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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
der einen Vertrag abschließt, macht wohl Gebrauch von der Be-
fugnis, von der Fähigkeit, (subjektive) Rechte und Pflichten zu
begründen; aber er vollzieht nicht ein einziges gesetzliches Gebot
oder Verbot, und vollzieht es nicht mit verbindlicher Wirkung
(in bezug auf die Richtigkeit seiner "Anwendung" des Gesetzes).
Der Vertrag, den er abschließt, ist wohl eine konkrete Anwendung
der abstrakten Möglichkeit, Verträge abzuschließen; aber die
Rechte und Pflichten, die er damit begründet, waren durch kein
Gesetz gefordert. Sie können bestehen oder auch nicht bestehen;
sie können meist auch in verschiedener Gestalt bestehen. Eine
Privatperson (oder mehrere zusammen) verfügt darüber, über
die Entstehung wie über den Fortbestand, ohne jemandem Rechen-
schaft schuldig zu sein. Und diese Autonomie, diese Fähigkeit,
Recht aus eigenem Entschluß zu setzen, ist nicht nur die Eigenart
des Privatrechts, es macht auch die Eigenart des subjektiven
Rechts
und des Rechtssubjekts aus1; subjektives Recht und Rechts-
subjekt gehören auch zu jener Reihe von Begriffen, die unter-
einander in einem logischen Zusammenhang stehen, auf den hin-
zuweisen die einzige Bedeutung begrifflicher Untersuchungen, wie
die vorliegende, sein kann.

Auch mit dem Begriffe des subjektiven Rechts bezeichnet man
die beiden oben erwähnten Gegensätze: einerseits den Gegensatz
des abstrakten und des konkreten, anderseits den des subjektiven
und des objektiven2.

Ein subjektives Recht ist, so wird es gewöhnlich definiert,
die konkrete Verwirklichung eines abstrakten Rechtssatzes. Das
Durchleitungsrecht, das ich am Nachbargrundstück habe, ist ein
Anwendungsfall der gesetzlichen Normen über die Grunddienst-
barkeiten, die Mietzinsforderung gegen meinen Mieter die An-
wendung der obligationenrechtlichen Grundsätze über die Ver-
tragsschließung und den Mietvertrag. Aber es ist nicht nur der

1 Binder, Natürliche und juristische Personen (1907) 49: "Rechts-
subjekt sein heißt, in den durch die Rechtsordnung gegebenen Beziehungen
stehen, die wir subjektive Rechte nennen." Vgl. auch z. B. Leuthold, in
Hirths Annalen (1884) 360, 363 ff.
2 Was z. B. Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive (1901)
I 139 ff., nicht genügend auseinanderhält. Vgl. Michoud in der Festgabe
für O. Gierke (1911) 508.

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
der einen Vertrag abschließt, macht wohl Gebrauch von der Be-
fugnis, von der Fähigkeit, (subjektive) Rechte und Pflichten zu
begründen; aber er vollzieht nicht ein einziges gesetzliches Gebot
oder Verbot, und vollzieht es nicht mit verbindlicher Wirkung
(in bezug auf die Richtigkeit seiner „Anwendung“ des Gesetzes).
Der Vertrag, den er abschließt, ist wohl eine konkrete Anwendung
der abstrakten Möglichkeit, Verträge abzuschließen; aber die
Rechte und Pflichten, die er damit begründet, waren durch kein
Gesetz gefordert. Sie können bestehen oder auch nicht bestehen;
sie können meist auch in verschiedener Gestalt bestehen. Eine
Privatperson (oder mehrere zusammen) verfügt darüber, über
die Entstehung wie über den Fortbestand, ohne jemandem Rechen-
schaft schuldig zu sein. Und diese Autonomie, diese Fähigkeit,
Recht aus eigenem Entschluß zu setzen, ist nicht nur die Eigenart
des Privatrechts, es macht auch die Eigenart des subjektiven
Rechts
und des Rechtssubjekts aus1; subjektives Recht und Rechts-
subjekt gehören auch zu jener Reihe von Begriffen, die unter-
einander in einem logischen Zusammenhang stehen, auf den hin-
zuweisen die einzige Bedeutung begrifflicher Untersuchungen, wie
die vorliegende, sein kann.

Auch mit dem Begriffe des subjektiven Rechts bezeichnet man
die beiden oben erwähnten Gegensätze: einerseits den Gegensatz
des abstrakten und des konkreten, anderseits den des subjektiven
und des objektiven2.

Ein subjektives Recht ist, so wird es gewöhnlich definiert,
die konkrete Verwirklichung eines abstrakten Rechtssatzes. Das
Durchleitungsrecht, das ich am Nachbargrundstück habe, ist ein
Anwendungsfall der gesetzlichen Normen über die Grunddienst-
barkeiten, die Mietzinsforderung gegen meinen Mieter die An-
wendung der obligationenrechtlichen Grundsätze über die Ver-
tragsschließung und den Mietvertrag. Aber es ist nicht nur der

1 Binder, Natürliche und juristische Personen (1907) 49: „Rechts-
subjekt sein heißt, in den durch die Rechtsordnung gegebenen Beziehungen
stehen, die wir subjektive Rechte nennen.“ Vgl. auch z. B. Leuthold, in
Hirths Annalen (1884) 360, 363 ff.
2 Was z. B. Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive (1901)
I 139 ff., nicht genügend auseinanderhält. Vgl. Michoud in der Festgabe
für O. Gierke (1911) 508.
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[70/0085] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. der einen Vertrag abschließt, macht wohl Gebrauch von der Be- fugnis, von der Fähigkeit, (subjektive) Rechte und Pflichten zu begründen; aber er vollzieht nicht ein einziges gesetzliches Gebot oder Verbot, und vollzieht es nicht mit verbindlicher Wirkung (in bezug auf die Richtigkeit seiner „Anwendung“ des Gesetzes). Der Vertrag, den er abschließt, ist wohl eine konkrete Anwendung der abstrakten Möglichkeit, Verträge abzuschließen; aber die Rechte und Pflichten, die er damit begründet, waren durch kein Gesetz gefordert. Sie können bestehen oder auch nicht bestehen; sie können meist auch in verschiedener Gestalt bestehen. Eine Privatperson (oder mehrere zusammen) verfügt darüber, über die Entstehung wie über den Fortbestand, ohne jemandem Rechen- schaft schuldig zu sein. Und diese Autonomie, diese Fähigkeit, Recht aus eigenem Entschluß zu setzen, ist nicht nur die Eigenart des Privatrechts, es macht auch die Eigenart des subjektiven Rechts und des Rechtssubjekts aus 1; subjektives Recht und Rechts- subjekt gehören auch zu jener Reihe von Begriffen, die unter- einander in einem logischen Zusammenhang stehen, auf den hin- zuweisen die einzige Bedeutung begrifflicher Untersuchungen, wie die vorliegende, sein kann. Auch mit dem Begriffe des subjektiven Rechts bezeichnet man die beiden oben erwähnten Gegensätze: einerseits den Gegensatz des abstrakten und des konkreten, anderseits den des subjektiven und des objektiven 2. Ein subjektives Recht ist, so wird es gewöhnlich definiert, die konkrete Verwirklichung eines abstrakten Rechtssatzes. Das Durchleitungsrecht, das ich am Nachbargrundstück habe, ist ein Anwendungsfall der gesetzlichen Normen über die Grunddienst- barkeiten, die Mietzinsforderung gegen meinen Mieter die An- wendung der obligationenrechtlichen Grundsätze über die Ver- tragsschließung und den Mietvertrag. Aber es ist nicht nur der 1 Binder, Natürliche und juristische Personen (1907) 49: „Rechts- subjekt sein heißt, in den durch die Rechtsordnung gegebenen Beziehungen stehen, die wir subjektive Rechte nennen.“ Vgl. auch z. B. Leuthold, in Hirths Annalen (1884) 360, 363 ff. 2 Was z. B. Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive (1901) I 139 ff., nicht genügend auseinanderhält. Vgl. Michoud in der Festgabe für O. Gierke (1911) 508.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/85>, abgerufen am 26.04.2024.