immer wieder der laute Protest der Nichtbethörten und6. Abschnitt. Denkenden. Auch auf dieser Seite hatte das Alterthum vorgearbeitet, doch reden sie hier nicht den Alten nach, sondern aus ihrem eigenen gesunden Menschenverstande und aus ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen die Astrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, ist derber Hohn 1), und ihr System durchschaut er in seiner Lügenhaftigkeit. Die Novelle ist seit ihrer Geburt, seit den cento novelle antiche, den Astrologen fast immer feind- lich 2). Die florentinischen Chronisten wehren sich auf das Tapferste, auch wenn sie den Wahn, weil er in die Tradition verflochten ist, mittheilen müssen. Giovanni Villani sagt es mehr als einmal 3): "keine Constellation kann den freien Willen des Menschen unter die Nothwendigkeit zwingen, noch auch den Beschluß Gottes"; Matteo Villani erklärt die Astrologie für ein Laster, das die Florentiner mit anderm Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidnischen Römern, geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literarischer Erörterung, sondern die Parteien, die sich darob bildeten, stritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberschwemmung des Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über Sternenschicksal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit zwischen Astrologen und Theologen höchst umständlich dis- cutirt 4). Diese Verwahrungen hören die ganze Zeit der Renaissance hindurch niemals völlig auf 5), und man darf
Ein anderer Enthusiast aus derselben Zeit ist Jo. Garzonius, de dignitate urbis Bononiae, bei Murat. XXI, Col. 1163.
1)Petrarca, epp. seniles III, 1 (p. 765) u. a. a. O. Der genannte Brief ist an Boccaccio gerichtet, welcher ebenso gedacht haben muß.
2) Bei Franco Sacchetti macht Nov. 151 ihre Weisheit lächerlich.
3)Gio. Villani III, 1. X, 39.
4)Gio. Villani XI, 2. XII, 4.
5) Auch jener Verfasser der Annales Placentini (bei Murat. XX, Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta schließt sich dieser Polemik an. Die Stelle ist aber anderweitig merkwürdig,
immer wieder der laute Proteſt der Nichtbethörten und6. Abſchnitt. Denkenden. Auch auf dieſer Seite hatte das Alterthum vorgearbeitet, doch reden ſie hier nicht den Alten nach, ſondern aus ihrem eigenen geſunden Menſchenverſtande und aus ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen die Aſtrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, iſt derber Hohn 1), und ihr Syſtem durchſchaut er in ſeiner Lügenhaftigkeit. Die Novelle iſt ſeit ihrer Geburt, ſeit den cento novelle antiche, den Aſtrologen faſt immer feind- lich 2). Die florentiniſchen Chroniſten wehren ſich auf das Tapferſte, auch wenn ſie den Wahn, weil er in die Tradition verflochten iſt, mittheilen müſſen. Giovanni Villani ſagt es mehr als einmal 3): „keine Conſtellation kann den freien Willen des Menſchen unter die Nothwendigkeit zwingen, noch auch den Beſchluß Gottes“; Matteo Villani erklärt die Aſtrologie für ein Laſter, das die Florentiner mit anderm Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidniſchen Römern, geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literariſcher Erörterung, ſondern die Parteien, die ſich darob bildeten, ſtritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberſchwemmung des Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über Sternenſchickſal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit zwiſchen Aſtrologen und Theologen höchſt umſtändlich dis- cutirt 4). Dieſe Verwahrungen hören die ganze Zeit der Renaiſſance hindurch niemals völlig auf 5), und man darf
Ein anderer Enthuſiaſt aus derſelben Zeit iſt Jo. Garzonius, de dignitate urbis Bononiæ, bei Murat. XXI, Col. 1163.
1)Petrarca, epp. seniles III, 1 (p. 765) u. a. a. O. Der genannte Brief iſt an Boccaccio gerichtet, welcher ebenſo gedacht haben muß.
2) Bei Franco Sacchetti macht Nov. 151 ihre Weisheit lächerlich.
3)Gio. Villani III, 1. X, 39.
4)Gio. Villani XI, 2. XII, 4.
5) Auch jener Verfaſſer der Annales Placentini (bei Murat. XX, Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta ſchließt ſich dieſer Polemik an. Die Stelle iſt aber anderweitig merkwürdig,
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aus ihrem eigenen geſunden Menſchenverſtande und aus
ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen
die Aſtrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, iſt
derber Hohn 1), und ihr Syſtem durchſchaut er in ſeiner
Lügenhaftigkeit. Die Novelle iſt ſeit ihrer Geburt, ſeit den
cento novelle antiche, den Aſtrologen faſt immer feind-
lich 2). Die florentiniſchen Chroniſten wehren ſich auf das
Tapferſte, auch wenn ſie den Wahn, weil er in die Tradition
verflochten iſt, mittheilen müſſen. Giovanni Villani ſagt
es mehr als einmal 3): „keine Conſtellation kann den freien
Willen des Menſchen unter die Nothwendigkeit zwingen,
noch auch den Beſchluß Gottes“; Matteo Villani erklärt
die Aſtrologie für ein Laſter, das die Florentiner mit anderm
Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidniſchen Römern,
geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literariſcher
Erörterung, ſondern die Parteien, die ſich darob bildeten,
ſtritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberſchwemmung des
Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über
Sternenſchickſal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit
zwiſchen Aſtrologen und Theologen höchſt umſtändlich dis-
cutirt 4). Dieſe Verwahrungen hören die ganze Zeit der
Renaiſſance hindurch niemals völlig auf 5), und man darf
4)
6. Abſchnitt.
1) Petrarca, epp. seniles III, 1 (p. 765) u. a. a. O. Der genannte
Brief iſt an Boccaccio gerichtet, welcher ebenſo gedacht haben muß.
2) Bei Franco Sacchetti macht Nov. 151 ihre Weisheit lächerlich.
3) Gio. Villani III, 1. X, 39.
4) Gio. Villani XI, 2. XII, 4.
5) Auch jener Verfaſſer der Annales Placentini (bei Murat. XX,
Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta ſchließt
ſich dieſer Polemik an. Die Stelle iſt aber anderweitig merkwürdig,
4) Ein anderer Enthuſiaſt aus derſelben Zeit iſt Jo. Garzonius, de
dignitate urbis Bononiæ, bei Murat. XXI, Col. 1163.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/531>, abgerufen am 16.06.2024.
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