu-
gibt, anerkennt es die fremde Rechtsordnung im Grundsatz als
eine gleichberechtigte an; es erkennt an, daß die Abgrenzung eine
internationale Frage ist. Deshalb wird auch der Staat, der mit
anderen in Verkehr steht, nicht anstehen, diplomatische Vor-
stellungen zu erheben, wenn einem seiner Angehörigen grundsätzlich
die Rechtsfähigkeit aberkannt wird, welche die Voraussetzung
eines rechtlich geordneten Verkehrs überhaupt bildet. Die Ge-
richte mögen über die nähere Abgrenzung der Anwendungsgebiete
entscheiden, aber irgendwie, und zwar nach Grundsätzen
müssen sie entscheiden1. Der Heimatstaat kann sich mit Recht
beklagen, wenn seine Angehörigen im Ausland, sei es im materiellen,
sei es im formellen Recht, grundsatzlos, d. h. im Grundsatz also
rechtlos behandelt werden (denn rechtlos ist derjenige, dem-
gegenüber man sich an keine Grundsätze bindet).

Die Vertragsverletzung des Schweizers gegenüber dem Ameri-
kaner war also für das Verhältnis der Schweiz zu Amerika doch
nicht ganz unerheblich; es sind der Schweiz daraus gewisse Pflichten
erwachsen, wenn auch nur die, dem Amerikaner den gleichen
Schutz wie einem Schweizer angedeihen zu lassen. In diesem
Sinne haftet die Schweiz auch für die Folgen jener privaten Ver-
tragsverletzung: der Verkehr, auf den sie sich (vermöge Ver-
trages oder ohne ausdrückliche Abmachung) mit Amerika einge-

1 Und folgerichtigerweise müßten sie die Grundsätze, die sie gegen-
über dem Ausland anwenden, auch gegen sich gelten lassen, z. B. in der
Behandlung der im Inland gelegenen Grundstücke von Ausländern und der
im Ausland gelegenen Grundstücke von Inländern, was aber nicht all-
gemein geschieht.
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[450/0465] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. (Privat-) Recht die Person und die Ware jeweilen stehe. Darüber einigen sich allerdings die Staaten selten im einzelnen; darüber fahren sie (ihre Gesetzgeber oder Gerichte) fort zu streiten, nach- dem der Verkehr schon lange im Gange ist. Aber man kann doch über die Grenze des räumlichen Anwendungsgebietes der Gesetze nur streiten, wenn man ein fremdes Rechtsgebiet über- haupt anerkennt; man kann über die Kollisionsnorm nur streiten, wenn man anerkennt, daß die eigene privatrechtliche Ordnung auf eine im Grundsatz ebenfalls berechtigte fremde Ordnung stößt. Das internationale Privatrecht sucht diese Grenze zu be- stimmen; aber indem es die Notwendigkeit einer Abgrenzung zu- gibt, anerkennt es die fremde Rechtsordnung im Grundsatz als eine gleichberechtigte an; es erkennt an, daß die Abgrenzung eine internationale Frage ist. Deshalb wird auch der Staat, der mit anderen in Verkehr steht, nicht anstehen, diplomatische Vor- stellungen zu erheben, wenn einem seiner Angehörigen grundsätzlich die Rechtsfähigkeit aberkannt wird, welche die Voraussetzung eines rechtlich geordneten Verkehrs überhaupt bildet. Die Ge- richte mögen über die nähere Abgrenzung der Anwendungsgebiete entscheiden, aber irgendwie, und zwar nach Grundsätzen müssen sie entscheiden 1. Der Heimatstaat kann sich mit Recht beklagen, wenn seine Angehörigen im Ausland, sei es im materiellen, sei es im formellen Recht, grundsatzlos, d. h. im Grundsatz also rechtlos behandelt werden (denn rechtlos ist derjenige, dem- gegenüber man sich an keine Grundsätze bindet). Die Vertragsverletzung des Schweizers gegenüber dem Ameri- kaner war also für das Verhältnis der Schweiz zu Amerika doch nicht ganz unerheblich; es sind der Schweiz daraus gewisse Pflichten erwachsen, wenn auch nur die, dem Amerikaner den gleichen Schutz wie einem Schweizer angedeihen zu lassen. In diesem Sinne haftet die Schweiz auch für die Folgen jener privaten Ver- tragsverletzung: der Verkehr, auf den sie sich (vermöge Ver- trages oder ohne ausdrückliche Abmachung) mit Amerika einge- 1 Und folgerichtigerweise müßten sie die Grundsätze, die sie gegen- über dem Ausland anwenden, auch gegen sich gelten lassen, z. B. in der Behandlung der im Inland gelegenen Grundstücke von Ausländern und der im Ausland gelegenen Grundstücke von Inländern, was aber nicht all- gemein geschieht.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/465>, abgerufen am 29.04.2024.